Samuel Hope – “Other Man”

Künstler Samuel Hope

Samuel Hope Other Man Review Kritik
Seine Wahlheimat Berlin hat indirekt das Debütalbum von Samuel Hope beeinflusst.
Album Other Man
Label Filter Music
Erscheinungsjahr 2018
Bewertung

Eine einzige Überraschung gibt es in Zusammenhang mit Other Man, dem heute erscheinenden Debütalbum von Samuel Hope: Der gebürtige New Yorker stammt aus einer sehr musikalischen Familie und begann früh Songs zu schreiben, ließ seine Kompositionen aber zunächst von anderen Leuten singen. „Niemand hat es geschafft, die Essenz eines Songs so rüberzubringen, wie ich es beim Schreiben im Kopf hatte“, war die Erfahrung, die er damals machte. „Nachdem einige Freunde mich dazu überredet hatten, war ich mit 19 dann so weit, selbst zu singen.“

Erstaunlich ist das, weil der heute 34-Jährige, der nach einem halben Leben voller selbst organisierter Konzertreisen durch die ganze Welt nun in Berlin lebt, auf dieser Platte so sehr auf seinen Gesang setzt, dass es beinahe penetrant wird. Der Titelsong, der Other Man eröffnet, enthält neben der Stimme nur eine Orgel und gibt sogleich die Perspektive vor, die hier prägend ist: Von der ersten Zeile an ist Samuel Hope versehrt, defizitär, leidend. Auch Wounded, geschrieben mit Charlie Grant, könnte man als prototypisch dafür ansehen: „It’s okay to be wounded“, singt er darin, und das scheint sein Lebensmotto zu sein.

Schwierig ist das, weil die Musik dazu nicht gut genug ist. Samuel Hope scheint so überzeugt von der magischen Wirkung seiner Stimme zu sein, dass er es nicht mehr für nötig hielt, auch ein paar gute Songs zu schreiben, die er mit dieser Stimme singen kann. Er verlässt sich auf Other Man viel zu sehr auf die Stimme, die gut ist, aber nicht gut genug, aus allenfalls mittelmäßigen Kompositionen etwas Besonderes zu machen – zumal sie durchweg fast nur eine Klangfarbe präsentiert. Ein weiteres Indiz für das allzu große Vertrauen in die Kraft seiner Stimme, die er wohl für so außergewöhnlich hält, dass der gemeine Hörer zwangsläufig von Tricks ausgehen muss: Im Booklet weist er extra noch einmal darauf hin, dass das alles ohne nachträgliche Gesangkorrekturen aufgenommen wurde und dankt auch Smatka für das Stimmtraining.

So entstehen im beste Fall Lieder wie Lead Me On, das ganz nett ist, aber zu lang, was spätestens mit dem schmierigen Gitarrensolo offensichtlich wird. Nothing To Lose setzt auf ein reduziertes Arrangement fast nur aus Gesang und Gitarre und erreicht immerhin gehobenes Straßenmusikniveau. Der Rest ist sehr langweilig und überflüssig, auf Dauer wird sogar die Stimme nervtötend.

Der schlimmste Moment ist I Won’t Keep You Waiting, die Pastiche einer Soulballade, bei der man sich nicht vorstellen will, was das für Leute sind, die dazu Sex haben. Auch Hold On, geschrieben mit Mike Rubin, ist purer Kitsch. Without Warning steigert sich langsam und als man kurz denkt, es könnte tatsächlich spannend werden, bricht es sehr abrupt ab. Runaway fährt einen recht kraftvollen Beat („Von monotoner, manchmal fast schon robotisch klingender Elektromusik umgeben zu sein, hat mich dazu getrieben, dieser Art von Musik etwas mehr Soul und Menschlichkeit zu verleihen“, sagt der Sänger über den Einfluss seiner Wahlheimat Berlin), Streicher und reichlich weiteres Spektakel auf, bleibt aber letztlich einfallslos.

Zur Ödnis, die sich hier sehr bald einstellt, trägt auch die Tatsache bei, dass Other Man inhaltlich quasi nichts zu bieten hat. In Won’t Put Up A Fight steckt der Text voller Klischees, die Musik könnte von James Blake in dem Moment stammen, in dem er kurz davor ist, seine Lethargie zu verlassen. Aus dem „I want to believe“ in Believe spricht nicht Sinnsuche, sondern bloß Gefühligkeit. Und wenn Samuel Hope in Carried Away erneut die Botschaft „Ich bin ja solch ein Sensibelchen, ich kann mich leider nicht wehren gegen meine Gefühle“ rüberbringt, dann ist das nicht deep, sondern unreif. Für den alten Spruch „It’s the singer, not the song“, ist dieses Debütalbum somit der beste Gegenbeweis.

Model Dorith Mous ist der Star im Video zu Carried Away.

Website von Samuel Hope.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

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