Clipping – “There Existed An Addiction To Blood”

Künstler Clipping

Clipping There Existed An Addiction To Blood Review Kritik
Clipping beleben mit “There Existed An Addiction To Blood” den Horrorcore wieder.
Album There Existed An Addiction To Blood
Label Sub Pop
Erscheinungsjahr 2019
Bewertung

Man könnte die Methode simpel nennen, die Clipping auf ihrem vierten Album anwenden. Man könnte sich sogar wundern, warum ein Act, der bisher für seine ausgesprochen experimentelle Interpretation von HipHop gefeiert wurde, auf There Existed An Addiction To Blood nach einem so durchschaubaren Schema agiert. Ein Track wie He Dead zeigt, wie dieses funktioniert: Clipping nehmen den Beat weg und ersetzen ihn durch Gruselsounds. Dazu erzählen sie eine Geschichte, in der sich Polizisten in Werwölfe verwandeln, und nennen das Ganze: Horrorcore.

Natürlich wäre das eine Fehlinterpretation. Zum einen knüpfen Rapper Daveed Diggs und die Produzenten William Hutson und Jonathan Snipes mit ihrem Ansatz an ein Genre an, das Mitte der 1990er Jahre von Künstlern wie den Gravediggaz oder Brotha Lynch Hung etabliert wurde. Zum anderen zeigt das Trio aus Los Angeles, wie aktuell die Idee eines spezifisch schwarzen Verständnisses von Horror ist. Das besagte He Dead ist letztlich eine Metapher für Polizeigewalt. Es wird eine Warnung, keine Splatter-Szene, auch wenn die Gefahr und die drohenden Konsequenzen sehr drastisch geschildert werden: „You got to be cautious / before they destroy you / (…) stay alive at all costs.“

Auch der Auftakt Nothing Is Safe verfolgt dieses Thema. Der Track wird eröffnet von einem gespenstischen Klavier, das immer nur denselben Ton wiederholt und gut in einen Film von John Carpenter passen würde, am Ende steht ein voller, kraftvoller Sound, den man indes nicht mit „konventionell“ verwechseln sollte. Die Cops erscheinen auch hier nicht als Retter, sondern als Bedrohung. Die Horror-Komponente wird verstärkt durch ein Intro, bei dem man im Hintergrund beunruhigende Geräusche wie Schritte und Schaufeln hören kann, oder durch Interludes, in denen beispielsweise eine Frau am Telefon davon erzählt, wie Geister in ihrem Haus ihr Unwesen treiben, oder ein vermeintlicher Heiler jemanden von seinen Dämonen befreien will.

Es ist typisch für Clipping, wie mutig sie mit diesen Komponenten umgehen und wie radikal sie diese Ideen in ihr Verständnis von HipHop integrieren. Club Down klingt wie eine akustische Fahrt durch die Geisterbahn, mit Schreien, Bibbern und Spezialeffekten. The Show ist nicht weniger hart (und nicht weniger grausam) als die Folterszene in Reservoir Dogs. Der Rhythmus zur Vampirgeschichte in Story 7 scheint fast willkürlich zu sein und auch nur halbwegs als Orientierung für den Rap zu taugen. Attunement beginnt mit 30 Sekunden fiesem Krach, danach wirkt die Musik zerstört, unvollständig und zerfleddert – ohne den Rap darüber wäre sie gar nicht als Musik, nicht einmal als Beat zu erkennen.

Natürlich schaffen es Clipping wie auf den gefeierten Vorgängern seit ihrem Debüt 2013 auch hier, bei aller Experimentierfreude auch mitreißend zu werden. Run For Your Life könnte auch einem Rapper aus Atlanta oder von der Westküste gefallen, obwohl der Beat zwischen „kaum hörbar“, „dezent schräg“ und „nicht vorhanden“ changiert. La Mala Ordina, bei denen Benny The Butcher (Griselda Gang), Elcamino und The Rita mitwirken, hat einen vergleichsweise prototypischen Beat zu einer spukigen Orgel, für das Spektakel sorgen die insgesamt vier Stimmen und am Ende scheint sich der Track mit großer Unnachgiebigkeit selbst zerstören zu wollen.

Ed Balloon, La Chat (Hypnotize Minds), Counterfeit Madison und Pedestrian Deposit sind weitere Gäste auf There Existed An Addiction To Blood, dessen wichtigste Inspirationsquelle der Horrorfilm Ganja & Hess (1973) und dessen Soundtrack von Sam Waymon war. Blood Of The Fang enthält einige Samples daraus und erweist sich als das komplexeste Stück der Platte, auf seltsame Weise auch als das zugänglichste – einfach weil da so viele Elemente sind, die einen Hörer faszinieren und packen können.

Bei All In Your Head kann man am besten erkennen, warum Clipping manchmal auch ins Industrial-Genre eingeordnet werden. Am Ende überrascht darin ein Frauengesang, der problemlos für einen Auftritt im Ballsaal von Babylon Berlin geeignet wäre. Den Abschluss der Platte macht das Stück Piano Burning, geschrieben von der Performance-Künstlerin Annea Lockwood. Tatsächlich kann man darin 18 Minuten lang zuhören, wie ein Klavier verbrennt, mit Knistern, sich losreißenden Saiten und allem Drum und Dran.

Das ist nicht nur ein irrer Abschluss für ein überraschendes Album, es unterstreicht auch die Abenteuerlust von Clipping. Zugleich zeigt There Existed An Addiction To Blood, dass die Wiederbelebung des Horrorcore durch dieses Trio nicht ganz so überraschend ist, wie man zunächst meinen könnte. Hutson und insbesondere Snipes haben parallel zur Arbeit mit Clipping sehr viel Musik für Film und Fernsehen komponiert, natürlich war auch die Collage schon immer ein wichtiges Prinzip, im HipHop allgemein, aber auch ganz besonders bei ihnen – schließlich wurden Clipping 2009 ursprünglich als Remix-Projekt der beiden Produzenten gegeründet, bevor im Jahr darauf Daveed Diggs dazu kam. Vor allem aber lebt Horror von einem Element, das stets auch prägend für den Sound ihrer Musik war: Unsicherheit. Kann man diesem Eindruck trauen? Lauert da nicht etwas Bedrohliches? Ist das gerade wirklich passiert? Wohin führt das? Solche Fragen (und Fallen) stellten Clipping stets auch mit ihren Songs – und hier führen sie diesen Ansatz konsequent weiter.

Ein Horrorfilm aus der Zukunft könnte das Video zu All In Your Head sein.

Website von Clipping.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

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