Antarctigo Vespucci – “Love In The Time Of E-Mail”

Künstler Antarctigo Vespucci

Love In The Time Of E-Mail Antarctigo Vespucci Review Kritik
Die “Love In The Time Of E-Mail” vereinen Punk und putzig.
Album Love In The Time Of E-Mail
Label Big Scary Monsters
Erscheinungsjahr 2018
Bewertung

„Maybe this is just another good thing that happens to everybody but me / maybe this is just another good thing / out of my reach“, singt Chris Farren in Another Good Thing nach ungefähr zwei Dritteln dieses Albums. Das Lied entfaltet eine großartige Loser-Romantik und ist bei weitem nicht der einzige Moment auf Love In The Time Of E-Mail, in dem man an Weezer denken muss. Zugleich wundert man sich: Dass die guten Sachen immer nur den anderen passieren, sollte sich für Chris Farren mittlerweile eigentlich als Trugschluss herausgestellt haben. Denn zuletzt ist es für ihn als eine Hälfte von Antarctigo Vespucci durchaus gut gelaufen.

Es hätte auch anders kommen können: Nach zwei Alben löste sich 2013 seine Band Fake Problems auf. Aus Florida zog er nach New York, und dort erwies sich die Begegnung bei einer Party als wichtige Weichenstellung für die nächsten Jahre: Chris Farren traf Jeff Rosenstock wieder, seinerseits Frontmann von Bomb The Music Industry! Mit dieser Band hatten Fake Problems mal eine Tour bestritten, auch danach gab es gelegentlich gemeinsame Konzerte. Nun beschloss man, gemeinsam ein paar Lieder zu schreiben. Als klar wurde, wie gut das funktioniert, wurde aus der Idee eine Band namens Antarctigo Vespucci, nach den EPs Soulmate Stuff und I’m So So Tethered sowie dem Debütalbum Leavin’ La Vida Loca (und parallelen Solokarrieren, denn auch die Band von Jeff Rosenstock existiert mittlerweile nicht mehr) gibt es nun den zweiten Longplayer.

Wie gut das Duo weiterhin den Spagat zwischen Punk, New Wave und Indie auf der einen Seite und Powerpop mit gehörigem Bubblegum-Anteil auf der anderen Seite beherrscht, macht Love In The Time Of E-Mail unmittelbar klar, zugleich kann man ein paar neue Elemente im Sound von Antarctigo Vespucci entdecken. Der Normalzustand für die Erzählposition ist, wie schon im eingangs erwähnten Another Good Thing, fast immer ein schwärmerisches, unglückliches Verliebtsein, in das sich Farren und Rosenstock voll und ganz hineinwerfen möchten.

„I hope I can be important in your life one day“, heißt das dann im untröstlichen Quasi-Intro  Voicemail. „I wish I didn’t fall in love with everyone I ever met“, singt Farren im eher akustischen Do It Over. Das für die meisten Menschen eher unangenehme White Noise wird hier herbeigewünscht, weil es die stetige Präsenz einer Angebeteten ersetzen könnte, die Farren nicht aus dem Kopf bekommt. Im herzzerreißenden Album-Schlusspunkt E-Mail zeigt sich, dass seine bereitwillig zur Schau gestellte Schüchternheit nicht nur ein Wesenszug ist, sondern offensichtlich auch die Reaktion auf viele schmerzhafte Erfahrungen. „I wanted to see you, to see if I still wanted to see you“, zitiert er in Breathless On DVD einen Satz von Jean-Paul Belmondo aus Atemlos, zu einem Refrain, der auf fast infantile Weise heiter ist.

Auch Kimmy wird mit Glockenspiel und Handclaps fast Pop-Punk-übermütig im Stile von Wheatus, The Price Is Right Theme Song explodiert ebenfalls beinahe vor Eingängigkeit. Dem stehen etwas rohere Passagen wie das nicht weniger umwerfende All These Nights gegenüber oder Lifelike, das vom Klavier geprägt wird und beinahe echte Schwermut aufkommen lässt. Auch Not Yours ist weit von Albernheit entfernt: Es geht um Abhängigkeiten, Besitzansprüche und Machtkämpfe in Beziehungen – natürlich wird das aber nicht in Trübsal verpackt, sondern in einen sehr kurzweiligen Boogie.

Freakin’ U Out wird der beste Song der Platte, weil er auf prototypische Weise Punk und putzig vereint, was nun einmal der Markenkern von Antarctigo Vespucci ist. So Vivid! ist das Lied, das am besten zeigt, wie die Verbindung aus Niederlagen, Sorgen und Selbstzweifeln mit mitreißenden Melodien und einer manchmal theatralischen Pop-Ästhetik gelingt: Was man für beides braucht, ist ein Hang zur Romantik.

Die Jubiläumsfeier im Video zu Freakin’ U Out ist nicht allzu gut besucht.

Antarctigo Vespucci bei Bandcamp.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

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