Thomas Godoj, Werk 2, Leipzig

Immer in Bewegung: Beim Konzert in Leipzig gibt Thomas Godoj alles.
Immer in Bewegung: Beim Konzert in Leipzig gibt Thomas Godoj alles.

Richtig genießen kann Luca Hänni seinen Triumph bei DSDS 2012 noch nicht. «Es ist noch so krass, dass ich das noch gar nicht richtig fassen kann», sagt der frischgebackene Sieger der neunten Staffel der RTL-Castingshow. Er will sich jetzt ins Zeug legen und schmiedet Karrierepläne. Der 17-jährige Schweizer ist sich sicher: «Jetzt geht es los.»

Aber solch ein Superstar-Titel kann eine ziemlich kurze Halbwertszeit haben. Das kann man nicht einmal 24 Stunden nach dem DSDS-Finale erleben. Da steht Thomas Godoj im Werk 2 in Leipzig auf der Bühne. Er gewann im Mai 2008 bei Deutschland sucht den Superstar, mit bombastischem Feuerwerk und vor sechs Millionen Fernsehzuschauern. Seitdem hat er es auf drei Alben gebracht, gerade ist seine erste DVD Live ausm Pott erschienen.

Aktuell ist er auf Deutschland-Tour. Im Schnitt kommen pro Abend 500 Zuschauer. In seiner Heimat im Ruhrpott sind es deutlich mehr. Hier, am anderen Ende der Republik, kommen 300 Fans. „In den neuen Ländern“, sagt der Mann vom Management politisch korrekt, „ist es schwieriger“.

Von Glamour ist auch sonst kaum etwas zu sehen. Backstage gibt es Softdrinks aus Dosen und eine halbe Kiste Ur-Krostitzer. Die Musiker und ihre Crew hängen vor dem Konzert auf dem Hinterhof des Werk 2 ab, umgeben von Graffiti und Ruinen. Immerhin: Ein Rettungswagen ist da, falls es doch noch Teenager in Ekstase geben sollte.

Thomas Godoj kommt damit klar, sagt er. „Der Hype ist geringer geworden. Aber das war mir von vorneherein klar. Ich heule dem nicht hinterher“, erzählt er mir im Interview vor dem Konzert. Ein grundsätzliches Problem mit Castingshows hat er ganz offensichtlich nicht (als Aufwärmmusik vor seiner Show läuft sogar ein Lied von Lena). Aber man merkt dem 34-Jährigen an, dass er die DSDS-Assoziation gerne hinter sich lassen möchte. „Das ist eine große Karaoke-Show. Da geht es nicht um deine Musik“, sagt er heute. Sein Image sei dadurch „negativ behaftet“. Den Namen der Sendung, die ihn berühmt gemacht hat, nimmt er bezeichnenderweise nicht ein einziges Mal in den Mund. Er spricht von „so einer Sendung“ oder „dieser ganzen Casting-Geschichte“.

Noch ein bisschen deutlicher wird Sebel van der Nijhoff, der das Vorprogramm bestreitet. „Ich denke, dass der Trend mit den Castingshows zu Ende geht. Ich glaube, dass die Leute wieder Künstler suchen. Jemanden, mit dem sie sich identifizieren können. Jemanden, der ihnen keine Scheiße erzählt, der nicht gemacht ist von irgendeinem Produzenten, sondern ihnen auf der Bühne das erzählt, was er ist.“

Diesen Worten lässt der Newcomer mit seiner Band dann auf der Bühne Taten folgen. Man erkennt sofort, dass er der Typ ist, als der er auch in seinen Liedern und Videos erscheint: eine Rampensau. „Hallo, wir sind die nervige Vorband“, lautet seine Begrüßung, und schon im ersten Lied Wie deutsch kann man sein präsentiert Sebel van der Nijhoff mit seiner Band alle gängigen Rockmusik-Posen. Er macht den Duckwalk, er spielt Gitarrensoli mit geschlossenen Augen und verkrampftem Gesicht und albert mit den Bandkollegen herum.

