Autor Ethan Hawke Autor Armin Mueller-Stahl
Titel Aschermittwoch Titel Hannah
Verlag Ullstein Verlag Aufbau-Verlag
Erscheinungsjahr 2002 Erscheinungsjahr 2004
Bewertung ***1/2 Bewertung ***1/2



Wenn Schauspieler plötzlich Bücher schreiben, reagiert man naturgemäß skeptisch. "Warum lassen die das nicht jemanden machen, der sich damit auskennt?", ist eine der berechtigten Fragen, die sich schnell stellen. Zu befürchten sind literarischer Pfusch und unerträgliche Selbstdarstellung. Bei "Hannah" und "Aschermittwoch" bekommt man jedoch keines von beiden, auch wenn die Autoren renommierte Mimen sind: Armin Mueller-Stahl (74), bekannt vor allem als Höfel in "Nackt unter Wölfen", als Chef der grauen Männer in "Momo" oder als Thomas Mann aus "Die Manns - ein Jahrhundertroman", und Ethan Hawke (34), als Troy in "Reality Bites" noch gut im Gedächtnis, auch gelobt für seine Rollen in "Gattaca" und "Hamlet". Beide haben auch literarische Meriten. Ethan Hawke ließ mit seinem Roman-Debüt "Hin und weg" mehr als aufhorchen, Armin Mueller-Stahl hat schon Anfang der 80er Jahre seine ersten Bücher veröffentlicht.
So plötzlich greifen die beiden also gar nicht zur Feder. Und dass sie (auch) etwas von diesem Handwerk verstehen, daran lassen sie mit ihren neuesten Werken keinen Zweifel. Nach der Lektüre von "Hannah" und "Aschermittwoch" kommt es einem gar nicht mehr so seltsam vor, dass Schauspieler plötzlich Bücher schreiben. Im Gegenteil: Es wirkt wie eine ganz natürliche Fortsetzung ihres eigentlichen Metiers. So wie ein Schneider, der plötzlich eigene Klamotten entwirft. Oder ein Sänger, der zu komponieren anfängt.
Womit wir schon fast bei Armin Mueller-Stahls "Hannah" sind. Denn die Titelfigur ist eine ebenso begabte wie berühmte Geigerin. Ihr Vater, ein erfolgreicher Schriftsteller, trifft sich nach deren Tod mit einem alten Schulfreund. Sie schwelgen in Erinnerungen, wollen sich aber auch aussprechen. Der eine ist gespannt, wie sich die jahrzehntelangen Beziehung der beiden alten Männer nun entwickeln wird, der andere will einen Betrug rechtfertigen, der sich am Ende als dreifacher Betrug herausstellen wird. Sie stehen sich, wie es an einer Stelle heißt, "am Ende des Lebens anklagend gegenüber und nicht weiser als früher, nicht wissend, was richtig oder falsch ist". Untermalt wird das Treffen von Hannahs Konzerten, so himmlisch beschrieben, dass man als Leser fast vergeht vor Sehnsucht nach diesen Klängen, die doch bloß Buchstaben sind. Hannah spielt auf den Aufnahmen Bach oder Brahms, und damit ihr eigenes Requiem.
Der Musik-Metapher von "Hannah" entspricht in "Aschermittwoch" die Metapher des Sports. Ethan Hawkes Held Jimmy ergeht sich gerne im Basketball-Jargon, wenn er auf der Suche nach den richtigen Worten ist. Oft findet er dabei sogar passende Bilder, die beim Gegenüber aber als sehr unpassend ankommen - etwa, wenn er seiner Freundin Christy einen Heiratsantrag macht. Gerade diese Szene ist ein gutes Beispiel für Hawkes beeindruckende Fähigkeit, Figuren zu erschaffen, die gerade deshalb so echt sind, weil sie ihr Innerstes ausloten wollen, dabei aber manchmal nicht allzu weit kommen. Dieses Streben und Scheitern zu zeigen, macht sie ehrlich und lebendig und gibt Hawkes literarischen Roadmovie eine enorme emotionale Spannung.
Es gibt noch mehr Parallelen zwischen den beiden Schauspieler-Büchern: In beiden Werken geht es (auch) um eine Hochzeitsreise. Beide haben enorm eindrucksvolle Frauenfiguren (während Hannah vor Lebensfreude strotzt, ist Christy, die in "Aschermittwoch" abwechselnd mit Jimmy als Erzähler auftritt, von Zweifeln erfüllt). In beiden geht es um den Kampf der Generationen mit- und gegeneinander. Und schließlich gibt es noch einen interessanten Effekt: Wer Ethan Hawke als den verschlafenen Schönling Jesse in "Before Sunrise" gesehen hat, wird sich noch schneller mit dem Jimmy aus "Aschermittwoch" identifizieren können. Und Mueller-Stahls intellektueller, etwas selbstgerechter Übervater von "Hannah" ist auch deshalb so beeindruckend, weil man ihm sofort das Gesicht des Taxifahrers Helmut geben kann, den der Autor in Jim Jarmuschs grandiosen "Night on Earth" gespielt hat. Gerade weil man den Autor kennt, ein Bild vor Augen hat, gewinnen somit beide Bücher.
Beste Stelle "Hannah": "Wie hätte ich die Leine einfach loslassen sollen, wie Hannah in dem Brief schrieb? Die Leine loslassen bedeutet doch auch, die Liebe loslassen. Wie kann man, wenn man liebt, die Liebe einfach loslassen?"
Beste Stelle "Achermittwoch": "Echte Begeisterung für andere Menschen konnte ich nur aus der Ferne aufbringen. Es fiel mir leicht, sie zu mögen, solange sie mir nicht zu nahe kamen - dies galt besonders für meinen Vater. Durch die räumliche Trennung hatte ich gelernt, ihn zu lieben, aber ich wusste nicht, wie ich mich mit ihm verständigen sollte, wenn er vor mir stand. Es erschien mir zu gefährlich. Nur wenn ich allein war, ging mein Atem regelmäßig. In gewisser Weise war ich gegen mein eigenes Leben allergisch."

juli 2005

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