Mein Freund aus Faro

Film Mein Freund aus Faro

Mein Freund aus Faro Kritik Review
Jenny (Lucie Hollmann, rechts) hält Mel (Anjorka Strechel) für einen Jungen.
Produktionsland Deutschland
Jahr 2008
Spielzeit 91 Minuten
Regie Nana Neul
Hauptdarsteller*innen Anjorka Strechel, Lucie Hollmann, Manuel Cortez
Bewertung

Worum geht’s?

Melanie, genannt “Mel”, ist 22 und arbeitet in einer Firma, die Airlines mit Essen beliefert. Sie lebt mit ihrem Bruder und Vater zusammen und kümmert sich in ihrer Freizeit am liebsten um ihren alten BMW statt um Partys, Freundschaften oder gar um ihr Liebesleben. Als sie um ein Haar die 15-jährige Jenny überfährt, die auf dem Weg in die Dorfdisco ist, freundet sie sich mit dem Mädchen an. Jenny hält die burschikos auftretende Mel zunächst für einen Jungen, und Mel klärt diesen Irrtum nicht auf, sondern spielt stattdessen mit diesem Missverständnis: Sie gibt sich als Miguel aus, und stiehlt damit ihrem neuen Arbeitskollegen aus Portugal die Identität. Als Miguel flirtet sie mit Jenny, die sich ebenfalls zu dem lockeren und exotischen vermeintlichen Mann hingezogen fühlt. Gleichzeitig bezahlt Mel den echten Arbeitskollegen aus Faro, damit er sich bei einer Familienfeier als ihr Freund ausgibt, um endlich nicht mehr die Fragen beantworten zu müssen, warum sie noch immer Single ist und nicht längst einen netten jungen Mann an ihrer Seite vorweisen kann. Dieses Rollenspiel geht natürlich nicht lange gut: Ihr Kollege kommt dahinter, dass Mel sich für Jenny seine Biografie ausgeborgt hat, und als die Beziehung zu dem Teenager-Mädchen immer intensiver wird, weiß Mel, dass sie sich auch ihr gegenüber nicht mehr verstellen darf.

Das sagt shitesite:

Rollenspiele und Identitätssuche, Coming Out und Coming of Age – die Themen von Mein Freund aus Faro sind keineswegs neu, auch nicht auf der Kinoleinwand. Die Stärke des Debüts von Regisseurin und Drehbuchautorin Nana Neul ist der fast vollständige Verzicht auf Drama. So bedeutend diese Themen sind, so bodenständig und glaubwürdig sind ihre Figuren. So viel Spannung in Themen wie erster Liebe, Eifersucht, Unsicherheit, Verführung und Selbstbestimmung steckt, so viele Momente der Leichtigkeit und auch des Humors packt sie in diesen Film. In den richtigen Momenten herrscht Stille – und ohnehin setzt Mein Freund aus Faro lieber auf starke Bilder als viele Worte.

Die Verwirrung, in der Mel landet, ist einerseits selbst gestiftet und andererseits unvermeidlicher Teil des Gefühlschaos, das man während des Heranwachsens durchlebt. Vergrößert und verkompliziert wird sie hier durch die Fantasie, die ebenso zu diesem Lebensabschnitt gehört. Mel schaut gerne den Flugzeugen nach und träumt sich in ferne Welten, Jenny spielt eine Prinzessin in einem Amateurfilm, natürlich passt in diese Reihe auch das dann einsetzende Rollenspiel.

Sehr gekonnt blickt der Film dabei auch auf die Eigenheiten der Provinz, in der das Abweichen von der vermeintlichen Norm noch viel schwieriger ist als anderswo. Mel muss sich selbst gegenüber der eigenen Familie für ihren Lebensentwurf rechtfertigen, Jenny weckt mit ihrem Interesse an Mel/Miguel die Eifersucht ihrer pubertierenden Freunde und die Skepsis ihrer Mutter. Die Gemeinsamkeiten des extrovertierten Teenie-Mädchens mit der als Miguel souveränen und sensiblen, als Mel aber in sich gekehrten jungen Frau gehen noch weiter. Denn auch für Mel ist es die erste Liebe – und somit ein Gefühl, das sie erstens bisher nicht kannte und mit dem sie zweitens offensichtlich auch in ihrem Leben nicht mehr gerechnet hatte. Passend zu diesen Unsicherheiten bleibt Mein Freund aus Faro erfreulich ambivalent. Niemand ist am Ende auf irgendetwas festgelegt. Klar wird vielmehr etwas anderes: Auch ein Spiel mit Identitäten kann dazu beitragen, die eigene Identität zu finden.

Bestes Zitat:

“Ich bin anders. – Ich auch.”

Der Trailer zum Film.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

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