Animal Collective – “Painting With”

Künstler Animal Collective

Painting With Animal Collective Review Kritik
“Painting With” ist mit verschiedenen Covern auf den Markt gekommen.
Album Painting With
Label Domino
Erscheinungsjahr 2016
Bewertung

Als sie im Jahr 2007 an ihrem siebten Album Strawberry Jam arbeiteten, hatte David Portner alias Avey Tare kurz die Idee, seine Band in „The Painters“ umzubenennen. Seine Kollegen Noah Lennox (Panda Bear), Brian Weitz (Geologist) und Josh Dibb (Deakin) hielten allerdings nicht viel von diesem Vorschlag. „Alle verdrehten die Augen“, erinnert sich Portner. Drei Alben später hat es die Parallele zur bildenden Kunst aber immerhin in den Albumtitel geschafft. „Dieses Mal schnitt Noah das Thema an. Wir sprachen über Malerei – Kubismus, Dada, diese verzerrten Sichtweisen“, erklärt Portner diese Kehrtwende, zu der auch passt, dass Animal Collective ein Jahr nach Painting With auch noch die dazugehörige EP The Painters vorlegten.

Der Bezug ist einigermaßen naheliegend, arbeitet die Band aus Baltimore doch seit ihrer Gründung 2003 liebend gerne mit Texturen und Klangtupfern. Die visuelle Komponente war bei Animal Collective stets sehr wichtig, nicht nur im Kopfkino, das ihre Musik in Gang setzen kann, sondern auch in Plattenhüllen, Videoclips oder Bühnenbild. David Portners Schwester ist Künstlerin, Noah Lennox’ Ehefrau ist Modedesignerin – auch darin wird diese Nähe deutlich.

Noch wichtiger als die Verwandtschaft zur bildenden Kunst war auf Painting With aber die Entschlossenheit, kompakter und direkter zu werden. Die durchschnittliche Spielzeit der zwölf Lieder liegt unter dreieinhalb Minuten, es gibt keine langen Intros, Outros oder Instrumentalpassagen und deutlich weniger Hall als bisher. Als wichtigste Inspirationsquellen für die Platte nennt Noah Lennox „die Steinkreise der Steinzeitmenschen, die erste Ramones-Platte, frühe Beatles, elektronisch produziert. Ich glaube, das war mehr oder weniger unser Ausgangspunkt.“ „Bei der Sache mit den Steinzeitmenschen ging es darum, primitiver zu werden – so wie wir ganz am Anfang klangen, als wir in New York zusammen spielten”, führt David Portner aus. „Ich fand das, was wir auf unserer letzten Platte gemacht haben, etwas komplizierter. Dieses Mal wollten wir reduzieren und vereinfachen, wie beim Techno oder Punk … und dann den Animal-Collective-Filter darüberlegen.”

The Burglars ist eines der Stücke, in denen das besonders deutlich wird: Der Song scheint ein Maximum an Ideen in einem Minimum an Zeit unterbringen zu wollen, er wirkt deshalb hektisch, aber auch aufregend. Der Beat von Vertical wäre HipHop-tauglich, der Rest des Sounds ist etwas luftiger – tatsächlich wünscht man sich danach, es würde mehr Lieder über Parklücken geben. Bei Spilling Guts, das ein besonders starkes letztes Drittel der Platte einläutet, muss man nicht so weit gehen und von „Punch“ sprechen, aber es hat deutlich mehr Präsenz als alle Songs bis dahin. Lying In The Grass ist eines von vielen Beispielen dafür, wie virtuos die Gesangsspuren hier verschränkt werden. Viel mehr braucht der Track gar nicht, trotzdem packt er noch einen sehr schönen Refrain und ein paar verwirrte Blasinstrumente drauf.

