Interview mit Bloc Party

Die Soloprojekte haben Bloc Party (von links: Russell Lissack, Matt Tong, Gordon Moakes, Kele Okereke) gestärkt, glaubt die Band. Foto: verstaerker.com
Die Soloprojekte haben Bloc Party (von links: Russell Lissack, Matt Tong, Gordon Moakes, Kele Okereke) gestärkt, glaubt die Band. Foto: verstaerker.com

Am Montag ist Four erschienen. Es ist nicht einfach das vierte Album von Bloc Party. Es ist ein Album, mit dem fast keiner mehr gerechnet hatte, nachdem sich die Bandmitglieder während einer vierjährigen Bloc-Party-Auszeit seit Intimacy in diverse andere Projekte gestürzt hatten. Beim Melt habe ich schon vor ein paar Wochen mit Bassist Gordon Moakes und Schlagzeuger Matt Tong über die Platte gesprochen.

Sie waren zwar reichlich müde, lümmelten gepflegt herum, wollten sehr offensichtlich lieber die Show von The Rapture sehen als Interviews geben und waren sich zwischendurch nicht einig, wie lange eigentlich ihr neuer Plattenvertrag mit Frenchkiss Records läuft. Dann sind sie aber doch noch aufgetaut und haben mir erzählt, wie es sich anfühlte, plötzlich wieder mit den alten Kollegen in einem Raum zu stehen, ob sie sich Bloc Party noch im Jahr 2052 vorstellen können und ob sie schon den besten Song ihres Lebens geschrieben haben.

Ihr seid zum dritten Mal beim Melt. Welche Erinnerungen habt ihr an eure ersten beiden Melt-Shows?

Matt Tong: Als wir zum ersten Mal hier gespielt haben, hatten wir einen vergleichsweise späten Slot. Damals spielten wir bei Festivals normalerweise noch am Nachmittag. Beim Melt durften wir das erste Mal im Dunkeln ran und konnten somit sogar unsere Lightshow benutzen. Das hat sich auf jeden Fall eingeprägt.

Wie wirkt das Gelände, von der Bühne aus betrachtet, mit all diesen Baggern und Kränen?

Gordon Moakes: Auf mich wirkt es zunächst mal sehr deutsch. Es sieht nach Arbeit aus, nach Industrie, aber auch nach Kunst. Das ist echt einzigartig.

Wie viele Songs vom neuen Album werdet ihr heute Abend spielen?

Gordon Moakes: Vier oder fünf.

Das macht dann ein knappes Drittel eures Konzerts aus, obwohl die Platte noch nicht draußen ist. Habt ihr Bedenken, weil die Fans die neuen Lieder noch nicht kennen könnten?

Gordon Moakes: Nein. Heutzutage kann ja jeder auf YouTube die verschiedenen Liveversionen der Songs sehen. Ich denke, zumindest das „Woo woo woo“ aus Octopus werden die Fans schon mitsingen können. (lacht)

Mein erster Eindruck vom neuen Album: Es ist überraschend, aufregend, eine Weiterentwicklung, aber es ist trotzdem eindeutig Bloc Party. War das euer Ziel?

Gordon Moakes: Ja. Genau das war das haben wir bei dieser Platte angestrebt. Wir wollten zusammenarbeiten als Band. Ich bin froh, dass du das jetzt so wahrnimmst.

Fast alle aus der Band haben nach dem letzten Bloc-Party-Album ihre eigenen Projekte gegründet. Wie fühlte es sich an, dann wieder gemeinsam in einem Raum zu stehen?

Matt Tong: Gut. Wir sind eine Band, und das hat man ziemlich schnell wieder gemerkt.

Gordon Moakes: Stimmt. Wahrscheinlich ist es noch nie so angenehm gewesen, eine Platte mit Bloc Party zu machen wie diesmal. Es gab eigentlich nichts, was wir erst hätten aus dem Weg räumen müssen, bevor wir uns ans Komponieren oder Aufnehmen machen konnten.

Habt ihr live im Studio aufgenommen?

