Stereo Total – “Ah! Quel Cinéma!”

Künstler Stereo Total

Stereo Total Ah! Quel Cinéma! Review Kritik
Stereo Total blicken auf ihrem zweiten Album ein wenig zu sehr auf sich selbst.
Album Ah! Quel Cinéma!
Label Tapete
Erscheinungsjahr 2019
Bewertung

„Soll isch?“, sind die ersten Worte auf dieser Platte. Sängerin Françoise Cactus spricht sie in ihr Mikrofon, auf das Startsignal für die Aufnahme wartend. Bevor der Opener Einfach sich dann entfaltet, gibt es noch ein paar vermeintliche Fehlversuche beim Einsingen, weil im Hintergrund die Geräusche eines vorbeifahrenden Autos, einer Waschmaschine und einer Polizeisirene stören. Als es dann doch losgehen kann, lautet die passende Quintessenz: „Es ist nicht leicht, einfach zu sein.“ Begleitet wird sie von einem sehr simplen Beat, Kinderkeyboardsounds und einer dezenten Gitarre. All das soll natürlich zwei der wichtigsten Prinzipien von Stereo Total ausdrücken. Erstens: Bei uns kann alles passieren. Zweitens: Wir sind absichtliche Dilettanten – um damit zu zeigen, wie lächerlich viele Rockmusik-Elemente eigentlich sind.

Diese Idee, die Aufnahmesituation transparent zu machen, findet sich später noch einmal auf Ah! Quel Cinéma!, nämlich in Le Spleen. Diesmal gibt die Sängerin französische Anweisungen an den Menschen am Mischpult, verlangt nach „mehr Bass“, „weniger Schlagzeug“ oder beklagt den seltsamen Klang ihrer Stimme. Ihr Kompagnon Brezel Göring liefert dazu einen recht trägen Gesang, ebenfalls auf Französisch, die Musik scheint wieder auf einer Heimorgel aus den Siebzigern entstanden zu sein.

Das ist nicht ganz uninteressant, zeigt aber auch das größte Problem auf dieser Platte. Die Studiosituation selbst zum Thema zu machen, ist ein Ausdruck von Selbstreferenz, die hier auch an anderen Stellen sehr präsent ist, und so fehlt auf Ah! Quel Cinéma! manchmal die Möglichkeit, sich mit den Situationen zu identifizieren, über die Stereo Total singen, und die einen großen Teil ihres Charmes ausmacht. Das eingangs erwähnte „Soll isch?“ könnte man beim zwölften Album dieses Duos bösartig auch so interpretieren, dass gelegentlich Themen und Inspiration fehlen. Manchmal scheint die Frage „Worüber sollen wir eigentlich noch Lieder machen?“ wie ein ziemlich großer Elefant im Raum gestanden zu haben.

Methedrine ist ein Beispiel dafür. Es verweist auf die Geistesverwandten von Velvet Underground nicht nur im Sound, sondern auch mit einem Zitat von Lou Reed: „You better take drugs and learn to love plastic.“ Der Song erweist sich als Blick auf abgehobene Künstler, Françoise Cactus nennt ihren Text ein „Porträt der selbsternannten Superstars aus Andy Warhols Factory“, deren Egomanie sie aufs Korn nimmt. Aber als Verweis ist das einfach ein bisschen zu naheliegend, um wirklich spannend zu sein. Auch Brezel Says hat – ergänzt um eine Basis aus Trios Da Da Da – ein paar Velvet-Underground-Parallelen: Es klingt lakonisch und zugleich sehnsüchtig. Der Protagonist ist „selbstmitleidig und doch eingebildet, der schlimmste Künstler, den wir uns vorstellen können“, so die Sängerin.

