"The Conversation" ist typisch Texas: solide, nett, aber ohne Ecken und Kanten.

Texas – “The Conversation”

Künstler*in Texas

"The Conversation" ist typisch Texas: solide, nett, aber ohne Ecken und Kanten.
“The Conversation” ist typisch Texas: solide, nett, aber ohne Ecken und Kanten.
Album The Conversation
Label Pias
Erscheinungsjahr 2013
Bewertung

“Ich lebe. Ich fühle mich wohl. Ich weiß, dass diese Feststellung auf irgendeine Art und Weise den Eindruck erzeugt, mir fehle die Tiefe. Das liegt daran, dass das Leid bei uns einen höheren Stellenwert besitzt als stilles, angenehmes, bloßes Dasein. Das Positive gilt als leicht, als unbedacht, als dümmlich, während das Gefühl des Unglücks als existenziell wichtig und richtig wahrgenommen wird. Der heitere Mensch erscheint in der Zeitung auf der Panoramaseite, die Heulsuse im Feuilleton. Wollen wir tiefsinnig sein, sehen wir den Tod mit traurigem Blick als unausweichliche Quintessenz des Lebens, nicht das Leben als zu Glück und Demut verpflichtende, im besten Falle langjährige Chance. Vergnügen ist flach, Verzweiflung tief. Wer immer das erfunden hat, zum Leben hatte er kein Talent. Er floh wahrscheinlich weinend in den tiefen Tann, wo ihn die Geister des Waldes in den Wahnsinn trieben.”

Diese weisen Worte schreibt Dieter Nuhr in seinem aktuellen Buch Das Geheimnis des perfekten Tages. Die Tendenz zur Überhöhung des Unglücks, des Negativen, der Verzweiflung ist wahrscheinlich der beste Ansatz, um das Image von Texas zu erklären. Die Band wird geliebt von ihren Fans. Weltweit haben Texas mehr Alben verkauft als der gleichnamige US-Bundesstaat Einwohner hat, und das sind immerhin so etwa 30 Millionen. Doch die Band wird, höflich ausgedrückt, allenfalls belächelt von den Kritikern. „We inevitably anticipated another helping of antiseptic soul and asexual healing, and Texas – bless their impeccably sculpted hair – do not disappoint”, schrieb beispielsweise der NME über das 1999er Album Hush.

The Conversation, das achte Album in der Karriere von Texas, wird daran wenig ändern. Es ist genau die Platte, die man erwarten durfte von der Band, die vor 25 Jahren auf einer Studentenparty an der Universität von Dundee ihr erstes Konzert spielte. „Das Lustige ist, wenn du mich fragen würdest, wie ein Texas-Album klingen sollte, könnte ich dir das gar nicht sagen. Aber ich weiß, dass The Conversation exakt wie ein Texas-Album klingt“, stellt Sängerin Sharleen Spiteri treffend fest.

Es gibt schöne Musik, mellow, bestens geeignet für den Hintergrund. Die Platte bietet stets mindestens solides Handwerk und atmet durchaus auch den Geist von angenehmer Spontaneität. Es gibt unter den zwölf Liedern auf The Conversation kein einziges, das schlecht wäre, und es gibt sogar zwei richtig gute. Aber das Schlagzeug ist hier deutlich zu oft bloß auf Bums aus, die Streicher klingen mitunter zu künstlich und das Einatmen, bevor Spiteri eine angeblich besonders bedeutende Zeile singt, ist oftmals ein bisschen zu gewollt erotisch. Was Texas vor allem fehlt, ist das, was man in England „edge“ nennt: Ecken und Kanten, etwas Unkonventionelles, Individuelles, Provokantes.

I Need Time, der semi-akustische Schlusspunkt der Platte, ist ein gutes Beispiel dafür. Auch Be True passt in diese Kategorie, mit Streichern und ein wenig Motown-Feeling. An beiden Stücken (und an fünf weiteren auf The Conversation) hat übrigens Richard Hawley mitgeschrieben, kurzzeitiges Mitglied von Pulp und anerkanntermaßen einer der besten Songwriter Großbritanniens. In seinem Proberaum in Sheffield haben Texas an den Liedern des Albums gefeilt. „Mit Richard zu schreiben war ein Traum“, schwärmt Spiteri. „Der Mann hat einfach Musik in jeder Fingerspitze.”

