The Beat Escape – “Life Is Short The Answer’s Long”

Künstler The Beat Escape

Life Is Short The Answer’s Long The Beat Escape Kritik Rezension
Auf ihrem Debütalbum setzen The Beat Escape gerne Bilder in den Kopf.
Album Life Is Short The Answer’s Long
Label Bella Union
Erscheinungsjahr 2018
Bewertung

In einem Video-Seminar an der Uni haben sich Addy Weitzman und Patrick A. Boivin kennengelernt. Man sollte diesen Fakt nicht überbewerten, denn beide haben davor (Weitzmann als Mitglied von Footprintz, Boivin als bildender Künstler) und danach sehr viele verschiedene Dinge gemacht, bevor sie sich als The Beat Escape zusammenschlossen. Für ihr Debütalbum Life Is Short The Answer’s Long sollte man diese Begegnung aber dennoch im Hinterkopf behalten. Denn was die Platte auszeichnet, ist ein starkes visuelles Element.

In den Texten des Duos aus Montreal tauchen wiederholt Visionen auf, unsichtbare Welten, verspiegelte Räume oder Stimmen, die durch Wände dringen. Auch der Sound von Life Is Short The Answer’s Long regt in höchstem Maße dazu an, Bilder in den Kopf zu setzen. Obwohl der Beat (trotz der prominenten Platzierung im Bandnamen) fast immer wie vorläufig wirkt, als sei er bloß als Hilfsmittel gedacht, damit die anderen Instrumente den Takt halten können, bis ein richtiger Beat später noch ergänzt wird, haben praktisch alle Tracks eine beinahe hypnotische Qualität.

Schon der Auftakt Sign Of Age zeigt geradezu prototypisch, wie der Sound von The Beat Escape funktioniert: Erst erklingt ein Synthesizer, dann ein weiterer Synthesizer, dann – Überraschung! – noch einer. Die Stimme ist verfremdet und verwaschen, das Ergebnis wirkt wie Musik, die nicht auf herkömmlichen Instrumenten, sondern komplett auf einer Nebelmaschine gespielt wird.

Das folgende Moon In Aquarias klingt wie elektronische Musik aus der Ära von Kraftwerk, oder sogar noch davor. Dann arbeiten sich The Beat Escape langsam in Richtung Gegenwart vor: Seeing Is Forgetting könnte man sich von den frühen OMD vorstellen, auch wenn die wohl nicht auf einen Background-Gesang gesetzt hätten, der an gregorianische Chöre denken lässt. Der Track zeigt auch die Vorliebe des Duos für verhinderte Ohrwürmer: „Wir mögen die Art von Songs, die beinahe ein Hit hätten sein könnten, aber irgendetwas Schräges an sich haben, sodass sie nie groß rauskommen“, sagen sie.

In Limestone Alps übernimmt der Bass die Melodie, wie man das von New Order kennt, zudem wird hier klar, wie gut diese absichtlich konturlose Stimme zum Sound von The Beat Escape passt. Auch in Then I Drift Away ist der Bass viel prominenter als der Beat, Thousand Pound Shoes lässt Flöten erklingen, der Album-Abschluss Nemo Propheta (Extended Mix) ist der einzige Song mit etwas mehr Muskeln und Fleisch auf den Rippen, auch wenn man sich nach wie vor extrem anstrengen (oder berauschen) müsste, um dazu tanzen zu können.

Where Water Ends behandelt die Vergänglichkeit und ist damit ein gutes Beispiel für die erstaunliche textliche Vielfalt und Tiefe auf Life Is Short The Answer’s Long. „Wir genießen beide den Prozess des Freilegens, in dem sich Bedeutung mit der Zeit selbst entwickelt und offenbart“, sagen The Beat Escape, und diese Herangehensweise findet sich tatsächlich in einigen Tracks bestätigt. So ist auch More Dreams ein Beispiel für diese Vorliebe. „Waiting for eternity to end“, singen sie darin. Dieses Unterfangen muss nicht unbedingt aussichtslos sein angesichts einer Musik, die ewig gleich zu bleiben scheint, sich aber permanent subtil verändert.

Auch das Video zu Seeing Is Forgetting scheint aus der Nebelmaschine zu kommen.

The Beat Escape bei Bandcamp.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

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