EUT – “Party Time”

Künstler EUT

EUT Party Time Review Kritik
Spaß, auch auf Kosten eines Herpes: Das ist das Prinzip bei EUT.
Album Party Time
Label Euphorie
Erscheinungsjahr 2020
Bewertung

Auf dem Cover zum zweiten Album von EUT sieht man einen Mund, mutmaßlich von einer jungen Frau, auf den ersten Blick einladend geöffnet, wie für einen Kuss. Auf den zweiten Blick erkennt man auf der Unterlippe aber ein paar ziemlich deutliche Herpes-Bläschen. Man kann daraus zweierlei ableiten: Erstens liebt die 2016 gegründete Band aus Amsterdam einen Flirt und eine aufregende Geste auch dann, wenn man dafür im Zweifel eine Geschlechtskrankheit in Kauf nehmen muss. Zweitens lohnt bei Megan de Klerk (Gesang), Tessa Raadman (Gitarre), Emil de Bennie (Gitarre), David Hoogerheide (Bass / Keyboards) und Jim Geurt (Schlagzeug) fast immer ein zweiter Blick.

Getroffen haben sich EUT (man spricht das wie “Üt” aus) auf der Musikhochschule in Amsterdam, doch wer bei so einer Entstehungsgeschichte überintellektualisiertes Akademikergeschwurbel erwartet, liegt falsch. Das in ihrer Heimat bereits 2020 erschienene und ab heute auch in Deutschland verfügbare Party Time klingt genau so, wie der Titel es vermuten lässt, nämlich nach jeder Menge Spaß. Dies sind unverkennbar Popsongs, zu denen man singen und tanzen darf (und soll), sie haben aber fast alle (mindestens) einen doppelten Boden. Gleich der Auftakt What Gives You The Kicks zeigt das mit einem sehr verspielten Ansatz, zu dem eine schöne Gitarre gehört und etwas, das auf dem Keyboard wohl “ganzes Orchester auf einmal” heißt, als besonders cleveres und irritierendes Element. Das Ergebnis ist extrem eingängig, macht dem Hörer aber immer wieder einen Strich durch die Rechnung, sobald er glaubt, er habe das Lied gerade durchschaut.

Noch so ein “aber” findet man beim Blick auf die Acts, die EUT als Vorbilder und Einflüsse benennen. Viele davon hatten in den 1990er Jahren ihren Durchbruch wie Beck, für den sie schon im Vorprogramm gespielt haben. Im Titelsong Party Time mit seinem fast mädchenhaften Refrain kann man Elemente von Garbage erkennen, in The Buggs (Part II) klingt Frontfrau Megan de Klerk wie eine beinahe resignierte Courtney Love, wenn der Rhythmus abenteuerlicher wird wie im New-Wave-angehauchten Killer Bee, meint man aus ihrem Gesang auch Gwen Stefani zu Zeiten von No Doubt herauszuhören. Besonders häufig fühlt man sich hier an die schwungvolleren Momente der Cardigans erinnert, etwa in Had Too Much. Aber trotz solcher klar erkennbarer und prominenter Referenzen gibt es hier eine sehr erfreuliche Eigenständigkeit.

Cool ist nicht nur so gelassen, wie der Titel es verspricht, sondern geradezu erwachsen, in When I Dive wollen Bass und Schlagzeug unverkennbar auch mal ins Rampenlicht, was ihnen der am Ende ekstatische Gesang aber ziemlich schwer macht, das Interlude zeigt eine Lust auf Experimente, die EUT auch in den “regulären” Liedern dieser innerhalb von zwei Jahren geschriebenen und aufgenommenen Platte offenbaren. Auch Stuck ist ein Song, der den ADHS-Effekt in der Musik dieses Quintetts zeigt: EUT langweilen sich offensichtlich so schnell und brauchen in so enger Taktung neue Reize, dass ihre Lieder beinahe platzen vor kleinen Details, in diesem Fall etwa einer Männerstimme im Hintergrund, einem kurzen Pfeifen und ein paar Sekunden, die wie Jazz klingen.

Bubble Baby zeigt zum Abschluss von Party Time, dass die Niederländer auch Melancholie beherrschen, zumindest anderthalb Minuten lang, bevor dann ein weiterhin dezenter, aber interessanter Groove entsteht. Der beste Song des Albums ist It’s Love (But It’s Not Mine): Auch hier klingen EUT kunterbunt, aber jeder Teil für sich funktioniert noch etwas unmittelbarer als sonst auf dieser extrem kurzweiligen Platte.

Das Video zu It’s Love (But It’s Not Mine) ist ein Tourtagebuch.

Website von EUT.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

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