Roosevelt – “Roosevelt”

Künstler Roosevelt

Roosevelt Album Kritik Rezension
Fast alles an seinem Debüt hat Roosevelt selbst gemacht.
Album Roosevelt
Label City Slang
Erscheinungsjahr 2016
Bewertung

Das Schlagzeug ist das letzte Instrument, das man in Moving On hört, dem fünften Track dieser Platte. Es spielt ein Fill-In, das vorher in dem Song überhaupt nicht zum Einsatz kam und von Roosevelt extra für diese letzten zweieinhalb Sekunden des Liedes erdacht worden ist. Das ist ein sehr bezeichnender Moment für das Debütalbum des Mannes, der eigentlich Marius Lauber heißt, aus Viersen stammt und seine Musik ursprünglich nur zum Spaß ins Netz gestellt hatte: Die Enden aller Lieder auf Roosevelt sind auffallend gut und prägnant. Es gibt kein verschämtes Ausblenden und kein abruptes Abbrechen nach einem notgedrungen noch einmal lustlos wiederholten Refrain, sondern stets klar gesetzte, genau ausdefinierte Schlusspunkte. Das unterstreicht, wie viel Gedankenarbeit und Stilsicherheit in diesen Liedern steckt.

Ein Geheimtipp ist der 25-Jährige, der mittlerweile in Köln lebt, schon längst nicht mehr. Hot Chip waren frühe Förderer seiner Musik, der Guardian zeigte sich von seinen ersten Stücken ebenso angetan wie Pitchfork. Trotz dieser frühen Aufmerksamkeit hat Roosevelt zwei Jahre lang an seinem ersten Longplayer gearbeitet, alles selbst geschrieben, aufgenommen und produziert. Es hat sich gelohnt: Seine Musik ist eindeutig auf Effekt aus, auf Spaß und Eskapismus, aber sie ist niemals plump oder dumm. In einem typischen Track wie Wait Up klingt alles prototypisch, trotzdem persönlich. Kalkuliert, trotzdem warm. Tanzbar, trotzdem entspannt. Das Album wimmelt vor Details, die für Individualität und Überraschungsmomente sorgen. Und es lebt davon, Meisterschaft in Produktion und Komposition mit Persönlichkeit zu verbinden.

Belong ist (auch) in einem oberflächlichen Sinne schön, der Text propagiert aber nicht Party und Unbeschwertheit, sondern Verletzlichkeit und Sehnsucht. Der Schlusspunkt Close ist hochgradig romantisch. Heart, der Höhepunkt der Platte, wird druckvoll und energisch, ohne seine Eleganz oder sein Geheimnis zu verlieren.

Hold On zeigt ebenfalls, dass die Texte bei Roosevelt nicht bloß Vehikel sind, um eine Melodie zu transportieren. „Again“ ist ein wichtiges Wort in diesem Lied, und auch eine sehr häufig genutzte Vokabel in den anderen Tracks der Platte: Die Wiederholung des Bekannten, die sich trotzdem wie neu anfühlt – das ist nicht nur das Thema von Marius Lauber, sondern auch seine Herangehensweise. Das schon erwähnte Moving On macht das deutlich: Es beginnt mit einer sehr bekannt klingenden Bassfolge, dieser Gedanke von Vertrautheit wird dann weitergeführt, bis etwas Eigenständiges entstanden ist, ohne dass dieser markante Bass verschwunden wäre.

Colours, wie zwei weitere Lieder mit Valeska Steiner von Boy als Background-Sängerin, vereint Zutaten aus 70er-Disco, 90er-House und 00er-New Rave, trotzdem ist das eindeutig ein Lied, das 2016 entstanden ist und unzweifelhaft ist es ein Lied, das in jedem Zeitalter gefallen hätte. Auch Night Moves nimmt den Hörer mit auf solch eine Zeitreise: Die Percussions scheinen schon seit den Seventies diesen Rhythmus zu spielen, die Stimme ist wohl gerade direkt aus den ikonischen Videos von A-ha entsprungen, dazu kommt der coole, aber leicht melancholische Sound, den etwa Zoot Woman in den Nuller Jahren hoffähig gemacht haben. Gerade, als man im Hintergrund eine Chris-Rea-Gedächtnisgitarre entdeckt hat, werden die Regler in Richtung Technoclub geschoben, um dann einer sommerlichen Leichtigkeit Platz zu machen, die man von den sanftesten Momenten des populären French House kennt, etwa Lady (Hear Me Tonight) von Modjo oder Music Sounds Better With You von Stardust.

Auch dieses Wissen um Traditionsstränge und die Fähigkeit, sich die besten Elemente der Tanzmusik unterschiedlicher Zeitalter zueigen zu machen, ist eine Stärke von Roosevelt. Die größte Qualität sind aber schlicht und ergreifend famose Songs. Normalerweise ist bei einem neuen Act der Beat gut oder die Melodie oder die Ästhetik oder die Stimmung. Irgendeines dieser Elemente sticht hervor, packt dich oder sorgt zumindest für Interesse. Bei Roosevelt ist alles zugleich gut, und zwar in jedem Lied.

Bei Roosevelt ist sogar die Oberbekleidung elektronisch, zeigt das Video zu Night Moves.

Roosevelt ist im Oktober live zu erleben, hier die Tourdaten:

14.10.   München – Strom
15.10.   Leipzig – Werk2
17.10.   Köln – Stadtgarten
18.10.   Hamburg – Übel & Gefährlich

Website von Roosevelt.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

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