Bill Ryder-Jones – “Yawny Yawn”

Künstler Bill Ryder-Jones

Bill Ryder-Jones Yawny Yawn Review Kritik
Auf “Yawny Yawn” interpretiert Bill Ryder-Jones seine neusten Songs neu am Klavier.
Album Yawny Yawn
Label Domino
Erscheinungsjahr 2019
Bewertung

Als Bill Ryder-Jones im November 2018 sein Album Yawn veröffentlichte, war auf dem Cover ein Familienfoto zu sehen. Vorne ein frecher kleiner Junge (womöglich der Künstler selbst), im Hintergrund ein paar andere Kinder, vielleicht Geschwister. Auch bei Yawny Yawn ist das wieder so. Diesmal zeigt das Motiv allerdings eine alte Dame, Tee trinkend. Die eigentlich wichtige Information steckt im Hintergrund. Denn da sitzt ein kleiner Junge am Keyboard, mit kurzer Hose und Kopfhörern, wahrscheinlich um die Oma mit seinem Geklimper nicht zu stören. Das ist der entscheidende Hinweis auf das Konzept der Platte: Der Engländer hat die Lieder von Yawn neu eingespielt, ganz alleine am Klavier.

Der Titel ist inspiriert von den Beach Boys: 1967 veröffentlichten sie Smiley Smile, als das von allen als Meisterwerk erwartete Smile einfach nicht fertig werden wollte. Dass man es hier mit der ultimativen Essenz seiner Lieder zu tun haben könnte, weist der 35-Jährige aber gewohnt lakonisch von sich: „Ich kann mich nicht erinnern, warum ich es für eine gute Idee hielt, eine Klavierfassung von Yawn zu machen. Ich nehme an, irgendwann hatte ich das Gefühl, dass das Original zu viel Schwung hatte. Es hat eigentlich ziemlich viel Spaß gemacht, obwohl ich seitdem eine Abneigung gegen das Aussehen meiner Hände entwickelt habe.”

Die neuen Fassungen betonen Romantik und Gefühl in seinen Liedern und zeigen, dass schon die Vorlagen von seinem vierten Album ziemlich düster waren. Ein weiterer sehr willkommener Effekt: Die Songs führen in ihrer minimalistischen Form quasi automatisch zu einem sehr konzentrieren Hören, nicht nur weil vier der zehn Lieder auf Yawny Yawn über sechs Minuten lang sind.

Die Reihenfolge ist unverändert, somit eröffnet There’s Something On Your Mind die Platte und wirkt nun wie einer der untröstlichen Momente von Billy Corgan. Time Will Be The Only Saviour verwandelt sich in ein Idyll, wie eine Rast an einem ruhigen See nach einem angenehmen Spaziergang. Ist schon die Vorlage von And Then There’s You äußerst fragil, so wagt man sich bei der neuen Version kaum zu atmen. Auch Recover ist bis auf das Allernotwendigste reduziert, die sehnsuchtsvolle Trauer in John wirkt noch greifbarer, denn Bill Ryder-Jones singt es hier, als wäre der Angesprochenen anwesend, direkt gegenüber auf der anderen Seite des Klaviers.

Yawny Yawn macht auch deutlich, wie gut der einstige Mitbegründer von The Coral (wo er wohlgemerkt der Lead-Gitarrist war, nicht etwa Pianist) es versteht, die Grundstimmung eines Songs in eine einzige Zeile zu packen. Wenn er in Mither „I don’t feel much anymore“ singt, glaubt ihm das kein Mensch, so viel Bedauern ist hier zu spüren. Das Versprechen Don’t Be Scared, I Love You klingt hier erst recht besonders und glaubhaft, No One’s Trying To Kill You wirkt hingegen plötzlich, als sei es wie aus der Erinnerung geäußert, womöglich als ein Versprechen, das er nicht halten konnte. „I just don’t feel myself today“ fasst die beinahe geisterhafte Atmosphäre von There Are Worse Things I Could Do schön zusammen, der schon auf dem Original-Album im höchsten Maße ironische Happy Song wirkt hier nicht mehr wie ein böser Scherz, sondern wie das Ergebnis lebenslangen Leidens. Auch wenn das oft schmerzhaft intim ist: Wenn die Oma noch kann, sollte sie diesmal unbedingt hinhören.

So schlimm sehen die Hände im Video zu Don’t Be Scared, I Love You gar nicht aus.

Website von Bill Ryder-Jones.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

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