Matt Tong: Ja, weitgehend. Wir haben früher auch oft die Instrumente live eingespielt, aber dann noch eine Menge mit den einzelnen Aufnahmespuren angestellt. Diesmal ging es mehr darum, wirklich die Performance einzufangen.

Gordon Moakes: Deshalb haben wir auch meistens die Lieder am Stück eingespielt. Früher haben wir oft die Möglichkeit genutzt, an eine bestimmte Stelle zu springen und beispielsweise nur einen bestimmten Refrain noch einmal neu einzuspielen, bis er genau richtig klang. Diesmal sollte man hören können, dass da Leute in einer Band sind, und was sie gerade spielen, ganz authentisch.

Seid ihr davon ausgegangen, dass die Wiedervereinigung funktioniert? Es hätte ja auch die Möglichkeit gegeben, einen Schlussstrich zu ziehen, weil ihr keinen Plattenvertrag mehr hattet.

Gordon Moakes: Ich denke, dass wir alle aufgeregt und nervös waren vor der ersten Probe. Es hat vielleicht eine Viertelstunde gedauert, bis wir gemerkt haben: Das fühlt sich gut an. Die Chemie stimmt noch.

Das Album heißt jetzt Four. Wir können also davon ausgehen, dass es auch Nummer fünf, sechs und sieben geben wird?

Gordon Moakes: Es könnte auch Vier, Drei, Zwei, Eins lauten. (lacht) Mal sehen.

In jedem Fall kann man wohl davon ausgehen, dass jedes Album – wie bisher – eine Weiterentwicklung bringen wird, einen neuen Sound. Man könnte diesen Drang zur Innovation auch so interpretieren, dass euch mittlerweile peinlich ist, was ihr früher gemacht habt.

Matt Tong (lacht): Ich denke, dass es unmöglich ist, als Band relevant zu bleiben, wenn man sich nicht weiterentwickelt. Man muss neue Dinge probieren. Warum sollte man sich freiwillig auf eine simple Formel reduzieren lassen? Meine liebsten Alben sind solche, auf denen es viele Ideen gibt.

In deutschen Indie-Discos wird immer noch fleißig zu Banquet getanzt. Wie würdet ihr reagieren, wenn ihr den Song heute so hören würdet?

Gordon Moakes: Keine Ahnung. Was sollte mich in eine deutsche Indie-Disco verschlagen?

Matt Tong: Schwer zu sagen. Ich lebe nicht mehr in England, aber wenn ich dorthin zurück komme und den Fernseher einschalte, begegnen mir auch alte Songs von uns, als Soundtrack zu einer Serie oder sogar in Kochshows. Ich denke dann einfach an das ganze Geld, das wir damit kassieren. (beide lachen)

Wünscht ihr euch manchmal, ihr könntet in die Vergangenheit reisen, um diese Songs noch mal anders aufzunehmen?

Gordon Moakes: Nein. Ich glaube, dieser Gedanke würde es unmöglich machen, überhaupt noch eine Platte hinzubekommen. Die Versuchung ist groß, immer wieder zurückzugehen, alles noch einmal zu überarbeiten, immer weiter an den kleinsten Details zu frickeln. Aber irgendwann muss man auch die Entscheidung treffen: So bleibt es jetzt. Das ist das Ergebnis dessen, was wir tun, jetzt in diesem Moment.

Die Vergangenheit bildet aber auch eine Messlatte. Ich denke, man sollte nur dann ein neues Album machen, wenn man sicher sein kann, dass mindestens drei, vier Lieder darauf sein werden, die zu den besten überhaupt in meinem Werk zählen werden. Seht ihr das ähnlich?

Matt Tong: Da ist was dran. Das Problem ist aber, dass man das kaum erkennen kann. Jeder glaubt, er habe die beste Platte gemacht, die möglich ist. Wie gut die Songs dann im Vergleich zum Gesamtwerk sind, kann man immer erst mit etwas Abstand beurteilen. Es kann auch wichtig sein, einen Schritt vorwärts zu machen, ein paar Dinge auf den Kopf zu stellen, bloß weil es sich gerade richtig anfühlt – ohne schon den Gedanken im Kopf zu haben, das irgendjemand das alles im Nachhinein beurteilen wird, oder dass man selbst das tut.

