Boys Noize – “Mayday”

Künstler Boys Noize

Mayday Boys Noize Kritik Rezension
Als Warnung vor Konformismus soll “Mayday” verstanden werden.
Album Mayday
Label Boysnoize Records
Erscheinungsjahr 2016
Bewertung

“I can break it down like this”, heißt die erste Zeile auf diesem Album. Der dazugehörige Track, Overthrow, wäre auch auf Dig Your Own Hole gut aufgehoben gewesen. Aber noch mehr aufhorchen lassen doch diese Worte. Das ist eine selbstbewusste und stolze Aussage, aber vor allem ein Bekenntnis zur Individualität – und bringt damit genau auf den Punkt, wofür das vierte Album von Alexander Ridha a.k.a. Boys Noize steht.

“Ich würde meinen Sound nicht als glatte Techno-Musik bezeichnen. Das ist jetzt auch ein Thema des neuen Albums: klarzumachen, dass es eine Welt zwischen den Welten gibt”, sagt der gebürtige Hamburger, der jetzt in Berlin lebt. Um diese Botschaft rüberzubringen, hat er auf Mayday erneut eine erstaunliche Vielfalt an Sounds zusammengefügt. Los Ninos vereint scheinbar willkürlich aneinander gereihte Sprachsamples, eine deutlich erkennbare E-Gitarre und ordentlich Wumms. Birthday (feat. Hudson Mohawke & Spank Rock) zeigt, wie HipHop klingen muss, der sich selbst herausfordert. Revolt ist ganz weit weg von etwas, das manche Leute noch immer in erster Linie als Tanzmusik begreifen. Dem Titelsong will man einen einen Killer-Bass attestieren, bis man dann kurz vor dem Ende des Albums Hardkotzen hört und erkennt, was wirklich ein Killer-Bass ist.

Ergänzend zu diesem Eklektizismus bietet die Platte diesmal recht viel Gesang. “Mayday ist in diesem Fall mein Warnsignal gegen blinde Kategorisierung und konforme Gleichschaltung. Ein Aufruf zu Individualität und Vielfalt – und ein Tribut an Außenseiter”, sagt Ridha. Natürlich geht es bei Boys Noize nicht in erster Linie um Poesie, trotzdem klingt sein Anliegen hier in mehreren Momenten sehr eindrucksvoll durch. “It’s time for you / to make your mark on the world”, heißt es in Dynamite (feat. Benga). Der Refrain dazu könnte von David Guetta sein, aber die Strophe ist viel zu gewagt für die Verhältnisse des omnipräsenten Franzosen.

“Calling out to mine / you’re a starchild”, beginnt Starchild, die äußerst wundervolle Zusammenarbeit von Boys Noize mit Polica. Mit einer traumwandlerischen Sicherheit hält der Song die Balance aus Sehnsucht, Spannung und der Gewissheit, dass es Glück gibt – auch wenn diese Gewissheit wohl nicht auf der eigenen Erfahrung beruht. Midnight zählt im Stundentakt von Mitternacht bis 10 Uhr, um dann zur Schlussfolgerung zu kommen: “Let’s do it again.” Das ist bestens geeignet für die Festivalshows, die Alexander Ridha so gerne spielt, und noch besser geeignet für die DJ-Sets in kleinen Clubs, die er noch viel mehr liebt.

Dass Mayday mehr bietet als ein bisschen Studio-Fließbandware, die zwischen solch gut bezahlten DJ-Sets abfällt, ist für Ridha längst Ehrensache. “Um Dinge zu kreieren, die mich auch selbst überraschen, muss ich alles andere beiseite drängen und in einen Tunnel kommen”, sagt der 33-Jährige, dessen Lebenslauf mit Remixes beispielsweise für Daft Punk oder Marilyn Manson glänzen kann, ebenso wie mit Kollaborationen unter anderem mit Snoop Dogg und Jarvis Cocker. Was er in 2 Live veranstaltet, ist nicht Techno, sondern Future-Pop. Euphoria (mit Remy Banks) erweist sich als fünfter Track des Albums als der bis dahin am wenigsten euphorische Track von Mayday, eher reduziert und repetitiv.

Would You Listen wird vergleichsweise muskulös, Rock The Bells hat einen fantastischen HipHop-Beat, der noch ein bisschen umwerfender wird, wenn man weiß, dass es bei Boys Noize keine Presets gibt. Für jedes Album fängt Ridha bei Null an. “Natürlich schießt man sich damit ins eigene Bein, weil es viel mehr Aufwand ist. Eine Band wechselt ja auch nicht bei jedem Song das Schlagzeug. Man vermeidet aber auch Wiederholungen und kommt zu einer Dynamik und Vielfalt, die ich sonst nicht erreichen könnte. Und wenn ich Glück habe, findet der Hörer trotzdem den roten Faden”, sagt er.

Das gelingt eindeutig, mit dem erfreulichen Nebeneffekt, dass Mayday nicht nur viele gute Tracks bietet, sondern auch als richtiges Album funktioniert. Mit Spannungsbogen, Vielfalt und einem glühend roten Faden.

Nazis und Schwarze finden im Video zu Overthrow zueinander.

Website von Boys Noize.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

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