Futter für die Ohren mit The Naked And Famous, Lea Porcelain, Shabazz Palaces, Tiemo Hauer und Gregor McEwan

The Naked And Famous Review Come As You Are
The Naked And Famous feiern die Inklusivität. Foto: Promotion Werft/Larsen Sotelo

The Naked And Famous betonen, dass der Titel ihres neuen Albums einen autobiografischen Bezug hat. Es geht auf Recover (die geplante Veröffentlichung wurde mittlerweile vom 8. Mai auf 24. Juli verschoben) um Überleben, Vergänglichkeit, Selbstfindung und Robustheit, sagen sie. Natürlich passt der Titel angesichts der Corona-Folgen auch wunderbar als Motto zur Zeit. Die Single Come As You Are (***) ist der dritte Vorab-Track. Alisa Xayalith, die eine Hälfte des neuseeländischen Duos, erklärt: “Zuerst ging es einfach darum, dass jeder eine gewisse Geschichte und auch Ballast mit sich herumschleppt, wenn er eine neue Beziehung eingeht, und dass einen das nicht davon abhalten sollte, sich darauf einzulassen. Aber im Grunde geht es ganz allgemein darum, alle Menschen so zu akzeptieren, wie sie sind, und zu verstehen, dass jeder Liebe braucht.” Ihr Bandkollege Thom Powers ergänzt: “Wir wollen, dass unsere Fans sehen, wie wichtig uns Inklusivität ist, egal ob wir jetzt über Mitglieder der LGBTQ-Community reden oder über Migranten oder Mitglieder einer anderen Minderheit – hier können sich alle sicher fühlen.” Entsprechend nimmt einen der warme, kraftvolle Sound des Songs in die Arme, der auf die sonst bei The Naked And Famous typischen Elemente wie Tanzbarkeit und Synthesizer weitgehend verzichtet und als wichtigstes Stilmittel einen hymnischen Chor nutzt. Für den Clip findet Videokünstler Frank Nitty eine schöne Entsprechung dazu: Er hat Bilder der beiden Bandmitglieder (beide leben längst in Los Angeles) genommen und Teile von ihnen in diverse andere Formen verwandelt und neu arrangiert. Ein Effekt, der sich auch beim Titel für das vierte Album des Duos erkennen lässt, wird hier ebenfalls deutlich: Das funktioniert auf einer persönlichen Ebene genauso wie als großes, gesellschaftliches Statement.

Den Blick auf die Pandemie und ihre Folgen richten auch Lea Porcelain bei der Interpretation des Videos zu Future Hurry Slow (***1/2). Der Song ist zwar schon vor der Corona-Krise entstanden, aber die Botschaft passt bestens: „Wir brauchen alle einander”, sagen Julien Bracht und Markus Nikolaus, die bedingt durch die Schutzmaßnahmen ihre geplante Tour auf August verschieben und derweil an ihrem zweiten Album arbeiten, das im Herbst fertig sein soll. Die drei Protagonisten im dazugehörigen Video verbleiben “alle innerhalb ihres eigenen Orbits“, sagt die Band. “Eine Person dient, eine andere konsumiert und eine weitere performt. Damit decken sie fast alle Typen unserer Gesellschaft ab. Jeder existiert in seiner eigenen Realität, aber muss sich dennoch auf den jeweils anderen verlassen können, um koexistieren zu können. Wie bei einem Puzzle werden alle Teile benötigt, um ein Ganzes zu ergeben.” Das klingt ein wenig wie die Frühphase von Coldplay: schwermütig und nach einem Rest von Hoffnung. Passt also ebenfalls bestens in diese Zeiten.

Fast Learner (****) heißt der erste Ausblick auf das neue Album von Shabazz Palaces (The Don Of Diamond Dreams erscheint am 17. April). Das Hip-Hop-Duo aus Seattle unterstreicht schon mit dieser Kostprobe, dass Sänger und Produzent Ishmael Butler sowie Multiinstrumentalist Tendai “Baba” Maraire auch knapp zehn Jahre nach ihrem Debüt und mittlerweile fünf Alben keineswegs die Lust auf Experimente verloren haben. Gitarren, R&B und eine mit dem Vocoder zusätzlich entstellte Zukunftssprache werden hier vermengt zu Musik wie aus einer anderen Welt. Allenfalls die gesprochenen Passagen und der Gast-Rap von Purple Tape Nate scheinen es ein wenig im Hier und Jetzt zu verankern. “No one does Afrofuturist hip-hop like Shabazz Palaces“, hat The Fader festgestellt, und das gilt auch hier wieder: Konzept und Improvisation, Instinkt und Intelligenz gehen eine einzigartige Symbiose ein.

 

Den Titel für den Albumtitel des Jahres dürfte Tiemo Hauer schon sicher haben. Sein nächste Woche erscheinender fünfter Longplayer wird Gespräche über die Vor- und Nachteile des Atmens heißen. Der Mann aus Stuttgart, der zuletzt auf der EP Ein kurzes für immer eine Trennung verarbeitet hat, liefert natürlich auch diesmal wieder autobiografische, hoch romantische und gerne tiefgründige Songs. Die einfache Botschaft der Single Ich bin bei dir (***1/2) findet in einem minimalistischen Video ihre Entsprechung, was die Wirkung dieses Treueschwurs verstärkt. Gekonnt wird die Klavier-Basis mit Gitarren und ein wenig Schlagzeug um zusätzliches Drama angereichert. Da soll (und darf) man ruhig Gänsehaut haben.

Dass in diesen Tagen nicht nur eine Pandemie herrscht, sondern auch der Frühling beginnt, bringt Gregor McEwan mit seiner neuen Single Fwd: Sping! (****) in Erinnerung. Es geht um das Erwachen und Feiern des Moments nach dem langen Winter, ebenso wie um Lehren aus der Vergangenheit, für die man im besten Falle in jedem Frühling aufs Neue die Gelegenheit hat. „Live life forwards / understand it backwards“, heißen die wunderbaren ersten Zeilen, die das auf den Punkt bringen. Orgel, Marching-Drums, Bläser und Glockenspiel unterstützen beim Verjagen der dunklen Jahreszeit (die trotzdem präsent bleibt) und dem Begrüßen der Frühlingsgefühle (die eher freudig erwartet werden als schon voll entfaltet sind). Dieser März hat also eindeutig auch seine schönen Seiten.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

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