Das funktioniert blendend: Schon beim dritten Lied singen die Leute mit – und das, obwohl Sebel van der Nijhoff erst in vier Wochen seine erste EP veröffentlichen wird (das Album ist „quasi fertig“, sagt er im Interview, und soll dann spätestens Anfang August folgen). Zum Schluss gibt es eine Ballade, und davor meist knackigen Bluesrock, der mit einiger Sicherheit auch denen gefallen würde, die eigentlich zum (kurzfristig verschobenen) JBO-Konzert im Nachbargebäude wollten.

Auch Thomas Godoj wirkt in seinem Konzert nicht einen Moment lang wie das zufällige Produkt einer Privatfernsehsendung. Zu den Klängen von So gewollt, dem Titelsong seines aktuellen Albums, betritt er die Halle mitten im Publikum. Er trägt ein Seeed-T-Shirt und die Mütze, die auch auf dem Albumcover zu sehen ist (aber dadurch nicht weniger albern wird), wandert durch die Fans auf die Bühne und hat sichtlich Spaß daran, dass dieser Gag dem einen oder anderen schon nach ein paar Sekunden des Konzerts die Sprache verschlägt.

Es mögen zwar nicht mehr so viele Menschen im Publikum sein wie zu Zeiten seines Nummer-1-Hits Love Is You, und die meisten sehen aus, als ob sie eher Brigitte lesen als Bravo. Aber sein Konzert beweist, dass er einen Nerv trifft, dass die Fans hier sind, weil sie seine Lieder wollen – nicht, weil sie ihn aus dem Fernsehen kennen. Godoj wird ungeduldig erwartet (vor dem Konzert stehen die Fans tatsächlich Schlange; die Umbaupause nach der Vorgruppe zieht sich etwas länger hin als geplant, was nach einer halben Stunde in rhythmisches Klatschen mündet), legt sich dann voll ins Zeug und hinterlässt am Ende sehr zufriedene Fans. Herzblut heißt die neuste Single des Manns aus Recklinghausen – und genau das ist wohl auch sein neues Erfolgsrezept.

Thomas Godoj ist jetzt wieder authentisch, meint man. Er ist gerne nah bei den Fans, und er ist dankbar dafür, auf der Bühne stehen zu können. Man kann sicher sein, dass diese Fans beim nächsten Konzert in Leipzig wieder da sein und dass sie irgendwann „unser Thomas“ zu ihm sagen werden, nicht „der Thomas von RTL“. Vom Rocker zur Castingshow und zurück – Thomas Godoj könnte der erste sein, der diesen Weg schafft, auf dem beispielsweise Tobias Regner oder Martin Kesici gescheitert sind.

Für Luca Hänni, einen seiner Nachfolger, hat er auch noch ein paar Tipps parat. „Durch die Sendung wird man zwar ein bisschen bekannt. Aber man kann danach nicht blauäugig durch die Weltgeschichte rennen und sich als Held der Nation fühlen“, sagt Thomas Godoj. Er bereut seine Auftritte bei RTL nicht, sagt aber auch, dass er viel Lehrgeld bezahlt hat. Zweimal hat er seit dem DSDS-Triumph beispielsweise schon das Management gewechselt. Nun sieht es aus, als habe Thomas Godoj seinen Weg gefunden. „Was man im Nachhinein daraus macht, das bleibt einem selbst überlassen. Man sollte sich zügig aus dieser Maschinerie fernhalten, sich frei machen von dem Ganzen und versuchen, sein eigenes Pferd ins Rennen zu schicken.“

Sebel van der Nijhoff spielt Scheiß auf die Disco live im Werk 2 in Leipzig:

httpv://www.youtube.com/watch?v=pCAH8sU7gTo

Eine gekürzte Version dieses Konzertberichts gibt es auch bei news.de.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

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4 Gedanken zu “Thomas Godoj, Werk 2, Leipzig

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