Die Liste der prominenten Gäste ist damit nicht beendet. “Little Barrie” Cadogan (Primal Scream) spielt auf einigen Stücken Gitarre. Das vor Optimismus strotzende Big World entstand gemeinsam mit Bernard Butler (ehemals Suede), mit dem Texas auch die ersten Demos für das Album aufnahmen. Und dann ist da noch ein einigermaßen überraschender Mitstreiter: Ally McErlaine. Der Gitarrist ist zwar Gründungsmitglied von Texas. Dass er noch einmal auf einer Platte seiner Band würde mitwirken können, war zwischendurch trotzdem höchst fraglich. Im September 2009 wurde bei ihm ein Gehirn-Aneurysma diagnostiziert, mit einer Überlebenschance von etwa 20 Prozent. Jetzt ist McErlaine wieder vollständig erholt, nach seiner Genesung wurde er sogar zur treibenden Kraft für das Live-Comeback der Band und das neue Album. „So wie sein Aneurysma fast das Ende von Texas war, so wurde seine Genesung ein neuer Anfang“, sagt Spiteri.

Als solchen kann man The Conversation auch unabhängig von der Erkrankung betrachten. Schließlich hatte die Band sich 2005 zu einer Pause auf unbestimmte Dauer entschlossen, Spiteri nutzte die Zeit für ein Soloalbum. „Nach dem letzten Album Red Book und der Tour danach war 2005 einfach die Zeit gekommen, mal eine Pause einzulegen. Wir dachten so an ein, zwei Jahre, um Zeit für die Familien oder andere Projekte zu haben. So lange sollte es eigentlich nicht werden“, sagt die Sängerin. Dann kam noch der erwähnte Schicksalsschlag hinzu, doch ab 2011 waren Texas wieder gemeinsam live zu sehen.

Bei diesen Konzerten waren einige der neuen Songs, beispielsweise der Opener und Titelsong (The Conversation vereint mit seinem frischem Refrain, der sexy Gitarre und der schlicht schönen Stimme die wichtigsten Texas-Zutaten) oder Detroit City (eingängig und mitreißend und irgendwo zwischen Blondie und Roxette zuhause) schon zu hören. „Dann weißt du, ob ein Song wirklich was taugt oder nicht“, sagt Spiteri. „Worüber wir aber kaum hinwegkamen, das waren all diese 19-, 20-jährigen Kids, die jetzt unsere alten Hits mitsangen. Und ich dachte so: Wie könnt ihr die kennen? Aber das sind wohl einfach die Kids, die damals hinten im Auto auf dem Weg zur Schule saßen, als man das Radio nicht anmachen konnte ohne irgendwann Texas zu hören. Unsere alten Fans sind noch da, während eine neue Generation hinzugekommen ist. Und auch deshalb fühlt es sich genau richtig an, jetzt wieder mit der Band durchzustarten.“

Hearts Are Made To Stray ist das Lied, das dieses Gefühl am ehesten zum Ausdruck bringt. Es geht um Zusammenhalt und die Stärke, die Hoffnung, den Trost, den man daraus ziehen kann. Ansonsten dominiert als Thema die Kraft der Liebe. If This Isn’t Real macht das am deutlichsten, als Lied über die emotionale Sicherheit, die Liebe vermitteln kann, und über die Zweifel, die dennoch mitschwingen, weil man um diese ersehnte Sicherheit so sehr bangt.

Auch etliche der Lieder, an denen Richard Hawley beteiligt war, gehen in diese Richtung. Dry Your Eyes setzt auf einen gebremsten Beat, eine zahme akustische Gitarre und einen „uhuhu“-Chor, die auch Smokie nicht verschmähen würden. Maybe I ist luftig, überrascht mit einer ungewohnt tiefen Stimme und könnte auch gut zu Chris Isaak passen.

I Will Alaways setzt auf ¾-Takt und dezenten Surfsound und wird ein durchaus glaubwürdiges Liebeslied, in dem das Potenzial sowohl zur Tiefe als auch zum Seichten stecken: Von Johnny Cash oder Marianne Faithful gesungen, könnte es markerschütternd sein. Von Enrique Iglesias oder Jeanette Biedermann interpretiert, wäre es plump und hohl. Die Version von Texas steht genau in der Mitte – und zeigt damit erneut die Diskrepanz in der möglichen Wahrnehmung dieser Band.

Texas spielen The Conversation live bei Jools Holland:

httpv://www.youtube.com/watch?v=FFmBlzuCqps

Homepage von Texas.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

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