Hingehört: Slug – “Ripe”

Künstler Slug

Plattencover des Albums "Ripe" von Slug
Nah am Chaos ist nicht der das Cover von “Ripe”, sondern auch die Musik darauf.
Album Ripe
Label Memphis Industries
Erscheinungsjahr 2015
Bewertung

Dumm gelaufen. Da will man einem Kumpel einen Gefallen tun, und dann passiert so etwas: Man holt sich unfreiwillig neue Konkurrenz ins Haus. So war es bei Peter und David Brewis, besser bekannt als Field Music. Sie nahmen ihren alten Wegbegleiter Ian Black als Bassisten mit auf ihre letzte Tournee. Und jetzt reicht dem Mann die Rolle als zuverlässige Ergänzung plötzlich nicht mehr. Er will eine eigene Band. Die gibt es nun, sie heißt Slug, Ian Black ist ihr einziges Mitglied und Ripe ist das am kommenden Freitag erscheinende Debütalbum.

“You cannot be on the road for a year with the guys and not feel inspired. Sometimes that helps create a sense of self belief that you can create your own thing… however delusional that may be”, beschreibt Black seinen Erweckungsmoment. Dass die Gebrüder Brewis angesichts dieser Emanzipation ihres einstigen Angestellten zum selbständigen Unternehmer sauer sind, darf ausgeschlossen werden. Erstens haben sie Ripe produziert und für die Aufnahmen auch ihr eigenes Studio zur Verfügung gestellt. Zweitens sind sie selbst bei einigen Tracks auch als Musiker zu hören, die Beziehung zu Black dürfte also nach wie vor harmonisch sein. Drittens leben Brewis & Brewis seit Jahren das Credo: Es kann gar nicht genug gute Musik auf der Welt geben. Erst recht nicht, wenn sie aus dem Nordwesten Englands kommt. Und in die Reihe der guten Musik darf man Slug in jedem Fall einordnen.

Cockeyed Rabbit Wrapped In Plastic ist ein gutes Beispiel dafür, wie diese Platte funktioniert: Das Lied enthält so viele Ideen, dass das Chaos nie weit ist; es ist eine Kopfgeburt, aber trotzdem wild und kraftvoll. Running To Get Past Your Heart kann es mit den durchgeknalltesten Momenten der Beastie Boys aufnehmen, mit fettem Bass, wirren Bongos und Pseudo-Eunuchen-Gesang. Dem Schlusspunkt At Least Show That You Care tut man mit der Bezeichnung als “spinnerte Rock-Operette” nur zum Teil Unrecht. Der Opener Grimacing Mask stirbt hingegen auf grausamste Weise ab, als er gerade eine Elektro-Hymne zu werden verspricht.

“What Ifs play a massive part in Ripe“, sagt Ian Black. “What if we use a stoner metal riff and use it like a dub bass part? Or what if we combined the drumming style of John Bonham with James Brown beat and the squelch bass of Claudio Simonetti and Fabio Pignatelli?”

Hört man seine Musik, versteht man genau, was er mit der klanglichen Umsetzung dieser Gedankenspiele meint. Sha La La ist im Prinzip Math-Rock, nur dass es eigentlich gar kein Rock ist, sondern irgendwas zwischen Surf, Gospel und Elektropioniersounds. Als man Kill Your Darlings gerade für einen vergleichsweise konventionellen Song halten will, überrascht es nach gut zwei Minuten mit einem fast mittelalterlich anmutenden Break. Weight Of Violence entpuppt sich als Steel-Drum-Instrumental, mit Peng Peng gibt es noch ein weiteres Stück ohne Gesang, diesmal vom Klavier getragen.

Eggs And Eyes zeigt die Schnittmenge zwischen den Red Hot Chili Peppers und Everything Everything und den Young Knives auf. Die Definition von funky liefert Greasy Mind gratis mit: Funky bedeutet, dass ein Rhythmus auch kompliziert sein darf und trotzdem tanzbar bleiben kann. Das beinahe reduzierte Shake Your Loose Teeth zeigt: Der Ideenreichtum liegt bei Slug nicht so sehr im Arrangement, sondern in der Komposition.

Das funktioniert nicht immer unmittelbar, ist aber sehr spannend. Die größte Stärke von Ripe ist ein höchst seltener Effekt, den man sonst eigentlich nur im Fußballstadion erleben kann. Wenn man da kurz seinen Platz verlässt, um ein Bier oder eine Bratwurst zu holen, verpasst man oft eine entscheidende Szene, ein Tor, ein Foul, einen Pfostentreffer. Kommt man dann zurück an seinen Platz, ist es auf einmal ein ganz anderes Spiel. So ähnlich spielt sich auch Ripe ab: Wenn man kurz raus geht, ist es plötzlich ein ganz anderes Album.

Slug spielen Running To Get Past Your Heart live für BBC 6.

Homepage von Slug.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

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