Interview mit Ash

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Zum ersten Mal seit 2007 haben Ash mit Kablammo! wieder ein Album gemacht. Gerade ist das Trio aus Nordirland damit auf Tour. Wer die Band live erlebt, sollte sich auf eine riesige Euphorie-Injektion gefasst machen, denn Optimismus, Unbeschwertheit und Abenteuer können Ash auch knapp 20 Jahre nach Oh Yeah noch bestens. Vor der Show in Hamburg habe ich Sänger Tim Wheeler getroffen, der sich als hochgradig sympathischer Gesprächspartner erwiesen hat. Wir haben über den neuen Star Wars-Film geplaudert, die Macht der Nostalgie, die Möglichkeit eines weiteren Weihnachtsalbums aus seiner Feder und die Frage, warum man sich auch als bald 40-Jähriger noch gerne zum Affen machen sollte.

Wie kann man diesen Mann bloß für einen Party-Idioten halten? Foto: Infectious

Bevor wir loslegen, würde ich dir gerne ein Foto zeigen (links). Es war auf der Rückseite der Plattenhülle von Free All Angels zu sehen und ich vermute mal, dass das kein echter Wodka in der Flasche ist und du dich deshalb noch halbwegs daran erinnern kannst.

Tim Wheeler: Ja, das war ein Fotoshooting in einem Atelier in London, ziemlich spaßig. Wir haben eigentlich einfach bloß herumgealbert. Es gibt diesen Heavy-Metal-Films namens The Decline Of Western Civilization Part II, in dem Chris Holmes von WASP zu sehen ist, wie er in einem Swimmingpool voller Wodkaflaschen liegt. Das Foto ist als ein Tribut an diese Szene gedacht – allerdings war es bei Chris Holmes bestimmt echter Wodka! (lacht)

Wie viel von deinem heutigen Ich erkennst du noch in diesem Mann in der Badewanne?

Wheeler: Ich bin auf jeden Fall froh, dass wir dieses Foto gemacht haben, es ist ziemlich cool. Wir hatten halt eine gute Zeit. Heute würde ich so etwas wahrscheinlich nicht mehr machen, trotzdem bereue ich es nicht. Es sind allerdings Fotos wie dieses, die immer mal wieder dafür gesorgt haben, dass wir als Musiker nicht ernst genommen wurden. Manche Leute dachten wohl einfach, wir wären Party-Idioten. Aber das hat sich zum Glück geändert.

Das Foto könnte man als Verkörperung der Idee betrachten, dass Rock’N’Roll der ewige Ausdruck eines pubertären Gefühls ist. Und ich denke, dass es fast niemand so gut schafft wie Ash, dieses Gefühl in Songs zu packen. In Summe seid ihr jetzt älter als 100, trotzdem klingt ihr sogar auf dem neuen Album noch wie Teenager. Wie kriegt ihr das hin?

Wheeler: Wahrscheinlich steckt das einfach in unserer DNA. Wir waren 15, als wir angefangen haben. Und wenn wir heute zusammen spielen, stecken diese 15-Jährigen immer noch in uns. Wir versuchen gar nicht absichtlich, Teenager-mäßige Sachen zu spielen. Aber diese Art von Energie entsteht einfach, wenn wir zusammen Musik machen. Die Sachen, die wir am besten hinkriegen, klingen immer nach Spaß.

Du hast im letzten Jahr allerdings auch eine Soloplatte gemacht, auf der du den Tod deines Vaters thematisierst. War von vorneherein klar, dass ein so ernstes Thema für die Musik von Ash ungeeignet ist?

Wheeler: Ja, das war einfach zu persönlich. Als er an Demenz erkrankt ist, habe ich angefangen, darüber zu schreiben. Das war sehr kathartisch für mich. Es hat mir geholfen, zu verstehen, was ich da erlebe und warum ich mich so ohnmächtig fühle. Auch vom Sound her hätten die Lieder kaum gepasst, denn sie waren ganz und gar kein Gitarrenrock. Also nicht unbedingt das, was die Fans von uns haben wollen. Wenn wir mit Ash etwas so komplett Anderes probieren würden, vor allem live, könnten wir einige unserer größten Stärken verlieren. Deshalb war mir klar: Die nächste Ash-Platte würde ein Vollgas-Gitarren-Album werden. Und meine experimentelle und persönliche Seite würde ich auf dem Soloalbum ausleben.

Könntest du dir ein weiteres Soloalbum vorstellen?

Wheeler: Vielleicht. Auf jeden Fall experimentiere ich gerne. Ich mag Keyboards, ich habe eine riesige Sammlung an alten Synthesizern und viele der Songs auf dem Soloalbum habe ich auf dem Klavier geschrieben. Vielleicht mache ich noch so eine Platte mit all den Liedern, die ich noch übrig habe, weil sie nicht so gut zur Idee von Ash passen.

Mittlerweile hat das Vollgas-Gitarren-Album namens Kablammo! das Licht der Welt erblickt. Ihr habt also euer Versprechen gebrochen, nie mehr ein Album zu machen, wie ihr es 2007 verkündet hattet.