Sehr deutlich wird die Selbstreferenz auch in Keine Musik. Der Text entwirft das Szenario, es gäbe auf der Welt keine Musik mehr, damit auch keinen Tanz und letztlich wohl keine Freude. Die Musik in diesem Stück hat einige coole Elemente, ist aber als Ganzes unbefriedigend. Bei Dancing With A Memory wird der Gesang etwas exaltierter, das Schlagzeug schwungvoller. Die Coverversion Sur un fil (komponiert von Edmund Vartan, aufgenommen wurde es unter anderem von seiner Schwester Sylvie Vartan) erzählt mit viel Retro-Charme von der Zerbrechlichkeit der Liebe, bietet aber nichts, was man von Stereo Total nicht schon (besser) gehört hätte. Mes copines (über intrigante Freundinnen) hat einen Refrain mit viel Kraft. Aber einen Moment, der sofort zündet und womöglich auch Stereo-Total-Novizen für diese Band begeistern könnte, gibt es auf Ah! Quel Cinéma! nicht.

Natürlich bietet die Platte aber auch genug von dem, was Françoise Vanhove Gerdes und Hartmut Friedrich Ziegler (so die bürgerlichen Namen) so legendär gemacht hat. Sie wurde wieder mittels 8-Spur-Kassetten-Technik produziert, kombiniert Genres mit einer Frechheit und Eigenart, die man sonst nirgends findet, und hat natürlich auch wieder etliche lyrische Glanzstücke zu bieten. „Ich bin eine Sprachkünstlerin, die den Humor in Kauf nimmt“, lautet die treffende Selbstbeschreibung von Françoise Cactus, die auch als Radiomoderatorin, Autorin und bildende Künstlerin tätig ist. Sie beweist hier mit vielen Wortspielen, bei denen es oft mindestens ebenso um den Klang von Wörtern wie um ihre Bedeutung geht, wie gut sie dieses Methode beherrscht.

My Idol zeigt das am besten: Sie versieht darin ein paar gängige Abkürzungen mit neuer Bedeutung und erschafft so sehr originelle Liebespoesie, die zugleich völlig schlüssig klingt: Im Überschwang des Verliebtseins kann man natürlich dazu neigen, auch Buchstaben und deren Kombinationen neu zu interpretieren. Dazu gibt es prominente Orgel und Gitarre, sodass der Sound auch ins Frühwerk von Bonaparte passen könnte. Ich bin cool erinnert daran, dass 99 Prozent der Lässigkeit, der man in der Welt begegnen kann, bloß gespielt ist, auch die eigene: „Hinter coolen Farben / verstecke ich meine Narben.“

„Welcher Idiot hat mich geweckt?“, lautet die Ausgangssituation in Cinemascope, das von Streichern und Sixties-Flair getragen wird und zum Schluss kommt: „Die horizontale Position / ist die wahre Evolution.“ Die Dachkatze wird das beste Lied auf Ah! Quel Cinéma!. Der mehrstimme Gesang im Refrain ist mitreißend, die Umsetzung liebevoll, das Thema perfekt: Der Mann an ihrer Seite will sie für immer bei sich haben, aber sie will sich nicht binden lassen und muss streunen, denn „Ich bin eine Dachkatze / und keine Sofakatze.“ Der Album-Abschluss Elektroschocktherapie ist atmosphärisch klasse und klingt nicht nur wegen der gehauchten Stimme und des Glockenspiels, als sei „Elektroschocktherapie“ ein Synonym für „Blümchensex“.

In Hass-Satellit meint man tatsächlich die Leere und Faszination des Alls hören zu können, und Verse wie „Ich drehe einsame Runden / auf meiner Umlaufbahn / (…) Immer wieder stoße ich / mit anderem Weltraumschrott zusammen“ sind natürlich eine schöne Metapher für unser Stolpern durch die irdische Welt. Das Lied verweist auch auf eine andere Eigenart von Ah! Quel Cinéma! Es gibt hier bei weitem nicht nur die Verspieltheit und Leichtigkeit, die man sonst so gerne mit Stereo Total assoziiert. Stattdessen halten sich Ernst und Humor die Waage, Stilsicherheit und Anarchismus ebenso, und in Summe wirkt das einfach ein bisschen zu unaufregend.

Barbie und Bär erklären im Albumtrailer, was Ah! Quel Cinéma! zu bieten hat.

Website von Stereo Total.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

Alle Beiträge ansehen von Michael Kraft →

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.