Autor Karl Lauterbach
Titel Gesund im kranken System. Ein Wegweiser
Verlag Rowohlt Berlin
Erscheinungsjahr 2009
Bewertung ****



Es ist selten, dass ein Buch lesenswert ist und man dennoch von der Lektüre abraten will. Karl Lauterbachs «Gesund im kranken System» ist so ein Fall. Denn nach dieser Analyse des Gesundheitssystems kann einem angst und bange werden.
«Gesundheit» darf man jetzt wieder sagen, wenn jemand niest. Das erlaubt zumindest die neue Auflage des Knigge. Doch im Geflecht von Ärzten, Krankenkassen, Apotheken und Pharmaverbänden spielt dieses Wort kaum eine Rolle. Das ist die Erkenntnis von "Gesund im kranken System". Das deutsche Gesundheitssystem müsste eigentlich «Krankheitssystem» heißen. Denn der Gesunde braucht das System nicht, und der Kranke ist ihm weitgehend ausgeliefert – zumindest als gesetzlich Versicherter.
Lauterbach macht klare Ansagen, belegt seine Thesen mit Fußnoten und schafft es, die komplexe Materie in einer verständlichen Sprache und sehr lebensnah zu präsentieren. Dass Lauterbach ohne Rücksicht auf Verluste abrechnet mit der Zweiklassenmedizin, ist die große Stärke dieses Buches.
Wenn er Verstrickungen, Profiteure und Schuldige benennt, ist das eine durchaus spannende Lektüre. Am Pranger stehen fast alle: Pharmaunternehmen, die mit kaum verhüllter Korruption nutzlose Medikamente in den Markt drücken. Krankenkassen, die unwirtschaftlich arbeiten und ihre Patienten im Stich lassen. Verbände, die sich jedem Reformversuch zum Wohle des Patienten in den Weg stellen. Aufsichtsgremien, die weder für Transparenz noch für Wettbewerb sorgen. Und nicht zuletzt die Politik, die es nicht schafft, sinnvolle Maßnahmen (wie etwa einen höheren Stellenwert der Vorsorge oder eine Positivliste für Arzneimittel) umzusetzen und unsinnige Praktiken zu verbieten.
Lauterbach, selbst Mediziner, geht auch mit den Ärzten hart ins Gericht. Von ihnen fordert er mehr Spezialisierung, mehr Fortbildung, mehr Transparenz und mehr Bereitschaft zur Zusammenarbeit. Dennoch betont der Autor: «Ich habe das Buch für Patienten geschrieben, aber nicht gegen Ärzte.»
Nach einem Kapitel über die Missstände im deutschen System folgen Tipps zur persönlichen Gesundheitsvorsorge (samt Empfehlungen für die richtige Ernährung und sportliche Betätigung) und zum Finden der richtigen Ärzte und Kliniken (mit Checklisten und Übersichtstabellen der vertrauenswürdigsten Einrichtungen). Am Schluss erläutert der SPD-Politiker, wie das Gesundheitssystem aus seiner Sicht verbessert werden sollte (und kann sich dabei leider nicht verkneifen, eine Stärkung der wissenschaftlichen Disziplinen zu fordern, von der gerade sein eigenes Institut an der Universität Köln kräftig profitieren würde). So wird das Buch zugleich Diagnose, Therapie und Prophylaxe.
Die seltsame Form gelingt. Eine Mischung aus politischem Programm, wissenschaftlicher Analyse und gesundheitlichem Ratgeber hält Lauterbach deshalb für sinnvoll, «weil alle, die viel mit Ärzten zu tun haben, auch viele Fragen zum System haben».
Letztlich bleibt der Eindruck, dass hier endlich jemand ist, der in der Endlos-Debatte um das deutsche Gesundheitssystem weiß, wovon er spricht. Jemand, dem mehr einfällt als die ewige Wiederholung der Forderung nach noch mehr Geld. Jemand, der schonungslos sagt, was falsch läuft. Das Buch muss deshalb allen ans Herz gelegt werden. Man wird danach ein ganzes Stück schlauer sein. Und inständig hoffen, dass man gesund bleibt – und das System nicht braucht.

märz 2009


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