Interview mit Alice Cooper

Alice Cooper ist abstinent, aber trotzdem gerne Barkeeper. Foto: obs/Saturn
Alice Cooper ist abstinent, aber trotzdem gerne Barkeeper. Foto: obs/Saturn

Alice Cooper ist eine der schillerndsten Figuren im Musikgeschäft. Seit mehr als 40 Jahren ist er dabei. Als Mann in Frauenkleidern, der auf der Bühne mit Würgeschlangen, Kunstblut und Guillotinen spielte, war er Anfang der 1970er Jahre der meistgehasste Mann Amerikas – und niemand in der amerikanischen Rechten wollte damals verstehen, dass dies eben bloß eine Show war. Alice Cooper ist eine Kunstfigur – auch für den Mann, der sie spielt, und der eigentlich Vincent Furnier heißt. Wenn er im Interview “ich” meint, dann sagt er “ich”. Wenn er Alice Cooper meint, dann sagt er “Alice Cooper”.

Gut 15 Jahre nach dem Höhepunkt seines Ruhms legte er mit Trash einen Meilenstein des Hard Rock vor. Damals hatten endlich die meisten begriffen, dass sein Horror-Theater als Ironie, Dadaismus, Sozialkritik gemeint war. Alice Cooper inspirierte damit anerkannte Kulturgrößen wie Salvador Dali oder David Bowie und ist heute – als exzellenter Golfer, frommer Christ und Organisator von vielen Wohltätigkeitsveranstaltungen – ein respektiertes Mitglied der Gesellschaft. Und ganz nebenbei spielt er in den Werbespots des Elektrogroßmarkts Saturn auch noch den coolsten Barkeeper des Universums. Und erweist sich als eloquenter, reflektierter und witziger Gesprächspartner.

Bei jedem ihrer Konzerte werden Sie viermal pro Abend hingerichtet. Sie haben eine schwere Alkoholsucht, Karrieretiefs und mehrere lebensgefährliche Unfälle überlebt. Fühlen Sie sich manchmal unsterblich?

Cooper: Nun, das Problem ist einfach: In diesem Geschäft gerät man verdammt schnell in Vergessenheit. Wenn man nicht gerade Lady Gaga ist oder der heißeste Newcomer, dann denken die Leute ganz schnell, man ist weg vom Fenster. Dabei haben wir von den vergangenen 20 Jahren immer rund die Hälfte auf Tour verbracht. Aber das wird nicht wahrgenommen. Meine Musik wird nicht im Radio gespielt, und ich habe keine Lust, plötzlich HipHop zu machen, nur damit sich das ändert. Ich werde weiter Hard Rock machen, und meine Fans mögen und schätzen das. Sie sorgen dafür, dass ich vielleicht ein bisschen unsterblich bin, und nicht verschwunden. All die Kerle aus den späten 1960ern sind einfach richtig zäh. Ich bin noch da, Iggy ist noch da, Ozzy ist noch da, bei denen ist es genauso. Die Rolling Stones, Paul McCartney, David Bowie, Elton John, Rod Stewart – wir sind alle noch im Geschäft. Und manch junge Band klappt im Gegensatz dazu offensichtlich nach zwei Jahren einfach so zusammen.

Nach allem, was Sie in Ihrer Karriere erlebt haben, könnten Sie sich leicht für unverwundbar halten.

Cooper: Auch das hat man den Fans zu tun. Wenn man so eine große Anhängerschar hat, dann ist man einfach nicht totzukriegen. Zu unseren Shows kommen immer noch jeden Abend 5000 bis 10.000 Zuschauer. Und das wird sich wohl auch nicht ändern, bis ich mich vielleicht eines Tages entscheide, aufzuhören. Wirklich erledigt ist man erst, wenn man sich selbst für erledigt hält.

In Deutschland haben Sie auch durch die Saturn-Werbespots wieder große Popularität gewonnen. Finden Sie es nicht ein bisschen seltsam, als ehemaliger Alkoholiker nun einen Barkeeper zu spielen?

Cooper: Es ist ironisch, das stimmt. Aber ich habe ja auch keine Ahnung, was ich da genau einschenke. Das ist ein Outer-Space-Drink! Vielleicht enthält der gar keinen Alkohol! Und diese Aliens, die da meine Stammgäste sind – wer weiß, was die in Wirklichkeit am liebsten trinken? Ich kenne sie noch nicht so gut. Ich habe bisher bloß so einen Verdacht, dass sie wohl kein Bier mögen. Aber ich habe ja auch im echten Leben eine Bar, wo Bier und Wein ausgeschenkt werden. Ich habe gar kein grundsätzliches Problem mit Alkohol. Man muss nur verantwortungsbewusst damit umgehen. Ich denke nicht, dass Alkohol per se böse ist. Aber wenn man es übertreibt und so exzessiv trinkt wie ich es getan habe, dann kann man leicht sein Leben damit zerstören.

