Kim Gordon – “Girl In A Band”

Autorin Kim Gordon

Cover des Buchs "Girl In A Band" von Kim Gordon
Auch auf dem Cover ihres Buches sieht Kim Gordon wie das aus, was sie ist: eine Künstlerin.
Titel Girl In A Band
Verlag Kiepenheuer & Witsch
Erscheinungsjahr 2015
Bewertung

„Musicians Kim Gordon and Thurston Moore, married in 1984, are announcing they have separated. Sonic Youth, with both Kim and Thurston involved, will proceed with its South American tour dates in November. Plans beyond that tour are uncertain. The couple has requested respect for their personal privacy and does not wish to issue further comment.”

So lautete im Oktober 2011 die Pressemitteilung, in der das Aus von Sonic Youth bekannt gegeben wurde. Diese vier Sätze stehen auch recht weit vorne in Girl In A Band, der Autobiografie von Kim Gordon. Mit Privatsphäre ist es dabei aber nicht weit her. Gordon berichtet von einem Leben als Indie-Ikone, 30 Jahren in einer Band und 27 Jahren in einer Ehe. Sie beginnt das Buch mit dem letzten Konzert der Band in Sao Paulo, und sie ist auch danach schonungslos offen.

Die 61-Jährige erzählt von ihrem drei Jahre älteren Bruder Keller, der sie als Kind dominiert, gehänselt und damit geprägt hat und mittlerweile seit Jahrzehnten in einem Pflegeheim lebt, wo er wegen seiner paranoiden Schizophrenie gelandet ist. Sie zeichnet das Ende ihrer Beziehung zu Thurston Moore nach, mit allen schmutzigen Details seiner Affäre: heimliche Treffen in Hotels, Schnüffeln in SMS, Privatpornos. „Niemand konnte wirklich nachvollziehen, wie ausgerechnet Thurston, der eigentlich immer einen guten Riecher für Junkies, Groupies, Spinner oder Mitläufer gehabt hatte, wie ausgerechnet er sich von ihr ebenfalls hatte runterziehen lassen“, ist einer der sehr fiesen Sätze, die sie ihrem Ex-Mann und dessen neuer Liebe um die Ohren haut.

Wie sehr dieser Betrug sie verletzt hat, zeigt nicht nur die Tatsache, dass Moore und Gordon, einst das ultimative Alternative-Traumpaar, mittlerweile auf unterschiedlichen Kontinenten leben, sondern auch die Danksagung in dieser Autobiografie: Da ist Thurston Moore zwar erwähnt, aber nur als Bandmitglied von Sonic Youth, als habe er im Leben von Kim Gordon keine größere Rolle gespielt als die beiden weiteren Mitstreiter Steve Shelley und Lee Ronaldo.

Freilich ist Girl In A Band weit davon entfernt, skandalheischend zu sein oder vorrangig schmutzige Wäsche waschen zu wollen. Kim Gordon erweist sich als ungemein gebildete und reflektierte Erzählerin (ihr Vater war Soziologieprofessor und Dekan an der UCLA). Der erste Teil des Buchs ist auch für Leute, die noch nie etwas von Sonic Youth gehört haben sollten, äußerst lesenswert, einfach weil hier eine interessante Person aus ihrem spannenden Leben erzählt. Erst der zweite Teil nimmt die Band, die der Rolling Stone einmal als „die Könige des amerikanischen Independent-Undergrounds“ geadelt hat, etwas spezieller in den Blick.

Dass die Zeit vor der Band (Kim Gordon geht ausführlich auf ihre Erlebnisse als Teenager in den späten 1960ern in Südkalifornien und die vor Kreativität vibrierenden Jahre in der New Yorker Kunstszene der 1980er ein) und die Zeit danach (in denen sie sich verstärkt ihren Interessen für Schauspiel, Mode, Film und Installationen gewidmet hat) ebenso wichtig für sie war wie die Jahre, in denen sie hauptberuflich Rockstar war, spricht für sich. Und es zeigt den enormen kreativen Hunger, der in dieser Frau steckt. Es gibt viele Fotos in Girl In A Band, und auf jedem einzelnen – selbst als Teenager, selbst als Zehnjährige – sieht Kim Gordon wie eine Künstlerin aus.

Kunst war für sie von frühester Jugend an ein Motor, Ventil und Kompass. Die Leidenschaft für alles Kreative ermöglichte ihr Begegnungen oder Freundschaften mit Danny Elfman (dem Mann, der die Musik für die Simpsons gemacht hat), Gerhard Richter, Johnny Thunders, Neil Young, Marc Jacobs und natürlich Kurt Cobain. Und sie war die Kraft, die immer wieder dafür sorgte, sich selbst zu hinterfragen.