„Die Vocals sind keine typische Call-and-Response-Folge oder Harmonie”, betont Noah Lennox über das Zusammenspiel mit David Portner auf dem zehnten Album der Band. “Es ist eher so, als ob zwei Stimmen zu einer werden. Ohne den jeweils anderen Sänger würde es nicht auf dieselbe Weise funktionieren. Die Stimmen tanzen praktisch miteinander.” Sein Kompagnon ergänzt: „Beide Stimmen sollen denselben Gedanken vervollständigen.” Golden Gal verdeutlicht diesen Ansatz sehr gut: Es klingt sehr organisch, obwohl jenseits der Stimmen wahrscheinlich sehr viele Töne aus dem Rechner kommen – und auch der Gesang elektronisch bearbeitet ist. Recycling zeigt als Abschluss von Painting With noch einmal, wie wenige Mittel Animal Collective (bei diesem Album mal wieder ohne Deakin am Werk) eigentlich brauchen, um diesen Eindruck von großer Komplexität zu erzeugen, und wie sehr die beiden Stimmen ihren Sound dominieren.

Im schrägen Bagels In Kiev kann man ein bisschen Hot Chip heraushören, auch ein bisschen Flaming Lips. On Delay hat einen eher sphärischen Gesang, aber einen Rhythmus mit großer Bestimmtheit. Ein Höhepunkt ist die Single FloriDaDa als Auftakt der Platte. Animal Collective feiern hier die Freiheit, musikalisch, sozial und geografisch. Nicht nur wegen der tropischen Polyrhythmen lässt das an Vampire Weekend denken, sondern auch wegen einer Atmosphäre, die heiter und sogar überdreht wird: Dieses Florida scheint eine Mischung aus Disneyland, Charlies Schokoladenfabrik und einem leicht beschwipsten Hüpfburgfestival zu sein. Die Bläser hat Colin Stetson (Arcade Fire, Bon Iver) beigesteuert. „Wir sind große Fans von Colin und sein Sound ist wirklich supereinzigartig. Wir schreiben nie Noten für jemanden auf, deshalb war es toll, dass er kam und ein paar Ideen skizzierte, während der Song lief.”

Zu dieser neuen Spontaneität trug auch eine veränderte Arbeitsweise bei. Normalerweise testen Animal Collective ihre neuen Songs zunächst live, bevor sie aufgenommen werden. Diesmal entschied man sich bewusst gegen diese Methode, damit die Stücke frisch sind, wenn sie im Studio ihre endgültige Form finden. “Dieser veränderte Blickwinkel trug entscheidend zu der Weite bei, die man auf diesem Album hört”, sagt Brian Weitz. Ein wohl noch wichtigerer externer Faktor war die Wahl des Aufnahmeorts: In den East West Studios in Hollywood haben schon Marvin Gaye und die Beach Boys gearbeitet (große Teile von Painting With entstanden im selben Raum, in dem Brian Wilson Pet Sounds und Smile aufgenommen hat). Besonders prominent war der Beitrag von Toningenieur Sonny Diperri: „Er spielte eine wichtige Rolle beim Klang des Gesangs. Wir haben nicht so viele Effekte wie sonst über die Stimmen gelegt, sondern versucht, sehr vorsichtig mit dem Reverb umzugehen, damit das Ergebnis nicht zu verwaschen klingt. Wenn auf dem Album ein Echo zu hören ist, dann ist das meistens ein akustischer Hall. Was von der Großartigkeit dieser alten Studios zeugt – es ist cool, dass man zu Hause in seiner Wohnung aufnehmen kann, sehr viel großartige Musik ist auf diese Weise entstanden. Aber die Mühe und die Zeit, die in die Gestaltung dieser alten Räume investiert wurden, haben auch etwas für sich. Fast wie eine vergessene Kunstform”, schwärmt David Portner.

Passend dazu klingt ein Lied wie Summing The Wretch nun, als hätte jemand die Beach Boys genommen und ins Jahr 2031 entführt. Natural Selection wirkt, als sei ein Computervirus über ein Stück Sixties-Seligkeit hergefallen, hier meintwegen von den Hollies. Es ist eine Charakterisierung, die auf fast alle Stücke dieser Platte zutrifft, ebenso wie die Einschätzung, die man für Hocus Pocus (mit einem Gastauftritt von John Cale) vornehmen, vielleicht sogar als das Grundprinzip von Animal Collective bezeichnen kann: Alles ist irritierend und eingängig.

Das Universum tanzt im Video zu FloriDaDa.

Website von Animal Collective.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

Alle Beiträge ansehen von Michael Kraft →

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.