Mando Diao – “Stop The Train”

Künstler*in Mando Diao

Mando Diao Stop The Train Review Kritik
“Stop The Train” ist das erste von drei Volumes.
EP Stop The Train
Label Playground Music
Erscheinungsjahr 2022
Bewertung

Wenn man sich in eine Band verliebt, geschieht das meist Hals über Kopf. Es reicht ein Lied, ein Refrain, ein Moment auf einem Festival. Das Entlieben ist hingegen meist ein schleichender Prozess. Man möchte gerne festhalten an der euphorisierenden Erinnerung, man möchte die Treue halten, man verzeiht auch Ausrutscher in der Hoffnung, die Lieblinge würden irgendwann wieder so klingen, dass man sie voll und ganz ins Herz schließen kann.

Bei mir und Mando Diao war das auch so. Der Klick-Moment war Paralyzed, vor genau 20 Jahren beim Debütalbum. Genauer gesagt: Dieser irre Schrei, der darin nach 3:10 Minuten erklingt, wie ein Werwolf, dem man auf den Schwanz getreten hat. Von da an hatten sie mich, zumal auch die weiteren Rahmenbedingungen stimmten. Sie kamen aus Schweden, das fand ich gut. Sie hatten eine mächtig große Fresse, das fand ich gut. Sie machten mitreißende Rockmusik, das fand ich gut. Irgendwann begann das Entlieben, auch dafür waren alle Anzeichen da. Umbesetzungen, Nebenprojekte, die bei kriselnden Rockbands unvermeidliche Idee, es mit etwas mehr Elektronik zu versuchen. Als ich sie zuletzt live sah, voller Klischees und Routinen, schien klar: Das war es jetzt mit uns.

Nun aber dies. Völlig unverhofft kommen hier vier Songs, die aufregend, gefährlich, glaubwürdig und mutig klingen. Wäre Stop The Train mein Erstkontakt mit dieser Band, wäre ich womöglich (so ganz genau lässt sich so etwas ja nicht rekonstruieren und reproduzieren) wieder Feuer und Flamme. So bin ich auf jeden Fall hochgradig erfreut und zum ersten Mal seit langer Zeit wieder gespannt, was von Björn Dixgård, Carl-Johan Fogelklou, Daniel Haglund, Jens Siverstedt und Patrik Heikinpieti denn demnächst noch so kommen mag. Denn auch das ist ein Pluspunkt dieser EP: Sie ist ein erster Einblick in den neuen Sound von Mando Diao, zwei weitere EPs werden folgen.

Entstanden ist das Material zuhause in Borlänge mit Produzent Charlie Storm, der vor allem für Synthesizer, Drum Machines und Sequenzer zuständig war. Neben seinem Einfluss darf man wohl zwei weitere Ursachen für das starke Ergebnis vermuten. Erstens wurden Mando Diao nach I solnedgången, ihrem 2020 veröffentlichten zweiten Album auf Schwedisch, wie so viele andere Bands von Covid-19 ausgebremst. Die geplante Tour platzte, und nach der ersten Enttäuschung entstand die Erkenntnis, dass man sich jetzt richtig viel Zeit am Stück im Studio erlauben könnte. “Wir hatten die Gelegenheit, wirklich in das Schaffen, Experimentieren und Aufnehmen einzutauchen. Wir hatten von mehr Studiozeit geträumt – und wir haben viel mehr bekommen, als wir erwartet hatten!“, sagen sie. Als Parallele ziehen sie – darunter läuft es weiterhin nicht bei dieser notorisch selbstbewussten Band – die Beatles heran: Als die Fab Four nach Revolver beschlossen, nicht mehr live zu spielen, begannen sie auch erst, die Möglichkeiten des Tonstudios voll und ganz für sich zu erschließen.