Gordon Moakes: Es gibt bestimmt einen Tag im Leben, an dem macht man die beste Tasse Tee aller Zeiten. Alle anderen Tassen, die man danach trinken wird, können da nicht heranreichen. Aber trotzdem hört man nicht auf, Tee zu trinken. So ist es auch mit der Musik. Egal, wie gut man seine Songs findet – man versucht immer, sie noch zu toppen.

Habt ihr schon den besten Song geschrieben, der in euch steckt?

Matt Tong: Ich weiß es nicht. Ich weiß auch nicht, ob das neue Album das beste ist, was wir je gemacht haben. Aber ich weiß, dass es sich gut angefühlt hat, es zu machen. Wahrscheinlich hat das alles auch mit dem Alter und der Erfahrung zu tun. Wir haben jetzt viel mehr Möglichkeiten, aber wir haben auch andere Ansprüche.

Apropos Alter: Die Rolling Stones feiern gerade ihr 50. Band-Jubiläum. Wäre das auch ein erstrebenswertes Ziel für Bloc Party?

Matt Tong (schreit beinahe): Zur Hölle, nein! Keine Chance! Wenn wir Reggae spielen würden, dann könnte ich mir vielleicht vorstellen, in diesem Alter noch auf der Bühne zu stehen. Aber mit der Musik, die wir machen? Das wäre für mich schon körperlich gar nicht zu schaffen. Ich habe keine Lust, auf der Bühne zu sterben.

Es liegt also nur an der Musik? Oder wäre es auch ein Problem, 50 Jahre lang mit diesen anderen Typen von Bloc Party rumzuhängen?

Matt Tong: Ich könnte mir vorstellen, dass wir dann zusammen Weihnachten feiern. Jeder bringt seine Kinder mit und so. Das wäre mir jedenfalls lieber als noch auf der Bühne zu stehen.

Gordon Moakes: Man muss aber auch bedenken: Die Rolling Stones kommen uns heute vor wie Jesus oder wie Brot – irgendetwas, das es eben schon immer gab. Aber auch für sie gab es mal einen Moment, wo sie sich entscheiden mussten: Hören wir auf oder machen wir weiter? Wir machen noch ein Album oder wir gehen auf Tour. Bei Radiohead war es sicher auch so. Sie hätten sich um ein Haar aufgelöst, bevor In Rainbows herauskam. Und jetzt machen sie immer weiter. Das heißt nicht, dass es bei uns auch so sein wird. Aber all diese Bands haben irgendwann entdeckt, dass sie noch etwas in sich haben. Genug, um weiterzumachen.

Wenn ihr jetzt auf die Pause nach dem letzten Album zurückblickt: Haben all die Nebenprojekte vielleicht sogar geholfen, Bloc Party zusammenzuhalten?

Gordon Moakes: Ich glaube schon. Mir hat das sehr geholfen, selbst etwas auf die Beine zu stellen und dann stolz darauf sein zu können. Vor allem die Erkenntnis, dass mein Leben nicht nur aus dieser einen Sache besteht, nämlich der Band.

Sind die Fans heutzutage toleranter für solche Ausflüge? Oder habt ihr den Eindruck, viele fühlen sich betrogen, wenn ihr Musik auch außerhalb von Bloc Party macht?

Matt Tong: Ich glaube, die Fans kommen damit klar. Zum Glück sind wir ja Künstler und keine Fußballspieler: Wenn dein Lieblingsspieler plötzlich den Verein wechselt, dann hast du bloß noch die Erinnerungen, aber er ist weg. Bei einem Nebenprojekt setzt man nicht gleich das ganze Erbe der Band aufs Spiel. Man kommt zurück und es geht weiter.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

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2 Gedanken zu “Interview mit Bloc Party

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