Wheeler: Stimmt. Ich hatte damit gerechnet, dass eine Menge Leute uns das vorhalten würden, wenn wir nicht mit einem hammerguten Album antreten. Aber letztlich hat sich niemand darüber beschwert.

Man könnte sagen: Das ist nur fair. Schließlich hat auch kaum jemand euren Mut bejubelt, als ihr beschlossen habt, nur noch Singles zu machen, weil sie besser ins Download-Zeitalter passen.

Wheeler: Ehrlich gesagt haben wir dafür damals sogar ziemlich fiese Reaktionen geerntet. Aber diese Entscheidung war in kreativer Hinsicht sehr wichtig für uns. Nur noch Singles zu machen, verschafft ein sehr großes Maß an Freiheit, weil man nicht mehr darauf achten muss, wie einzelne Songs nun zusammenpassen. Und es war auch eine Möglichkeit, aus der Routine von Album, Tour, Album, Tour auszubrechen.

Warum habt ihr dann trotzdem eure Meinung geändert?

Wheeler: Wahrscheinlich lag es daran, dass wir diese Singles-Idee gleich auf eine sehr extreme Art umgesetzt haben: Wir haben 26 Singles innerhalb eines Jahres veröffentlicht, das war schon ziemlich radikal. Wir neigen dazu, immer das Gegenteil von dem anzustreben, was wir gerade gemacht haben. Nach dem Singles-Projekt erschien es also als ziemlich mutiger Schritt, sich wieder an ein Album zu wagen, zum ersten Mal seit 2007. Alben sind viel schwieriger: Sie müssen eine Dramaturgie haben, man muss sich gewissen Einschränkungen unterwerfen. Beispielsweise passt ein Song gut an eine bestimmte Stelle, aber nirgends anders hin. Das hat bei uns leider schon öfter dazu geführt, dass es Lieder nicht aufs Album geschafft haben und dann nur als B-Seite herauskamen. Bei einigen finde ich das echt schade, denn diese Lieder hätten eindeutig mehr Aufmerksamkeit verdient gehabt.

Ash Tim Wheeler Hamburg Show
Ein Ash-Konzert gleicht einer Euphorie-Injektion. Foto: Sven Wiebeck

Dass Ash eine Singles-Band sind, gehörte schnell zu den Allgemeinplätzen bezüglich der Band, ebenso wie die Tatsache, dass Ash sehr jung sind. Auf eurer ersten Platte Trailer klebte ein „Guaranteed Teenagers“-Aufkleber und der NME hat euch mal als „the youngest old band on the planet” bezeichnet. Jetzt, wo du auf die 40 zugehst: Bist du froh, dieses Image endlich los zu sein?

Wheeler: Es war Segen und Fluch für uns. Es hat uns am Anfang sicher geholfen, dass wir genauso alt waren wie unsere Fans. Und es war ein knackiger Slogan, der sich gut vermarkten ließ. So etwas ist immer wichtig für eine Band. Aber es war auch extrem nervig. Viele Leute haben uns, weil wir so jung waren, herablassend betrachtet. Es war schwer, ernst genommen zu werden.

Als ich Kablammo! gehört habe, fühlte sich das für mich wie eine Zeitmaschine an: Ich war wieder ein Teenager, dem die ganze Welt offen steht. Wenn ein Popsong so ein Gefühl heraufbeschwören kann, ist das natürlich wunderbar, und es ist fantastisch, wenn eine Band so etwas über einen so langen Zeitraum hinbekommt. Trotzdem: Du willst ja sicher nicht, dass die Leute zu euren Shows kommen, um in Nostalgie zu schwelgen, oder?

Wheeler: Damit hätte ich überhaupt kein Problem. Natürlich wollen wir auch neue Fans begeistern, ich will neue Songs schreiben und mich als Künstler weiterentwickeln. Aber ich bin sehr stolz darauf, dass uns so viele Fans so lange die Treue gehalten haben. Musik ist etwas sehr Machtvolles, vielleicht ist sie das beste Mittel, um dich auf eine Reise in die Vergangenheit zu schicken und alte Erinnerungen zum Leben zu erwecken. Wenn wir ein Lied wie Goldfinger spielen, dann merke ich das besonders: Die Leute kriegen dann diesen ganz besonderen Blick und tagträumen sich in die Vergangenheit. Dann würde ich verdammt gerne sehen, was in all diesen Köpfen vor sich geht. Das wäre echt ein spannendes Bild: eine Wolke voller Erinnerungen über dem Publikum. (lacht) Nostalgie ist keine schlimme Sache, solange man sich nicht allein auf sie verlässt.

Es macht den Eindruck, als ob ihr euer Bandleben gerade sehr genießt und auch mit vielen anderen Bands wunderbar auskommt. Woran liegt das?

