Die Wannseekonferenz

Film Die Wannseekonferenz

Die Wannseekonferenz Filmkritik
Reinhard Heydrich (Philipp Hochmair), Heinrich Müller (Jakob Diehl) und Adolf Eichmann (Johannes Allmayer, von links) gehören zu den wichtigsten Konferenzteilnehmern.
Produktionsland Deutschland
Jahr 2022
Spielzeit 105 Minuten
Regie Matti Geschonneck
Hauptdarsteller*innen Philipp Hochmair, Johannes Allmayer, Maximilian Brückner, Matthias Bundschuh, Fabian Busch, Jakob Diehl, Lilli Fichtner, Godehard Giese
Bewertung

Worum geht’s?

Am 20. Januar 1942 kommen in einer Villa am Berliner Wannsee 15 Vertreter des NS-Regimes zusammen. Sie wollen auf Einladung von Reinhard Heydrich, Chef der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdiensts des Reichsführers SS, das besprechen, was im Nazi-Deutsch „die Endlösung der Judenfrage“ heißt. Es geht also darum, den längst begonnenen Völkermord besser und effizienter zu organisieren. Vor Ort sind Vertreter von SS, NSDAP sowie aus den zuständigen Ministerien. Sie diskutieren in dem als „Besprechung mit anschließendem Frühstück“ titulierten Termin über Zuständigkeiten ebenso wie über Details der Umsetzung. Der Film zeichnet das Geschehen nach, eng orientiert am von Adolf Eichmann verfassten Besprechungsprotokoll..

Das sagt shitesite:

Die Wannseekonferenz hat sich als historischer Begriff für die „amoralischste Stunde der deutschen Geschichte“ (Tagesspiegel) etabliert. Als Titel für diesen Fernsehfilm überrascht diese schlichte Wahl dennoch zunächst. Schließlich setzt die teilweise am Originalschauplatz gedrehte ZDF-Produktion auf namhafte Schauspieler wie Maximilian Brückner oder Jakob Diehl und strebte zur Erstausstrahlung pünktlich zum 80. Jahrestag des Treffens ein Millionenpublikum an. Da hätte man gut und gerne einen reißerischen Titel wie Die Massenmörder bitten zu Tisch (so lautete die Überschrift der Rezension in der FAZ über diesen Film) oder Conspiracy (so hieß eine amerikanisch-britische Verfilmung des Ereignisses aus 2001 mit Kenneth Branagh in der Hauptrolle) vermuten dürfen. Dass Regisseur Matti Geschonneck und die weiteren Macher*innen stattdessen auf das nüchterne Die Wannseekonferenz gesetzt haben, passt indes perfekt zum Charakter dieses eindrucksvollen Werks. Es ist so kühl, konzentriert und streng wie die damals Beteiligten, und genau daraus erwächst hier das Grauen.

Akkurat und dienstbeflissen werden in der ersten Einstellung je 15 Schreibblöcke und Bleistifte für die Teilnehmer bereit gelegt. Genauso akribisch nach Vorschrift sollte dann der Holocaust umgesetzt werden, dessen Ausgestaltung hier zwischen den verschiedenen beteiligten Instanzen koordiniert wird, als wäre ein Genozid bloß ein Verwaltungsakt. Die Männer am Besprechungstisch wirken nicht wie Fanatiker, Verbrecher und Schlächter. Sie sind Akademiker, Technokraten und Militärs, sie sind auch Karrieristen, Arschkriecher und Ehrgeizlinge. Sie begegnen einander gemäß Etikette, Hierarchie und Protokoll, mit ausgesuchter Höflichkeit und fast so, als sei die Beteiligung an diesem Menschheitsverbrechen bloß eine lästige Pflicht. Umso gruseliger wirkt das, was hier besprochen wird und dann später auch umgesetzt wurde. Begriffe, die das historische und moralische Bewusstsein der Menschheit geprägt haben, nehmen hier ihren Anfang, etwa “Konzentrationslager”, “Gaskammer” oder “Endlösung”. Aber welche Brutalität und Entmenschlichung, welches Leid und welche Verantwortung hinter diesen Begriffen steht, scheint niemandem an diesem Tisch auch nur zu tangieren.

Zwar zeigt Die Wannseekonferenz deutlich die Konkurrenz der verschiedenen Gremien aus Politik, Justiz, SS, Militär und den Behörden in den besetzten Gebieten, ebenso wie das Misstrauen, das Kompetenzgerangel und die Eitelkeiten im System des NS-Staats. Im Laufe der eindreiviertel Stunden (was ungefähr der Dauer der tatsächlichen Konferenz entspricht) arbeiten die verschiedenen Beteiligten mit Druck, Argumenten und sogar mit Charme, um ihre jeweiligen Ziele durchzusetzen. Doch in keinem Moment versucht der Film, so etwas wie Spannung zu inszenieren, einen Konflikt oder ein Duell – selbst, als es bei Nebenabsprachen im Hinterzimmer zunächst zu einem Showdown zu kommen scheint, löst sich alles in vermeintlicher Harmlosigkeit auf. Der Nachzeichnung des historischen Geschehens wird nichts hinzugefügt, um Primetime-Gepflogenheiten oder Massengeschmack besser zu entsprechen. Es gibt keine Gags, keine Musik und natürlich keine Liebesgeschichte als Neben-Plot. Sondern nur die grausam generalstabsmäßige Organisation des Tötens.

Dass dabei der zynisch-kaltblütige Jargon des Dritten Reichs so ausgiebig wiedergegeben wird, in all seiner Schonungslosigkeit und all seiner Verharmlosung, trägt immer wieder dazu bei, dass es einem eiskalt den Rücken herunterläuft. Ohne mit der Wimper zu zucken ist da von „vollständiger biologischer Ausmerzung“ und „Flurbereinigung“ die Rede, das Schicksal der zu ermordenden Männer, Frauen und Kinder wird als „hart, aber verdient“ oder „weltgeschichtliche Notwendigkeit“ bewertet, der geplante Massenmord als „Strafgericht“ oder sogar als angebliche Notwehr gegen das Judentum betrachtet. Niemand stellt die Frage, ob man all das darf. Es geht nur noch um die Ausgestaltung und Legitimation im Rahmen der eigenen Ideologie. Zweifel, Unbehagen und Opposition äußern sich allenfalls in einem Tuscheln oder Hüsteln – lediglich ein Räuspern deutet dann doch einen kurzen Moment der moralischen Erschütterung an, als die Zahl von 11 Millionen zu tötender Menschen in ganz Europa genannt wird.

Ob das dem historischen Geschehen und den Charakteren der damals Verantwortlichen entspricht, sollen Historiker*innen beurteilen. Als Fernsehfilm ist Die Wannseekonferenz ebenso ungewöhnlich wie eindringlich. Nicht zuletzt, weil es mit dem Blick auf den Zusammenhang von Worten und Taten, von Sprache und Entmenschlichung auch eine sehr aktuelle Komponente gibt.

Bestes Zitat:

“Davon können Sie noch Ihren Enkeln erzählen, meine Herren.”

Der Trailer zum Film.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

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