Sie versuchen also nicht, die Aliens zur Abstinenz zu bekehren, wie sie es mit manchem Rockstar getan haben, der sie auf Tour begleitet hat?

Cooper (lacht): Nein. Dazu waren die Dreharbeiten für die Werbespots auch viel zu spaßig. Ich musste zum Beispiel den Text auf Deutsch sprechen und hatte extra einen Lehrer dafür, der mir ein paar Wörter beigebracht hat. Und die Leute von Saturn haben wirklich unglaublich viel Geld ausgegeben, allein für die abgefahrenen Kostüme der Aliens.

Ähnlich komische Figuren sind Ihnen aber bestimmt schon vorher begegnet.

Cooper: Absolut. Allein in unserer Bühnenshow gibt es jede Menge schräge Figuren und Monster. Wir haben einen 5 Meter großen Zyklopen und eine Krankenschwester, die ziemlich blutrünstig zu sein scheint. Sie ist so etwas wie meine Nemesis.

Und wer war abseits der Bühne die seltsamste Gestalt, der Sie begegnet sind?

Cooper: Salvador Dali war echt ein schräger Typ. Und natürlich Keith Moon. Er war definitiv der großartigste Schlagzeuger, den ich je gehört habe. Aber er war auch einer der bizarrsten Typen, die ich in meinem ganzen Leben getroffen habe. Keith Moon war wirklich super-durchgeknallt. Ich kann mich an eine Szene erinnern, als er plötzlich zu einem spontanen Besuch vor meiner Tür stand, und dann eine Woche lang blieb. Und jeden Abend, wenn ich nach Hause kam, trug er ein anderes Kostüm. Einmal war er als Zimmermädchen verkleidet und putzte tatsächlich meine Wohnung. Am nächsten Abend war er die Königin von England, und danach Dschingis Khan. Man wusste bei ihm nie, was als nächstes passiert. Das war wirklich ein riesiger Spaß.

Wegen der blutrünstigen Bühnenshow haben Sie den Spitznamen «King Of Shock Rock» bekommen. Gibt es im echten Leben noch Dinge, die Sie selbst schocken?

Cooper: Klar. Etwas, das mich immer wieder schockiert, ist Kindesmissbrauch. Leute, die auf Kinderpornos stehen – was soll das? Wie krank muss man dafür sein? Es gibt in jedem Ort Hunderte Männer und Frauen, die sexuell aktiv sind. Warum muss man sich da an einem dreijährigen Kind vergreifen? Das ist pure Bosheit.

In Deutschland läuft gerade eine TV-Show, «Tatort Intertnet», die Kinderschänder aufspüren will. Das sorgt für ziemlich viel Empörung.

Cooper: Die meisten Reality-Shows basieren auf dem Prinzip von Grausamkeit. Es geht immer darum, jemanden lächerlich zu machen oder die Schwächen von Leuten vorzuführen. Ich finde das krank. Ich frage mich immer. Warum kann man nicht eine Reality-Show machen, in der es um das Gute geht? Man könnte einen Obdachlosen mit der Kamera begleiten, man könnte erzählen, was ihn so weit nach unten gebracht hat, und dann sein Leben wieder aufbauen. Man könnte ihn ins Krankenhaus bringen, seine Familienmitglieder ausfindig machen, und dann zuschauen, wie er sich wieder berappelt. Das wäre in meinen Augen eine tolle Reality-Show.

Was halten Sie von Casting-Shows? Sind die auch schockierend?

Cooper: Ich finde diese Shows nicht schockierend, aber sie sind sicher nicht für jeden das beste Sprungbrett, um eine Karriere zu starten. Nehmen wir mal an, Bob Dylan hätte sich bei American Idol beworben. Er wäre niemals über die erste Runde hinaus gekommen. Weil er zu kreativ und zu individuell ist. Wonach die Macher dieser Shows wirklich suchen, sind Leute, die komplett angepasst sind. Das hat nicht viel mit Kreativität zu tun.

Wie geht es Ihnen, wenn in diesen Shows Lieder von Alice Cooper erklingen?