Wheeler: Es ist einfach beschissen hart, ein Musiker zu sein, und das habe ich mittlerweile gelernt. In den Neunzigern herrschte eine riesige Konkurrenz – vor allem innerhalb der Londoner Musikszene, in der jeder Journalist dich dazu bringen wollte, über irgendeine andere Band abzulästern. Ein paar Mal habe ich mich dazu hinreißen lassen. Aber dann begegne ich dieser Band fast immer und stelle fest: Das sind echt nette Leute, mit denen ich viel gemeinsam habe und mit denen ich mich gerne anfreunden würde. Dann fühlt sich das zum Kotzen an, wenn ich irgendetwas Fieses über sie gesagt habe.

Ash We Are Scientists Supergroup Hamburg Konzert
Meine neue Lieblingsband: W*A*S*H. Foto: Sven Wiebeck

Gerade seid ihr mit We Are Scientists auf Tour. Wenn man euch zusammen spielen sieht, wirkt das fast wie eine Klassenfahrt.

Wheeler: Es ist fantastisch. Vor ein paar Jahren haben wir zusammen in Australien gespielt und festgestellt, dass das wirklich gut passt. Außerdem leben wir in New York ziemlich nahe beieinander, wir unternehmen dort viel zusammen. Wir sind wirklich enge Freunde. Und es macht Spaß, mit einem anderen Trio auf Tour zu sein. Bei jeder Show spielen wir ein paar Songs zusammen, um es ein bisschen spektakulärer zu machen.

Apropos spektakulär: Der Musikjournalist Lester Bangs hat einmal gesagt, der Sinn von Rockstars sei es, sich wie Deppen zu benehmen, damit wir das nicht machen müssen. Sie sollen Grenzen überschreiten, auch die Grenzen der eigenen Würde. Und sie sollen die seltsamen Leopard-Leggings tragen, die wir bescheuert finden.

Wheeler (lacht): Das ist großartig, das gefällt mir sehr. Und ich werde nachher auf der Bühne übrigens wirklich ein Hemd mit Geparden-Muster tragen!

Wow! Also stimmst du ihm wahrscheinlich zu?

Wheeler: Ja, so etwas ist eine tolle Methode, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Allerdings machen wir das nicht ganz so oft. Und man muss bedenken: Die Ära, über die Lester Bangs geschrieben hat, waren dionysische Zeiten für Rockstars. Heute findet man das leider nicht mehr so oft. Wahrscheinlich achten alle ein bisschen zu sehr darauf, unbedingt cool auszusehen. Und wenn man älter wird, achtet man auch ein bisschen mehr darauf, sich nicht allzu sehr zum Deppen zu machen.

Gibt es Momente, die du in dieser Hinsicht bereust?

Wheeler: Nicht wirklich. Wir haben ein paar schräge Sachen gemacht. Obwohl wir eine Gitarrenrock-Band sind, haben wir früher eine Single wie Candy rausgebracht. Wir haben das neue Album Kablammo! genannt, was ein ziemlich alberner Titel ist, aber eben gut deutlich macht, dass es bei uns noch immer um Spaß geht. Ich habe auf einer brennenden Gitarre gespielt, und wir hatten Benzinkanister auf der Bühne, die wahrscheinlich jeden Moment hätten hochgehen und mir den Kopf abreißen können. Aber das ist cool. Ich würde allerdings wahrscheinlich keinen Song mehr ans Ende eines Albums setzen, auf dem man uns beim Kotzen zuhört. (lacht)

Weihnachten steht vor der Tür, das wirft die Frage auf: Könnte es irgendwann einen Nachfolger für das Weihnachtsalbum geben, das du 2011 mit Emmy The Great gemacht hast?

Wheeler: Vielleicht. Ehrlich gesagt hat diese Platte ein ziemliches Eigenleben entwickelt. Das ganze Jahr lang wirkt es, als existiere sie gar nicht. Aber kaum ist es Dezember, schreiben mir alle möglichen Leute auf Twitter, wie sehr sie dieses Album mögen. Ich habe einen Song geschrieben, der ein ziemlich gutes Weihnachtslied abgeben würde, nachdem das Album schon draußen war. Vielleicht wird es also irgendwann noch mal eine Weihnachtsplatte geben. Oder wenigstens eine EP. Und Christmas Time (I Wish I Was Surfing) werden wir übrigens auch mit Ash spielen, wenn wir im Dezember auf Tour in Irland sind.

Das passt sehr gut zu meiner letzten Frage: An dem Tag, an dem der neue Star Wars-Film anlaufen wird, spielt ihr ein Konzert in Cork. Wie konnte euch als Riesen-Fans denn so eine Fehlplanung unterlaufen?

Wheeler (lacht): Ich glaube, Mark hat da schon was vorbereitet. Er ist ein noch viel bekloppterer Fan als der Rest von uns. Er versucht wohl schon, eine Spätvorstellung für uns in einem Kino in der Gegend zu finden, sodass wir den Film alle zusammen anschauen können. Ich hoffe, er wird eine Verbesserung im Vergleich zu den letzten Teilen. Was ich bisher kenne, macht zumindest Hoffnung, dass die Macher aus ihren Fehlern gelernt haben.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

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