Bat For Lashes – “The Haunted Man”

Künstler Bat For Lashes

Nackt auf dem Cover - das ist sinnbildlich für das dritte Album von Bat For Lashes.
Nackt auf dem Cover – das ist sinnbildlich für das dritte Album von Bat For Lashes.
Album The Haunted Man
Label Parlophone
Erscheinungsjahr 2012
Bewertung

Natasha Khan ist nackt auf dem Cover von The Haunted Man. Das muss zuerst gesagt werden, nicht nur für all die Perversen, die nach „Natasha Khan nackt“ im Internet suchen und dann lieber hier landen sollen statt auf irgendwelchen Pfui-Seiten. Sondern auch, weil diese Nacktheit in mehrfacher Hinsicht symbolisch ist für The Haunted Man, das dritte Album von Bat For Lashes.

Erstens deutet die Nacktheit den Entschluss an, zurück zu den Wurzeln zu kehren. Diese Richtung kann man in den elf Liedern durchaus erkennen. Das bedeutet nicht, dass hier plötzlich alles minimalistisch ist. Aber Khan lässt einige der überflüssigen Elemente weg, die es auf den ersten beiden Alben Fur And Gold (2006) und Two Suns (2009) noch gab und die mitunter ablenkten vom Kern ihres Schaffens. Zweitens, und passend dazu, steckt in diesem Nacktfoto, aufgenommen von Ryan McGinley, die Botschaft, dass es bei Bat For Lashes nun keinen Hokuspokus und Hippie-Utensilien wie Federn, Hüte, Pferde oder vergoldete Reichsäpfel mehr braucht, die auf den Plattenhüllen der Vorgänger zu sehen waren. “Alles, die gesamte Kunst, kommt aus meinem Selbst” – an dieser Aussage kommt man wohl nicht vorbei. Drittens ist die Pose im Adams- (oder eher Eva-)Kostüm ausgesprochen mutig.

All das passt wunderbar zu The Haunted Man. Es ist ein großartiges Popalbum geworden, das die Stärken klassischer Instrumente ebenso nutzt wie die Möglichkeiten von Elektronik, ohne sich auf einen Schwerpunkt festlegen zu lassen oder stilistische Scheuklappen zu tragen. Es gibt hier Pauken, Harfen und Akkordeons ebenso wie die feinen Beats von Dan Carey und David Kosten, mit denen Natasha Khan die meisten Stücke geschrieben hat. Es gibt auch kleinere Rollen für Musikgrößen wie Dave Sitek, James Ford oder Beck, und doch gibt es nichts auf The Haunted Man, das jemals Natasha Khan in den Schatten stellen könnte.

Das erste, was man hört, ist ihre Stimme. Im düsteren Lilies schraubt sie sich ganz hoch, zu filigranen Streichern und einem winzigen Dubstep-Flirt, um im Stoßgebet „Thank God I’m alive“ zu münden. All Your Gold, eine weitere Single, hat einen sehr coolen Groove, der dadurch noch origineller wird, dass er zunächst ganz ohne Schlaginstrumente auskommt. Winter Fields ordnet sich mit seinem orchestralen Sound irgendwo zwischen Björk und Goldfrapp ein, Rest Your Head hat viele fantasievolle Details zu bieten, A Wall wird am Ende sogar tanzbar. Oh Yeah dürfte zu den Favoriten im iPod von Kate Bush gehören.

Die Musik von Bat For Lashes ist großspurig, aber nicht, um mangelnde Substanz durch große Gesten überdecken, wie beispielsweise Marilyn illustriert. Sie entspricht der Variante von „mutig“, die keinesfalls „unhörbar“ bedeuten muss, wie etwa der fein arrangierte Schlusspunkt Deep Sea River beweist.

Mit Laura gibt es von Bat For Lashes eine herrliche Ode an die Freundschaft. „Oh Laura / you’re more than a superstar“, singt Natasha Khan in vollkommen neidloser Bewunderung, erst nur vom Klavier begleitet, später von dezenten Bläsern. „A masterclass in bruised-and-brittle balladry that’s capable of squeezing a tear out of a glass eye”, hat der NME das sehr treffend genannt.

Ein Erlebnis, sogar ein akustisches Abenteuer, wird der Titeltrack. „I couldn’t sleep last night / ’cause I tried to forget you“, heißen die ersten Zeilen von The Haunted Man, das Schlagzeug klingt dazu wie ein Herzschlag, dann scheint eine Armee heranzumarschieren, die nicht an ihren eigenen Sieg glauben mag, deren Soldaten in der Grundausbildung aber eine intensive Schulung im Kanon-Gesang erhalten haben. Schließlich landet das Lied auf einer Electro-Achterbahn, umrahmt vom Bekenntnis: „Still I’m holding out my hand / Standing by my haunted man / Yes, your ghosts have got me too / But it’s me and you.“

Allein dieses Lied ist so dermaßen kreativ, dass man kaum glauben mag, dass Natasha Khan bei der Arbeit an diesem Album zunächst mit einer Schreibblockade zu kämpfen hatte. Womöglich lag es an der sehr hohen Messlatte: Die beiden ersten Bat-For-Lashes-Alben waren jeweils für den Mercury Music Prize nominiert, für den Hit Daniel erhielt sie den Ivor-Novello-Award. Nach dem Erfolg von Two Suns (weltweit mehr als 250.000 verkaufte Exemplare), nach Tourneen im Vorprogramm von Coldplay, Blur und Depeche Mode und einem Track mit Beck für den Twilight-Soundtrack war zudem sicher auch reichlich Erwartungshaltung im Sinne des Zündens der nächsten Karrierestufe da. Das alles führte dazu, dass Khan zwischendurch glaubte, sie könne nie mehr ein Album machen.

The Haunted Man ist ein Triumph, nicht nur über diese Schaffenskrise, sondern auch als meisterhafte Popplatte. Es ist intellektuell anregend und emotional berührend, es ist virtuos und aufrichtig, es ist hintergründig und unmittelbar. Es ist der Beweis: Diese Frau kann offensichtlich noch viel mehr auf ihren Schultern tragen als einen nackten Mann.

All Your Gold von Bat For Lashes live für die BBC:

httpv://www.youtube.com/watch?v=6-ZrVQfc-BY

Homepage von Bat For Lashes.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

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