Low – “Ones And Sixes”

Künstler Low

Cover des Albums Ones And Sixes von Low
Reduziert ist auf dem elften Album von Low nicht nur die Verpackung.
Album Ones And Sixes
Label Sub Pop
Erscheinungsjahr 2015
Bewertung

Lassen wir zuerst den Frontmann sprechen. “In our 20+ years of writing songs, I’ve learned that no matter how escapist, divergent, or even transcendent the creative process feels, the result is more beholden to what is going on at the moment. It’s hard to admit that one is so influenced by what is in front of us. Doesn’t it come from something magical and far away? No, it comes from here. It comes from now”, sagt Alan Sparhawk, Sänger von Low, über das morgen erscheinende elfte Studioalbum seiner Band. „I’m not going to tell you what this record is about because I have too much respect for that moment when you come to know it for yourself.”

Er hat völlig recht: Das Trio aus Duluth klingt auf Ones And Sixes, das von der Band zusammen mit BJ Burton in Justin Vernons April Base Studios produziert wurde, so geheimnisvoll und vielschichtig wie stets – und das mit einem denkbar reduzierten Sound. Alles auf Ones And Sixes spielen Alan Sparhawk, Mimi Parker und Steve Garrington mit viel Raum zum Atmen. Jeder Ton darf sich entfalten, jedes Gefühl (meist ist es die Verzweiflung, aber sie hat bei Low natürlich viele Schattierungen) wird ausgekostet.

Lassen wir dann vielleicht einen Super-Fan zu Wort kommen. “The intimacy is haunting”, sagt Dee Dee von den Dum Dum Girls – seit fast 20 Jahren begeisterte Anhängerin von Low – über den ersten Song der Platte. Gentle erweist sich als ein ziemlich fieses Zwiegespräch zwischen Ex-Liebhabern, sehr ernst und sehr bestimmt. „It has the same effect as Kate Bush’s Watching You Without Me and forces a roll call of all the doomed communication in my life”, sagt Dee Dee.

Diese Intensität, dieses Gefühl, ganz unmittelbar betroffen zu sein, ist die Eigenschaft, die Ones And Sixes am meisten prägt, überdeutlich in Congregation, das nur von Mimi Parker gesungen wird, in Into You, das einer Beschwörung gleicht, oder im elektronischen und tonnenschweren The Innocents: Vielleicht hätten Joy Division so geklungen, hätten sie von Anfang an ihr Ende gekannt.

Erstaunlich dabei ist vor allem, wie geschickt Low ihre immer wieder geheimnisvolle Herangehensweise wandeln. In No Comprende sind die Gitarren heavy wie bei Queens Of The Stone Age, auch wenn das durch das schleppende Tempo gut verschleiert wird. Auch What Part Of Me hat einen dieser seltsam maschinellen und zugleich zurückhaltenden Beats, die es mehrfach auf diesem Album gibt. No End könnte ein unaufmerksamer Hörer für eine Sixties-Westküsten-Utopie halten. Lies zeigt, zu welch sagenhafter Schönheit Low fähig sind, und das fast zehn Minuten lange Landslide verschwindet erst beinahe im Nichts und schwingt sich dann gen Himmel auf.

Und dann diese Texte! DJ handelt von der Suche nach Halt und Orientierung und Sinn im Leben, und der Weigerung, mit dieser Suche bei sich selbst anzufangen. Spanish Translation empfindet einen Schockmoment nach, eine Offenbarung – mit einem Eifer, den man sonst allenfalls bei Arcade Fire findet. Und Kid In The Corner thematisiert all die katastrophalen Folgen, die es haben kann, wenn Erwachsene ihre Unfähigkeit zur Erziehung nicht mehr anders kaschieren können als mit dem öffentlichen Bloßstellen von Heranwachsenden. All die Scham, die das mit sich bringt, ist hierin eingefangen. Auch all die Werkzeuge, die Heranwachsende später zur Rache haben, klingen an.

Das ist sehr reife, sehr spannende und sehr tiefgründige Rockmusik und auch 22 Jahre nach der Gründung von Low noch absolut notwendig. Deshalb darf die schwärmende Dee Dee auch das letzte Wort zu Ones And Sixes haben: “It’s a series of contrasts: stunning and menacing, gorgeous and frightening, giving and desperate, and ultimately, unbearably heavy and unbearably light. From one to six and back again.”

Low spielen No Comprende live in Utrecht.

Im Oktober sind Low auf Tour in Deutschland

12.10.2015 – Köln – Gebäude 9
13.10.2015 – Hamburg – Knust
17.10.2015 – Berlin – Lido
19.10.2015 – München – Ampere

Homepage von Low.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

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