Futter für die Ohren mit Run The Jewels, Aluna, Jasmin Tabatabai, Animal House und Das Moped

Run The Jewels Ooh LA LA
Aus aktuellem Anlass werden Run The Jewels großzügig. Foto: Check Your Head/Tim Saccenti

Für übermorgen haben Run The Jewels ihr viertes Album RTJ4 angekündigt. Am 18. September sollte es das Werk dann auch als physischen Tonträger geben. Jetzt geht es allerdings etwas schneller: Killer Mike und El-P, die beiden Köpfe hinter einem der innovativsten HipHop-Acts der vergangenen Jahre, verschenken die elf Tracks, bei denen sie von Pharrell Williams, Mavis Staples, 2 Chainz, Zack de la Rocha und Josh Homme unterstützt werden, ab sofort auf ihrer Website. „Scheiß drauf, warum nicht? Die Welt ist voller Scheiße, also gibt es hier etwas Rohes zu hören, während du mit all dem zurechtkommen musst. Wir hoffen, es macht dir etwas Freude. Bleib sicher und zuversichtlich da draußen und danke, dass du zwei Freunden die Möglichkeit gegeben hast, gehört zu werden und das zu tun, was sie lieben“, sagen die beiden zur Begründung. Größte Ursache für all die Scheiße ist Gier, haben sie längst erkannt, entsprechend entledigen sich im Clip zu Ooh LA LA (****1/2) alle Anwesenden ihres Geldes und ihrer sonstigen Zahlungsmittel. Am Schluss gibt es eine herrlich chaotische Choreografie, die Individualität und Gemeinschaft feiert. Als Gäste sind hier Greg Nice und DJ Premier dabei. Neben einem kraftvollen Beat gibt es ein paar defekte Klavierakkorde und natürlich die Kombination aus Wut und Wille zum Konstruktiven, die man an diesem Duo so schätzt. Wer möchte, kann beim Download auch für den “National Lawyers Guild Mass Defense Fund” spenden, der Demonstranten und Aktivisten juristisch zur Seite steht. Das passt natürlich bestens zu Run The Jewels. Denn die Aktivitäten seit dem Vorgänger zeigen nicht nur die Anerkennung, die sie mittlerweile genießen, sondern auch ihren besonderen Horizont. Dazu gehören eine Gold-Auszeichnung für den Track Legend Has It, ein Grammy-Award für den Soundtrack-Beitrag Chase Me mit Danger Mouse, eine große Tournee mit Lorde, die Netflix-Show Trigger Warning With Killer Mike, sein anstehendes Debüt als Schauspieler sowie das politische Engagement für Präsidentschaftskandidat Bernie Sanders und Atlantas Oberbürgermeisterin Keisha Lance Bottoms. Im nächsten Jahr soll es, wenn Corona es gestattet, eine Tour mit Rage Against The Machine geben. Dürfte ein Highlight werden.

Machen wir ein bisschen Clickbait mit nackter Haut? Okay, gerne. Animal House kommen mit der Aufforderung Legs Out For Summer (***) ums Eck, die nackte Haut beschränkt sich im dazugehörigen, umwerfenden Video allerdings auf reichlich unrasierte Männerbeine und die Botschaft: Beine wollen Freiheit! Der Song „ist ein Aufruf für mehr Stolz auf Imperfektion und für Body-Positivity. Gebt uns mehr haarige Rücken und Schwangerschaftsstreifen!“ sagt Will McConchie, Sänger des Quintetts, das aus drei Australiern und zwei Briten besteht, in Brighton zuhause ist und nach neben den EPs Sorry und Hot Bodies auch schon auf Tourneen mit Courtney Barnett, The Preatures und Indoor Pets verweisen kann. Das Stück, das so ähnlich wie eine rustikalere Variante der Strokes klingt, stammt von ihrem Debütalbum Premium Mediocre, das im November veröffentlicht wurde, und Visions zur Einschätzung brachte: „Würde Comic Sans vertont werden, könnte es genau so klingen. Selbstironisch, zwanghaft gut gelaunt und mit Aufmerksamkeitsdefizit. Aber auch liebenswert.“ Genauso gut wie diese Einschätzung passt dann wohl auch, beim Blick auf das Video, der Spruch, den der Autor A. A. Gill einst in die Welt gesetzt hat: „Shorts are silly. Men in shorts are silly men. And silly is the very worst thing a man can be.“

