Autor Michael Jürgs
Titel Wie geht's, Deutschland?
Verlag C. Bertelsmann
Erscheinungsjahr 2008
Bewertung **1/2



Diesmal wagt Michael Jürgs den ganz großen Wurf. Der Ex-Chefredakteuer des "Sterns" hat sich schon in Buchform mit der Arbeit der Treuhandanstalt auseinandergesetzt und mit den angeblich typischen Eigenschaften von Ossis und Wessis. Nun holt er die dickste denkbare deutsch-deutsche Keule raus. "Wie geht's, Deutschland?" soll nichts weniger sein als eine Analyse zur Lage der Nation oder aber "Eine Bilanz der Einheit", wie der Untertitel verspricht.
Auch hier erweist sich der in Hamburg lebende Jürgs zwar nicht als der größte Kenner der Materie, hat aber eine andere Stärke: Er ist fasziniert vom Osten, der auf ihn einen exotischen Reiz auszuüben scheint. Er nähert sich den neuen Ländern aus einer Perspektive neugierigen Zweifels, und das ist nie die schlechteste Herangehensweise. Interesse und mitunter Verständnis für die Probleme und Biographien der Menschen dort bewahren ihn aber nicht davor, reichlich oft in die Klischee-Falle zu tappen (und hier keine Gelegenheit zu einem Kalauer auszulassen, von der unvermeidlichen Banane bis zur Leipziger Buchmesse, die als schlecht getarnte Sexorgie des Literaturbetriebs geschildert wird). Erträglich wird dies immerhin, weil Jürgs auch die Verlogenheit und Schattenseiten des Westens schonungslos aufzeigt.
Dennoch ist "Wie geht's, Deutschland?" ein Ost-Buch. Die neuen Länder seien einfach der bessere Seismograph für die Lage der Nation, schreibt Jürgs an einer Stelle. Für das Buch ist der Journalist neun Monate lang durchs Land gereist, um sich ein Bild zu machen. Er hat mit Angela Merkel geprochen und mit Gregor Gysi, mit Stasi-Leuten und Taxifahrern. Das ist eine Stärke des Buches: Jürgs hat sich Zeit genommen, für offensichtlich ausführliche Gespräche und für intensive Recherche, die hier zudem löblich transparent gemacht wird. Das Ergebnis sind erhellende Zitate und eine immense Faktenfülle.
Zugleich gerät dies aber auch zur Schwäche von "Wie geht's, Deutschland?". Denn Jürgs findet (trotz des nützlichen Anhangs mit Chronologie, Bibliographie und Personenregister) keine überzeugende Form für sein unbestreitbar vorhandenes Mitteilungsbedürfnis. Die Auswahl der Gesprächspartner und Zitate erscheint zum Teil willkürlich, die aufgezeigten Schauplätze und Schicksale werden zu oft verallgemeinert. Jürgs springt von einem Aspekt zum nächsten, so dass letztlich weder ein Lesefluss entsteht noch die im Titel gestellte Frage beantwortet wird. Dazu kommen einige höchst fragwürdige Einschätzungen (beispielsweise haben es Neonazis im Osten seiner Meinung nach leichter, weil die Menschen dort nun einmal dümmer und deshalb anfälliger für derlei Parolen seien) und eine Sprache, die man penetrant nennen muss. Viele Formulierungen sind übertrieben (und nicht immer gelungen) gedrechselt, dazu stellt Jürgs in vielen überflüssigen Nebensätzen seine Leistung und seine Rolle beim Entstehen des Buches heraus. Das Ergebnis ist eine schwer zu ertragende Selbstverliebtheit, die dem Buch nicht gut tut. Wäre man böse, müsste man sagen: typisch Wessi.

november 2008



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