Autor Jörg Berger
Titel Meine zwei Halbzeiten. Ein Leben in Ost und West
Verlag Rowohlt
Erscheinungsjahr 2009
Bewertung ****



Wenn Fußballtrainer Bücher schreiben, dann geht es oft um Tore, Transfers und Titel. Manchmal auch um Nachtreten. Bei Jörg Berger ist das nicht so. Er erzählt in "Meine zwei Halbzeiten" von seinem "Leben in Ost und West", wie der Untertitel heißt. Und das ist auch ohne Fußball spannend genug.
Jörg Berger hat Frankfurt, Köln und Schalke in den Uefa-Cup geführt. Er stand mit Frankfurt im DFB-Pokal-Finale und hat in der Schweiz und der Türkei gearbeitet. Er hat gegen den Krebs gekämpft, der ihm heute verbietet, weiter als Trainer tätig zu sein. Doch all das spielt kaum eine Rolle in diesem Buch - und das ist kein Makel. "Meine zwei Halbzeiten" macht klar: Bergers Leben wäre auch ohne Fußball spannend genug, denn es ist ein examplarisches Stück deutscher Zeitgeschichte: Als Baby kommt Berger aus dem heutigen Polen nach Sachsen (und wäre um ein Haar auf der "Wilhelm Gustloff" umgekommen), in der DDR verleiht ihm der Fußball zahlreiche Privilegien, dennoch entschließt er sich zur Flucht und macht dann im Westen Karriere. Das Buch erzählt die Geschichte eines Protagonisten, der alles für seinen Traum riskierte, es zeichnet aber auch das Bild eines Mannes, dem nichts wichtiger ist als sein Sport - und er selbst.
Dieser Mann lebt den Fußball, oft weit über das vernünftige Maß hinaus. Legendär ist der Fernseh-Auftritt, in dem Berger das Alter seiner Kinder nicht nennen kann. Als er nach dem Mauerfall zurück in seine Heimatstadt Leipzig kommt, besucht er als erstes nicht seinen Sohn, den er im Stich gelassen hat, oder seine Eltern, die er seit zehn Jahren nicht gesehen hat, sondern das Stadion. Letztlich wird in diesem Buch klar: Der Fußball war es auch, der Berger zur Flucht trieb - und ihm die Möglichkeit dazu bot.
Jörg Berger ist ein Egoist, der durch seine Flucht plötzlich wie ein Idealist erschien. Es ist Berger hoch anzurechnen, dass er diese Ambivalenz offen thematisiert. "Ich bin kein Held", schreibt er gleich mehrfach - dabei wäre es ein leichtes, sich in dieser glamourösen Rolle zu stilisieren. Und bei der Präsentation des Werkes stellt er fest: "Wenn man ein Buch schreibt, dann kann man das nur machen, wenn man auch ehrlich ist und auch das benennt, was nicht positiv war." Es ist fast erstaunlich zu nennen, wie uneitel Berger, der immer sehr genau auf Aussehen und Image geachtet hat, hier von Fettnäpfchen, Peinlichkeiten und Fehlern berichtet. Dabei kann es sich um die amüsant-naiven Erfahrungen bei der Ankunft im Westen handeln, oder aber um die Probleme, auf der Flucht eine Gelegenheit zum Pinkeln zu finden. Doch die Ehrlichkeit reicht weit über die hier zahlreich vertretenen Anekdoten hinaus. Berger spricht offen über sein Leben in der DDR. Er verschweigt nicht, dass er sich zunächst arrangiert und vom System profitiert. Doch als der Staat in sein Privatleben eingreift und vor allem seiner Karriere im Weg steht, hält es der Trainer nicht mehr aus. Bei einem Länderspiel in Jugoslawien setzt er sich in die Bundesrepublik ab.
Wie weit auch dort der Arm der Stasi reicht (samt Entführungs- und Vergiftungsversuchen), wie das alte Leben Berger bis heute nie los lässt und wie er versucht, sich für seine Flucht zu rechtfertigen, das ist eine höchst spannende Lektüre. Nicht nur für Fußballfans.

märz 2009


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