Hingehört: Panic! At The Disco – “Too Weird To Live, Too Rare To Die!”

Auf und ab: Panic! At The Disco fehlt ein funktionierender Shit Detector.
Auf und ab: Panic! At The Disco fehlt ein funktionierender Shit Detector.
Künstler Panic! At The Disco
Album Too Weird To Live, Too Rare To Die!
Label Atlantic
Erscheinungsjahr 2013
Bewertung

Man konnte Panic! At The Disco bisher wirklich nicht vorwerfen, die Band sei zu wenig glamourös oder plakativ. Letzteres bestätigte allein schon das Ausrufezeichen im Bandnamen, für Ersteres sorgten unter anderem ein mega-erfolgreiches Debüt (A Fever You Can’t Sweat Out, 2005), reichlich Awards und lustige Songtitel wie The Only Difference Between Martyrdom And Suicide Is Press Coverage oder auch Lying Is The Most Fun A Girl Can Have Without Taking Her Clothes Off.

Jetzt wird das Trio noch ein bisschen glamouröser und plakativer. Denn auf ihrem vierten Album öffnen Panic! At The Disco erstmals die Türen für die Einflüsse ihrer Heimatstadt, und die heißt Las Vegas. Das Spielerparadies in der Wüste von Nevada hat Too Weird To Live, Too Rare To Die! enorm geprägt. Das fängt beim Albumtitel an (ein Zitat von Hunter S. Thompson), geht mit dem programmatischen Stück Vegas Lights weiter, das voller Vorwärtsdrang steckt, und zieht sich auch sonst wie ein roter Faden durch diese Platte.

Sänger Brendan Urie hat sich vom sorglosen Spaß inspirieren lassen, den die Touristen in Las Vegas genießen. „Das war eine Erfahrung, die mich meinen Zynismus ablegen und erkennen ließ, wie schön das Leben tatsächlich sein kann“, sagt er. Ihm ist klar geworden, dass „die Leute dorthin gehen, um ihre Masken abzulegen und loszulassen, und das hat mich inspiriert. Das war ein Moment absoluter Klarheit. Jetzt bin ich in Las Vegas verliebt.“

Das hat vor allem zur Folge, dass Too Weird To Live, Too Rare To Die! von Produzent Butch Walker (Fall Out Boy, Weezer) einen blitzeblanken Sound verpasst bekommen hat und dass das Album beinahe platzt vor lauter Ambitionen. This Is Gospel heißt der Opener, und der Refrain ist gleich mal so größenwahnsinnig, dass alles, was die Killers (ebenfalls aus Las Vegas) bisher in ihrer Karriere gemacht haben, im Vergleich subtil und bescheiden wirkt. Die darauf folgende Single Miss Jackson (feat. Lolo) wird ähnlich pompös, hat aber auch einen überraschenden Sprechgesang und ein cleveres Arrangement zu bieten – man hätte bis zu diesem Track nie geahnt, dass es eine Schnittmenge zwischen Papa Roach und den Backstreet Boys gibt.

Ähnliche Paarungen aus Aufgeblasenem und Gelungenem gibt es auch später noch auf dieser Platte. Nicotine setzt auf ein aggressives Gitarrenriff, ein monströses Schlagzeug und hysterischen Gesang, wird aber einfach nur plump. Gleich darauf schafft es Girls/Girls/Boys allerdings, funky, tanzbar und gelungen zu werden. Das Auf und Ab setzt sich fort: Casual Affair hört man an, welchen Spaß Brendan Urie dabei hatte, im Studio die Arbeit mit Arturia- und Moog-Synthesizern zu erkunden, aber für den Hörer gibt es in diesem schwachen und hohlen Song nichts zu entdecken. Far Too Young To Die schafft es unmittelbar danach, sich von einem sanften elektronischen Beginn über eine ausgiebige Depeche-Mode-Passage hin zu einem wuchtigen Finale zu entwickeln.

Das beste Lied der Platte ist Collar Full, das man sich gut von Maximo Park vorstellen könnte (auch die Stimme von Brendan Urie erinnert da in einigen Momenten an Paul Smith). Der Beat ist unbarmherzig, der Refrain ist klasse und das Lied hat keine Angst vor Bubblegum-Vorwürfen – ein echter Spaß. Danach folgt allerdings wieder ein Flop in Form des Rausschmeißers The End Of All Things, bestehend aus Klavier, 47 Wörtern und tonnenweise Pathos. „Als ich den geschrieben habe, stiegen mir die Tränen in die Augen, weil mich so starke Emotionen überkamen“, sagt Urie über den letzten Song der Platte.

Sein Problem ist auf Too Weird To Live, Too Rare To Die! offensichtlicher denn je: Der Junge hat ganz eindeutig ein Händchen für Refrains und auch die passende Stimme dazu. Aber ihm fehlt ein funktionierender Shit Detector, der ihn vor dem verhängnisvollen Drang zum Hohlen, Geschmacklosen und Blasierten bewahrt. Die guten Sachen von Panic! At The Disco sind ein gutes Stück besser als der Durchschnitt, den man in diesem Genre gewohnt ist. Aber die schlechten Sachen sind dafür richtig, abgrundtief schlecht.

Panic! At The Disco bringen Miss Jackson zu Jimmy Kimmel mit:

httpv://www.youtube.com/watch?v=Urjf_thyMfk

Homepage von Panic! At The Disco.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

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