Auch Das Moped haben nach zwei EPs (Alle wollen Liebe und Niemand Sonst) jüngst ihr erstes Album Erstaunlich Klar vorgelegt. Auch das Trio, das aus der Nähe von Mainz stammt und jetzt in Osnabrück lebt, hat gerade wenig Lust auf Kleidung. Martin Brunner (Gesang, Synthesizer) räkelt sich im Video zu Traurig (*1/2) im Morgengrauen auf und an einer Felswand. Die Verletzlichkeit und Intimität, die mit dem Verzicht auf Klamotten einher geht, passt zur Geschichte, um die es im Song geht: Besungen wird eine Freundin der Band, die an Depressionen leidet. „Für mich war der Song eigentlich nur eine Skizze. Ich habe ihn in meiner WG gesungen, nachts, ich musste etwas leiser sein, weil die anderen schon schliefen“, erzählt Martin Brunner zur Entstehung. Leider ist das Ergebnis bei weitem nicht so bewegend oder tiefgründig, wie man vermuten könnte. Stattdessen gibt es einen Sound, der wie schlecht geklaut bei Oasis’ Whatever klingt (die Streicher wurden erst kurz vor dem Lockdown hinzugefügt), gepaart mit fast schmerzhaftem Falsett-Gesang. Wer da an die Münchner Freiheit denkt, bekommt dafür nicht einmal ein Dementi seitens der Band, als weitere Bezugspunkte nennen sie Echt, Bilderbuch, MGMT und Von Wegen Lisbeth – auch wenn der Song weit von der Qualität all dieser Acts entfernt ist. Noch eher passt da der Vergleich mit Wanda: Mit den Österreichern teilen sich Das Moped den Produzenten Paul Gallister, sie waren auch schon zusammen auf Tour. Dass zwischen Schlager und Pop nicht mehr die unüberwindbare Mauer steht, die es dort geben sollte, ist also nicht nur Helene Fischer anzukreiden, sondern auch Bands wie diesen.

Jasmin Tabatabai hat in ihrer seit fast 30 Jahren laufenden Karriere als Schauspielerin sicher auch die eine oder andere Nacktszene gedreht. Im Job als Sängerin ist sie selbstverständlich züchtig bekleidet und legt mit Jagd auf Rehe auch schon ihr drittes Soloalbum vor. „Ich bin Künstlerin und erlaube mir, mich in den verschiedensten Facetten auszudrücken“, lautet ihre Begründung für das Wandeln zwischen den Welten, entsprechend vielfältig ist auch die Platte, die erneut mit dem Schweizer Musiker, Komponisten und Produzenten David Klein entstanden ist. Es gibt Jazz- und Chanson-Ästhetik, Texte auf Deutsch, Englisch und Französisch, eine Interpretation von Schuberts Ständchen ebenso wie freigeistige Coverversionen Nick Drake, Annie Lennox, den Beatles oder Reinhard Mey. Shekare Ahoo (***1/2) singt sie auf Persisch, begleitet unter anderem von einer Kamanche (einem traditionellen iranischen Streichinstrument, gespielt von Zhubin Kalhor). Das Ergebnis ist eindringlich, einmalig und strahlt einen sanften Mut aus, den vielleicht auch der Balletttanz auf dem Dach zum Ausdruck bringen soll, der im dazugehörigen Video zu sehen ist. Typisch für ein so kunterbuntes Album kann ein einzelnes Stück kaum sein, die Eigenständigkeit, Eleganz und Musikalität von Jagd auf Rehe kann man aber auch hier sofort finden.

Immer nur „feat.“? Oder eine Hälfte von AlunaGeorge sein, für mehr als zehn Jahre? Darauf hat Aluna schon längst keine Lust mehr. „Ich habe es genossen, die Hauptzutat für viele erfolgreiche Dance-Platten zu sein, aber so langsam wollte ich einmal das ganze Gericht kreieren. Ich habe mich, als eine der wenigen schwarzen Frauen, die ich war, oft als Besucherin auf den Bühnen meiner weißen männlichen Kollegen gefühlt. Es kam mir nie in den Sinn, Tanzmusik als meine Musik, als Künstler zu beanspruchen, obwohl sie das Herzstück meiner Verbindung zur Musik war“, sagt die Engländerin. Das ändert sich jetzt. Neben dem Gesang hat sie auch Komposition und Produktion in die eigenen Hände genommen. Erste Kostprobe ist Body Pump (***1/2), das ebenso wie das anstehende Album auf Mad Decent, dem Label von Diplo, erscheinen wird. Aluna (auf ihren Nachnamen Francis verzichtet sie weiterhin) zeigt darin erneut, wie gut ihre Stimme mit Sounds harmoniert, die für den Dancefloor gemacht sind. Wegen der Feier von Emanzipation, die man dem Text entnehmen kann, und dezenten Eurodance-Anleihen könnte man sich das auch von Robyn vorstellen. Eine Verwandtschaft in der Attitüde würde Aluna wohl nicht leugnen: „Es geht darum, die eigene Individualität zu erschließen. Du bist dein eigener Herr und forderst jemand anderen heraus, dich so zu akzeptieren, wie du bist.“

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

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