Zweitens haben sie sich trotz des Fehlens irgendeiner Deadline für eine dezidiert spontane Arbeitsweise entschieden. Tagsüber komponierten sie gemeinsam, abends wurde der frisch entstandene Song dann bereits aufgenommen.„So kreativ waren wir noch nie – alle sind beteiligt. Und je mehr wir lachen, desto besser spielen wir. Als wir mit der Band anfingen, nahmen wir alles so ernst, dass es kaum mehr Spaß machte. Zum Glück sind wir heute viel kindischer. Wir sagen normalerweise, dass wir zu neun Prozent The Last Waltz und zu neunzig Prozent Dumm und Dümmer sind.“

Dieser Ansatz war so produktiv, dass innerhalb von gut zwei Wochen genug Songs für anderthalb Alben entstanden sind. Diese haben Mando Diao nun auf drei “Volumes” aufgeteilt, die nacheinander erscheinen, jeweils digital und als limitierte Vinyl-EP. Stop The Train macht heute den Auftakt, am Ende soll es auch ein Album geben, das die Stücke aller drei EPs vereint.

Der Titelsong eröffnet das erste Volume, Stop The Train überrascht mit einem Riff, das auf einem Klavier gespielt wird und dennoch enorm heavy klingt. Der zugleich reduzierte und nervöse Rhythmus ist ein weiteres Highlight, im Orgelsolo am Ende kann man sogar etwas von dem Wahnsinn erkennen, der einst auch im Urschrei von Paralyzed steckte. Auch Frustration erweist sich als erstaunlich experimentierfreudig. Björn Dixgård singt hier tiefer, dazu kommen viele scharf pointierte Elemente, sodass man an Joy Division oder The Rakes denken kann, bis sich am Ende schließlich das Gitarrensolo einen sehr lebendigen Dialog mit dem Piano im Hintergrund liefert.

„Die Ideen, die wir ins Studio brachten – ein Riff hier, eine Strophe und ein Refrain da – waren zu großen Teilen Dinge, die wir uns als Witze auf Partys und dergleichen ausgedacht hatten“, erzählen Mando Diao, und diese Leichtigkeit hört man Stop The Train in der Tat an. In der Arbeitsweise, basierend auf solchen Skizzen jeden Tag einen Song zu schreiben und ihn direkt aufzunehmen, entdeckten sie “eine Art von Magie. Wir wollten diese Momente festhalten und diese erste Aufnahme die letzte sein lassen.”

Wie befreiend und beflügelnd das gewesen sein muss, hört man am deutlichsten in Animal. Das Riff erreicht eine Härte in Dimensionen von Rage Against The Machine, Dixgård schreit dazu “I’m on fire”, und genau so klingt das Stück auch. Mehr noch: Es wirkt so, als hätte er diesen Zustand lange herbeigesehnt und würde ihn nun mächtig genießen. Er tanzt auf dem Scheiterhaufen oder fährt mit einer Achterbahn und einem fetten Grinsen im Gesicht direkt ins Fegefeuer.

Loner ist der ruhigste Moment der EP und zugleich das Lied, in dem die elektronischen Beiträge von Charlie Storm am deutlichsten erkennbar werden. Was man am Anfang des Tracks hört, könnte eine verfremdete Maultrommel sein, dann entfaltet sich eine geruhsame, sehr erwachsen klingende Atmosphäre. Das alles verweist womöglich auf ein von Americana geprägtes Album, das Mando Diao während der unverhofft langen Studiozeit ebenfalls aufgenommen, aber zunächst im Archiv geparkt haben. „Wir merkten schnell, dass uns nicht danach war, mit einem Haufen Balladen aus der Pandemie herauszukommen, sondern eher nach etwas Schnellerem und mehr Aufgeladenem”, sagen sie. Bis das Balladen-Album das Licht der Welt erblickt, kann man sich jetzt aber erst einmal mächtig auf die nächsten Volumes voller Energie, Inspiration und Wucht freuen.

Das Video zu Stop The Train war ursprünglich vielleicht auch ein Party-Witz.

Website von Mando Diao.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

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