Cooper: Ich finde es zumindest immer interessant, wie die Leute meine Songs interpretieren. Wenn zum Beispiel ein junges Mädchen aus Poison eine Art Teeniebop-Liedchen macht, dann finde ich das faszinierend. Es zeigt: Jeder kann etwas anderes aus meinen Liedern ziehen. Deshalb sehe ich es immer als Kompliment, wenn sich jemand entscheidet, einen meiner Songs in so einer Show zu singen.

Noch eine Fernsehfrage: Sie sind ein riesiger Fan der Simpsons. Was würden Sie tun, um einmal in der Serie verewigt zu werden?

Cooper: Immerhin haben sie in drei oder vier Folgen ja schon meine Musik benutzt. Und für ein Halloween-Comic-Heft habe ich mit Rob Zombie und Gene Simmons eine Art Horrorgeschichte für die Figuren aus den Simpsons geschrieben. Aber es stimmt: Sie haben leider noch nie so ein kleines gelbes Männchen aus mir gemacht. Aber das ist nur eine Frage der Zeit. Noch besser als die Simpsons gefällt mir momentan aber ohnehin Family Guy. Die Geschichten sind noch ein bisschen gewagter, die Macher sind offener in ihrer Sozialkritik – und sie kommen damit durch. So etwas gefällt mir.

Auch im Werk von Alice Cooper spielt das Visuelle eine enorme Rolle: Plattencover, Musikvideos, Bühnenshows – all das ist extrem aufwendig gestaltet. Aber ist der visuelle Aspekt in der heutigen Musikszene insgesamt zu wichtig geworden?

Cooper: Auf jeden Fall. Nehmen wir zum Beispiel Lady Gaga. Als ich sie das erste Mal sah, dachte ich, sie sei nichts anderes als ein ziemlich cleverer Kleiderständer. Aber dann habe ich mich näher mit ihr beschäftigt und festgestellt: Sie schreibt ihre eigenen Songs, sie singt, sie spielt Klavier, sie produziert sogar ihre eigenen Platten. Lady Gaga ist wirklich ein großes Talent, aber ich hätte das beinahe übersehen, weil ihre Outfits, ihre Frisuren oder ihre Skandale immer so im Vordergrund stehen.

Erkennen Sie darin Parallelen zu Ihrer eigenen Karriere?

Cooper: Absolut. Eine Menge. Ich habe sogar mit ihr darüber gesprochen, als wir uns bei der Grammy-Verleihung begegnet sind. Sie hat mir erzählt, wie sehr ich sie beeinflusst habe und wie oft sie sich auf Alice Cooper berufen, wenn sie eine neue Lady-Gaga-Show planen.

Sie haben also Lady Gaga erfunden.

Cooper: Das könnte man so sagen. Aber sie hat das Ganze in eine neue, eigene Richtung weiterentwickelt.

Abgesehen von Lady Gaga: Was ist das größte kulturelle Verdienst, das die Menschheit Alice Cooper zu verdanken hat?

Cooper: In erster Linie haben wir es wohl geschafft, Rock’N’Roll bildlich zu machen, visuell. Vor uns gab es niemanden, der Rock’N’Roll wirklich als Showbiz betrachtet hat, als Spektakel nicht nur für die Ohren, sondern auch für die Augen. Erst wir haben angefangen, die ganze Bühne zu beleuchten. Das Geschehen auf der Bühne war plötzlich bunt und bewegt – und nicht bloß ein toter Vorhang im Hintergrund. Jeder kann in einer Band spielen. Aber die Leute wirklich vom Hocker zu reißen, die Songtexte auf der Bühne lebendig werden zu lassen: Das haben wir als erste geschafft.

Für 2011 ist Welcome To My Nightmare 2 angekündigt. Was können die Fans von dem Album erwarten?

Cooper: Ich arbeite wieder mit Bob Ezrin zusammen. Auch Dennis, Neil und Mike sind wieder dabei, die im klassischen Alice-Cooper-Lineup mitgespielt haben. Außerdem wird es ein paar Gäste geben. Es soll wirklich die konsequente, logische Fortsetzung von Welcome To My Nightmare werden, und ich bin sehr zufrieden mit den Ergebnissen. Das größte Problem wird, aus den 25 Songs, die wir schon aufgenommen haben, die richtigen 13 oder 14 herauszusuchen.

So sieht ein Spektakel für die Augen aus: Alice Cooper spielt School’s Out, live in Montreux:

httpv://www.youtube.com/watch?v=XbNEOJMGFAo

Alice Cooper bei MySpace.

Dieses Interview gibt es zusammen mit einer Fotostrecke zu Alice Cooper auch bei news.de.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

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4 Gedanken zu “Interview mit Alice Cooper

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