Das ist eine der eindrucksvollsten Erkenntnisse bei der Lektüre von Girl In A Band: Ihren kritischen Blick auf die Welt richtet Kim Gordon mit der gleichen Schärfe auch auf sich selbst. Das sorgt für eine angenehm bescheidene Selbsteinschätzung („Nach 30 Jahren in einer Band klingt es irgendwie komisch zu sagen: ‚Ich bin keine Musikerin.’ Aber die meiste Zeit meines Lebens habe ich mich tatsächlich nie als Musikerin gesehen“, schreibt sie beispielsweise) und eine erstaunliche Ehrlichkeit. Nie hätte man gedacht, dass die Frau, die für ganze Generationen ein Vorbild an Coolness und Souveränität geworden ist, so schüchtern und unsicher sein kann, wie sie sich hier offenbart.

Der Ansatz, Kunst als Lebenskonzept zu begreifen, führt auch zu tiefgründigen Analysen über Entstehung, Bedeutung und Vereinnahmung von Rockmusik, die zu den Höhepunkten dieses Buches gehören. „Elvis Presley, Eddie Cochran, Jimi Hendrix, Janis Joplin, Jim Morrison, Sid Vicious, Darby Crash, Ian Curtis, Michael Jackson und andere sind gewissermaßen wegen unseres Bedürfnisses nach großem ‚Pathos’ gestorben. Indem sie ihre Egos benutzten, um ihre Musik zu formen – und sich in manchen Fällen ihre eigenen, von den Medien erschaffenen Images sogar selbst abkauften –, benutzten sie ihre Selbstbilder, um die vorangegangene Norm zu zerstören und gleichzeitig neue Formen entstehen zu lassen“, schreibt Kim Gordon beispielsweise. „Das Publikum zahlte, um dabei zuzusehen. Es zahlte auch, um bei der Zerstörung der Leben dieser Künstler zuzusehen – dieser illusorischen Freiheit, die zu einer tatsächlichen Freiheit wurde.“

Natürlich reflektiert sie (aus eigenem Antrieb heraus und weil sie ein halbes Leben lang ständig darauf angesprochen wurde) auch ausführlich ihre Rolle als Frau im Rock-Business, etwa in dieser Passage: „Typen machten Musik. Ich liebte Musik. Ich wollte nah an das heran, was Männer empfinden, wenn sie zusammen auf der Bühne sind – um zu versuchen, dieses unsichtbare Ding zu beschreiben. Es war nichts Sexuelles, aber asexuell war es auch nicht.  (…) Im Nachhinein glaube ich, das war der Grund, warum ich mich einer Band anschloss, damit ich inmitten dieser männlichen Dynamik sein konnte, und nicht durch ein geschlossenes Fenster hineinstarren musste, sondern hineinsehen konnte.“ Auch wenn die 61-Jährige längst kein Girl mehr ist und auch nicht mehr in einer Band (jedenfalls nicht in der Band) spielt, ist Girl In A Band deshalb auch der genau richtige Titel für dieses Buch.

„Auf alten R&B-Platten singen die Frauen auf eine echt wilde, absolut geile Art. Im Allgemeinen dürfen Frauen aber nicht einfach nur geil sein. Es ist wie die berühmte Unterscheidung zwischen Kunst und Handwerk: Kunst, Wildheit, Grenzen auszutesten – das ist das männliche Ding. Handwerk, Beherrschung und Schliff ist das Ding für Frauen. Kulturell erlauben wir Frauen nicht, so frei zu sein, wie sie es gern wären, denn das macht Angst. (…) Am Ende des Tages wird von Frauen erwartet, die Welt am Leben zu erhalten, nicht sie auszulöschen“, ist eine der Erkenntnisse, die sie gewonnen hat – obwohl ihr eigener Werdegang diese These Lügen straft. Kim Gordon hat Grenzen gesprengt, einen wilden Sound geprägt und mit Sonic Youth große Kunst erschaffen, und zwar nicht durch Handwerk, Beherrschung und Schliff, sondern durch ein Talent, das in Girl In A Band immer wieder deutlich wird: Sie ist keine Virtuosin, aber ein hoch sensibler Seismograf, für Musik, Gefühle, Ästhetik und Verfall.

Bestes Zitat: „Kunst hatte mir immer eine Richtung gegeben, einen Weg nach vorn, auch wenn ich mich manchmal fühlte, als würde ich schwimmen. Doch als ich No-Wave-Bands sah und hörte, fügte sich in meinem Kopf und Körper sofort etwas zusammen. Etwas, das ich nicht greifen konnte, hatte in meinem Leben gefehlt, und hier war es endlich: unkonventionell, persönlich, aber gleichzeitig auch unpersönlich, und vor allem konfrontativ.“

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

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