I Break Horses – “Warnings”

Künstler I Break Horses

I Break Horses Warnings Review Kritik
Fünf Jahre haben I Break Horses an “Warnings” gearbeitet.
Album Warnings
Label Bella Union
Erscheinungsjahr 2020
Bewertung

Man könnte den Titel des heute erscheinenden dritten Albums von I Break Horses als einen gesellschaftspolitischen Appell verstehen, vielleicht sogar einen Bezug zur Corona-Pandemie herstellen, die uns allen bewusst machen sollte, wie zerbrechlich unsere globalisierte Normalität ist. Aber das wäre eine Überinterpretation, sagt Maria Lindén, die gemeinsam mit Fredrik Balck dieses schwedische Duo bildet: „Es ist kein politisches Album, aber es hat einen Bezug zu den alarmistischen Zeiten, in denen wir leben. Jedes Lied ist eine subtile Warnung, dass etwas nicht ganz stimmt.“

Diesen Hang zu Irritation und Verunsicherung findet man etwa in I’ll Be The Death Of You, das neben der Drohung im Songtitel auch eine unheilvolle Keyboardmelodie, einen gestörten Latin-Beat und überraschende Bläser am Ende enthält. Das epische Death Engine führt in die Nacht, in den Traum und in die Halbwelt, ganz zum Schluss trifft man dort auf ausgefallene Streicher. Neon Lights ist abstrakt, aber spannend, Silence stellt die Vorliebe für das Schräge, Verfremdete und Geheimnisvolle erneut heraus: Der Beat könnte Industrial sein, ein Synthie fordert in Wellenbewegungen den Gesang heraus, am Ende ist alles aufgewühlt.

Wenn man eine Botschaft aus Warnings herauslesen will, dann ist es der Aufruf zur Entschleunigung. Nicht nur, weil es nach dem Debüt Hearts (2011) und dem Nachfolger Chiaroscuro (2014) auf Seiten der Künstler diesmal deutlich länger gedauert hat (Lindén hat fünf Jahre lang in verschiedenen Studios mit mehreren Mitstreitern daran gearbeitet, die sich nicht immer als geeignet erwiesen, auch eine zerstörte Festplatte, mit der die gespeicherte Arbeit von zwei Jahren verloren ging, sorgte für Verzögerung). Sondern auch, weil diese auf Seiten der Hörer eingefordert wird. “Die Aufmerksamkeitsspanne für Musik ist heutzutage fast Null. Ich habe den Eindruck, dass Lieder immer kürzer werden, um ‚effizient‘ zu sein. Ich wollte dagegen ankämpfen und ein Album machen, das eine Reise ist, vom Anfang bis zum Ende. Eine Platte, die Zeit und Geduld erfordert, wenn man sie anhört“, sagt sie.

Das reduzierte I Live At Night ist ein gutes Beispiel dafür, auch der Album-Abschluss Depression Tourist mit einer extrem verfremdeten Stimme, die kaum noch eine sprachliche Zuordnung des Textes erlaubt, passt zu diesem Anspruch. Dass I Break Horses auf Tour mit M83 und Sigur Rós waren, leuchtet auf Warnings ebenfalls schnell ein, denn neben dem Gestalten magischer Atmosphären voller reizvoller Details und Finessen können sie immer wieder auch prägnante, packende Momente generieren wie das glamourös-kraftvolle The Prophet mit der reizvollen Einladung: „You’re calling out for something to believe in / let me be the guiding light.“

Die drei instrumentalen Zwischenspiele des Albums sind wohl die deutlichsten Überreste der Ursprungsidee für diese Musik: Maria Lindén hat sich einige ihrer Lieblingsfilme ohne Ton angeschaut und dann eigene Musik dazu komponiert. “Erst als ich das Bedürfnis verspürte, auch Gesang und Text hinzuzufügen, wurde mir klar, dass ich an einem neuen Album von I Break Horses arbeite.“ Zwei Songs ragen dabei aus sehr vielen sehr guten Stücken noch heraus: Baby You Have Travelled For Miles Without Love In Your Eyes entwickelt sich von verschlafen zu majestätisch. Der Opener Turn betrachtet scheinbar kuschelig, niedlich und mit verhuschter Stimme den Schmerz über das Ende einer Beziehung („We’re fucking with absent minds / while our hearts are breaking“), entwickelt dann über eine Spielzeit von 9 Minuten aber eine enorme musikalische und emotionale Bandbreite: Wer es trotz der Warnings noch immer eiligt hat, kann in diesem einzigen Lied schon (fast) alles entdecken, was I Break Horses können.

Wie passend: I Live At Night, live und bei Nacht.

Website von I Break Horses.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

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