Alice – Mein Leben als Escort

Film Alice – Mein Leben als Escort

Alice - Leben als Escort Review Kritik
Alice (Emilie Piponnier) ist aus Geldnot gezwungen, sich zu prostituieren.
Originaltitel Alice
Produktionsland Australien, Frankreich
Jahr 2019
Spielzeit 105 Minuten
Regie Josephine Mackerras
Hauptdarsteller*innen Emilie Piponnier, Martin Swabey, Chloé Boreham, Juliette Tresanini
Bewertung

Worum geht’s?

Alice Ferrand kann es nicht fassen: Eben noch wirkte ihr Leben in Paris beschaulich und glücklich, jetzt scheint sich alles in Chaos aufzulösen. Ihr Mann François, der als Schriftsteller arbeitet, ist spurlos verschwunden. Sie muss spontan eine Betreuung für das gemeinsame Kind organisieren. Und all ihre Kreditkarten sind plötzlich gesperrt. Als sie Nachforschungen anstellt, fällt die junge Mutter aus allen Wolken: Statt gut situiert zu sein, wie sie immer dachte, hat ihr Mann das gesamte Geld der Familie durchgebracht und sogar 80.000 Euro Schulden angehäuft, indem er regelmäßig die Dienste von Edelprostituierten in Anspruch genommen hat. Alice muss befürchten, dass ihre noch nicht abbezahlte Eigentumswohnung zwangsgeräumt wird, wenn sie nicht schnell an viel Geld kommt. Ihre Lage scheint verzweifelt: Bank, Behörden, selbst die eigenen Eltern – kaum jemand hat Verständnis für ihre Situation oder kann gar eine Lösung anbieten Als sie von der exklusiven Escort-Agentur, bei der ihr Mann ein so eifriger Kunde war, ein Angebot bekommt, sich für ausgesuchte Kunden zu prostituieren, sagt sie zu. Während sie nun tagsüber die brave Mutter ist, verbringt sie die Nächte mit Männern, die sie für nette Gesellschaft und anschließenden Sex bezahlen. Als ihr Ehemann reumütig zurückkehren möchte, macht das ihre Lage nicht einfacher, zumal Alice gerade angefangen hat, Spaß an ihrem neuen Job zu haben.

Das sagt shitesite:

Zwei große Defizite hat Alice – Mein Leben als Escort: Erstens ist die Ausgangssituation vollkommen unglaubwürdig. Dass eine halbwegs moderne Frau in einer halbwegs modernen Beziehung jahrelang keinerlei Überblick über die finanzielle Situation ihrer Familie hat (zumal sie einen Großteil des Geldes für die Eigentumswohnung von ihren Eltern bekommen hat), ist kaum denkbar. Dass sie in einer offenbar halbwegs glücklichen Beziehung die regelmäßigen Eskapaden ihres Ehemanns nicht mitbekommt, erscheint auch kaum möglich. Vor allem aber kommt ihr Entschluss, selbst als Escort-Lady zu arbeiten, wie aus heiterem Himmel und ist entsprechend wenig plausibel.

Zweitens ist die These fragwürdig, dass Prostitution einfach nur ein Job ist, der nicht nur ein sicheres Einkommen, sondern sogar Erfüllung und neue Horizonte verspricht. “Du bist der Boss”, verspricht eine Kollegin, mit der Alice sich anfreundet, später betonte sie: “Wir haben die Dinge unter Kontrolle.” Doch es ist offenkundig, dass Alice in einer Notlage ist und ausgenutzt wird. Sie verkauft ihren Körper in erster Linie aus Sorge um das Wohlergehen ihres Kindes, und sie muss bei den Treffen mit einigen ihrer Kunden feststellen, dass es in diesem Geschäft mindestens so sehr um Macht geht wie um Sex – und dass die Macht stets auf Seiten der Freier liegt, selbst dann noch, wenn sie diejenige ist, die im Bett die Kommandos gibt. Dass Alice – Mein Leben als Escort eine Geschichte von ungeahnter Selbstentfaltung, neuem Selbstbild und gesteigertem Selbstvertrauen ausgerechnet mit einem beschönigenden Bild von Prostitution erzählt, bis für die Hauptfigur der Traum von der Unabhängigkeit auf unerwartete Weise platzt, ist jedenfalls mindestens seltsam.

Punkten kann der Film von Regisseurin Josephine Mackerras, die auch das Drehbuch geschrieben hat, hingegen mit der Darstellung der Figur von François. Zu seiner Vorliebe für Escort-Girls und seiner Rolle als finanzieller Hasardeur passt, dass er einfach aus dem Leben seiner Familie verschwindet, als sein Betrug auffliegt. Diese unreife Position, gefangen in Narzissmus und Selbstmitleid, ist nicht nur ein kluger Blick auf moderne Männlichkeit, sondern auch ein Kontrast, der den Werdegang von Alice noch erstaunlicher erscheinen lässt. Vor allem gefällt hier, dass trotz des etwas reißerischen Titels im deutschen Verleih nicht auf übertriebene Freizügigkeit und Akrobatik in Hotelzimmerbetten gesetzt wird. Stattdessen bietet Alice – Mein Leben als Escort einen einfühlsamen, respektvollen und dann unterm Strich doch auch halbwegs interessanten Blick auf seine Hauptfigur.

Bestes Zitat:

“Geht es um Moral und Ethik der Gesellschaft, wird es auch immer unschuldige Opfer geben.”

Der Trailer zum Film.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

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