Allrad und Alltag

Ein Großer will sich kleinmachen: Das gilt für den X-Trail ganz oft. Foto: Nissan
Ein Großer will sich kleinmachen: Das gilt für den X-Trail ganz oft. Foto: Nissan

Vorab: Der Nissan X-Trail ist ein gutes Auto. Wer ein SUV sucht, kann kaum einen besseren Griff machen. Mit 4,63 Metern Länge und 1,74 Metern Höhe strahlt der Wagen die in diesem Segment gefragte Potenz aus. Er bietet reichlich Platz, die von vielen Fahrern geschätzte hohe Sitzposition und – im Gegensatz zu manchem Konkurrenten, der sich bloß mit Offroad-Optik schmückt – tatsächlich Allradantrieb und Geländetauglichkeit. Der X-Trail taugt als Zugmaschine und eignet sich dank niedriger Ladekante und bis zu 1773 Litern Stauraum auch bestens als Packesel.Das Interieur passt ebenfalls zu diesem kernigen Typ. Alle Passagiere haben viel Platz, die Materialien sind solide, das Kombi-Instrument direkt vor dem Fahrer ist lobenswert übersichtlich und reichlich Ablageflächen zeugen davon, dass hier nicht Design-Hirngespinste den Ton angegeben haben, sondern die Sorge um Alltagstauglichkeit.

Doch gerade auf dem Fahrersitz muss man sich über den X-Trail auch wundern. Die Macher bei Nissan wissen natürlich genau, dass ihr Erfolgs-SUV nur selten zum Härtetest auf Wald und Wiesen, aber umso öfter zur Shopping-Tour ins Einkaufscenter oder als Shuttle zum Fußballtraining der Kinder eingesetzt wird. Und deshalb versucht der Große andauernd, sich klein zu machen. Der Fahrer soll die Vorzüge eines Raumwunders genießen und dabei die Illusion haben, in einem Kompakten zu sitzen.

Dieses schizophrene Element kostet den X-Trail ein Stück seines Charakters. Zudem funktioniert der Versuch, die Geländewagen-Gene zu kaschieren, auch nicht immer. Beim Schulterblick ist sehr häufig die wuchtige D-Säule im Weg, auch die Sicht nach hinten fällt durch die weit nach oben gezogene Heckscheibe schwer. Vor allem in der Stadt kann der X-Trail seinen Allrad-Durst nicht leugnen, dann werden schon einmal zweistellige Verbrauchswerte erzielt. Um im großstädtischen Gedrängel nicht allzu sehr im Weg zu sein, werden zudem permanent die Außenspiegel eingeklappt, selbst bei kleinsten Zwischenstopps.

Außerdem nervig: Der Kofferraum bietet zwar zwei Etagen, was vor allem bei vielen Gepäckstücken durchaus praktisch ist. Doch der Plastikuntergrund der Ladefläche ist extrem rutschig. Hat man bloß eine Sporttasche oder eine Kiste Bier geladen, schlittert die unaufhörlich über die Ladefläche. Und das ständige Piepsen (das beispielsweise selbst dann erklingt, wenn man die Tür im Stand öffnet), passt auch nicht zur Souveränität, die der X-Trail und sein Fahrer sonst ausstrahlen wollen.

In anderen Punkten gelingt der Kompromiss. Die Bilder der Rückfahrkamera direkt in den Innenspiegel zu projizieren, ist bei einem Auto mit solch stattlichen Ausmaßen die beste Lösung, weil so insbesondere beim Rückwärtsparken auch das Geschehen vorne im Blick bleibt. Vor allem aber überzeugt der X-Trail mit viel Komfort – und trifft so wohl genau das eigentliche Interesse seiner Kundschaft. Das betrifft nicht nur das üppige Platzangebot, sondern auch die eher weiche Fahrwerksabstimmung und den kultivierten Charakter des Einstiegs-Dieselmotors.

Der Nissan X-Trail ist damit vielseitig, geländegängig und alltagstauglich. Er ist konsequent gelebte Inkonsequenz – und im SUV-Segment muss dieses Urteil als Kompliment gelten.

Diesen Test/Kommentar gibt es auch auf news.de.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

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