Suuns – “Felt”

Künstler Suuns

Suuns Felt Review Kritik
Das Motiv auf dem Albumcover ist eine tolle Metapher für den Sound von “Felt”.
Album Felt
Label Secretly Canadian
Erscheinungsjahr 2018
Bewertung

“Mehr Licht” soll der sterbende Goethe ja angeblich mit seinen letzten Worten verlangt haben. Das scheint auch die Devise für das vierte Album von Suuns zu sein. War das Quartett aus Montreal bisher für einen sehr dichten, fast klaustrophobischen Klang bekannt, gibt es diesmal auch Lässigkeit und Leichtigkeit. “Die Platte ist auf jeden Fall lockerer als die letzte. Sie ist nicht so sachlich. Und es gibt mehr Swagger”, sagt Sänger und Gitarrist Ben Shemie.

Die elf Lieder von Felt, wie der 2016er Vorgänger Hold/Still erneut von John Congleton produziert, bestätigen diese Ankündigung. Der Gesang in Baseline ist verschüchtert, der Rest sehr verspielt, das verbindende Element ist dabei eine sehr dekorative Unentschlossenheit. Make It Real klingt verträumt und etwas lädiert wie etwa die Songs der Beta Band. Bei Peace And Love kann man nicht nur wegen der hier recht prominenten E-Gitarre erkennen: Im Kern steckt darin ein Rocksong. X-ALT vereint eine hektische Gitarre, diverse Gesangseffekte, ein schräges Saxofonsolo und einen Beat, der zwar im Hintergrund bleibt, aber trotzdem unbarmherzig ist – in Summe entstehen so eine große Nervosität und Coolness.

Die Single Watch You, Watch Me wäre ohne die Effekte vergleichsweise straight, vor allem durch den sehr entschlossenen Rhythmus. Schlagzeuger Liam O’Neill bestätigt das: „Es war ganz anders und wirklich aufregend für mich. Früher habe ich meistens ganz bewusst versucht, eher kontrolliert und passend zu einem bestimmten Genre zu trommeln. Weil wir diesmal viel offener an die Platte herangegangen sind, waren die Aufnahmen eher wie ein grenzenloser Workshop, in dem wir ganz viele Ideen einfach ausprobiert haben.”

Dass drei der vier Bandmitglieder von Suuns (alle außer Gitarrist Joseph Yarmush) einen Jazz-Hintergrund haben, merkt man Felt ebenso an wie die Tatsache, dass die Band hinsichtlich der dezenten elektronischen Elemente, die es auf Hold/Still erstmals gab, auf den Geschmack gekommen ist, denn die werden auch hier wieder eingesetzt. Der Schlusspunkt Materials beispielsweise wird von einer wackeligen Synthiemelodie eröffnet, dann entsteht eine sehr spannende Entwicklung, ohne dass irgendetwas plakativ würde. Control baut in ein reduziertes Fundament mit fast hypnotischem Effekt ein paar Sprach-Samples ein. Im instrumentalen Moonbeams ist alles rund um ein brachiales Schlagzeug stark verfremdet, der Rest ist Drone.

Look No Further eröffnet das Album mit einem sehr trägen Beat, einem womöglich defekten Gitarrensample und einem fast beteiligungslos gesprochenen Text. Das Ergebnis wirkt wie eine Bewerbung für das Vorprogramm bei der nächsten Eels-Tour. Die Musik in After The Fall scheint rückwärts zu laufen, der Gesang klingt im Refrain wie Billy Corgan in seinem quengeligsten Modus. Auch die Erkenntnis „I don’t feel like I should“ in der Strophe würde gut zum Smashing-Pumpkins-Frontmann passen. Daydream bräuchte nur ein paar Prozent mehr Lautstärke (oder weniger Hall), dann müsste man die Musik als brutal bezeichnen, der Gesang scheint hingegen davon unbeeindruckt über den Dingen zu schweben.

Dieser Kontrast ist zentral für Felt und genau das, was Suuns diesmal angestrebt haben. Mit dem Ballon auf dem Albumcover haben sie dafür eine sehr passende Metapher gefunden: Es geht darum, immer noch ein bisschen mehr hineinzubringen, im steten Bewusstsein, dass es dann irgendwann platzt. “Diese Idee von Druck, Widerstand und etwas so weit wie möglich zu dehnen, bevor es zerbricht, spricht mich sehr an”, sagt Ben Shemie. “Die Vorstellung, dass jemand mit seinem Finger einen Ballon zum Platzen bringt, hat für mich etwas seltsam Subversives. Das scheint mir gut zum Geist dieser Platte zu passen.”

Schicke Effekte bietet auch das Video zu Watch You, Watch Me.

Website von Suuns.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

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