Künstler*in | Courtney Barnett | |
Album | Things Take Time, Take Time | |
Label | Marathon Artists | |
Erscheinungsjahr | 2021 | |
Bewertung |
Das dritte Album von Courtney Barnett habe “die Direktheit einer Sammlung von Demos”, hat Pitchfork über Things Take Time, Take Time geschrieben. Man kann diesen Gedanken nachvollziehen: Statt mit einer kompletten Bandbesetzung zu arbeiten, hat die Australierin praktisch alles an diesen zehn Liedern gemeinsam mit ihrer Produzentin Stella Mozgawa (Warpaint, Sharon Van Etten, Kurt Vile) selbst aufgenommen. Das war erstens praktisch in Zeiten der Covid-Pandemie (die Platte wurde rund um den Jahreswechsel 2020/21 aufgenommen), zweitens vielleicht auch ein sehr bewusster Akt der Reduktion nach all den Preisen und all dem Hype für die ersten beiden Alben.
Der Pluspunkt dieses Ansatzes: Es wird noch deutlicher, wie einzigartig Courtney Barnett als Texterin ist. Wieder einmal erweist sie sich als feinsinnige Beobachterin der Seltsamkeiten und Eigenheiten des Lebens, spürt darin Gedanken auf, die universell sind, und macht daraus ergreifende Lieder. Sie weiß, dass gerade in den kleinen Gesten die großen Widersprüche und Sehnsüchte unserer Zeit zum Ausdruck kommen können. Sie offenbart auch auf Things Take Time, Take Time einen sehr präzisen Blick für die Skurrilitäten unseres Daseins, zu denen sie sich letztlich offensichtlich auch selbst zählt.
Es gibt allerdings auch Nebenwirkungen dieser eher sparsamen Ästhetik. Die Platte ist etwas unspektakulär, musikalisch zu sehr in sich selbst ruhend (nach eigenen Angaben entstanden die Lieder in einer Lebensphase von Courtney Barnett, in der sie ausnahmsweise glücklich war) und weit davon entfernt, mitreißend oder packend zu sein. Mid-Tempo ist die Default-Einstellung für diese Lieder, die Beats kommen gelegentlich aus einer Drum Machine, der Gesang ist so abgeklärt, dass die 34-Jährige zweihundert solcher Songs hintereinander singen könnte, ohne je heiser zu werden oder ins Schwitzen zu kommen.
Dieser Kontrast aus Drama im Inhalt und Phlegma in der Darbietung hat manchmal erstaunliche Effekte. „I am really gonna miss you“, singt sie zum Abschluss des Albums in Oh The Night (begleitet ausnahmsweise von Klavier statt Gitarre), und sie phrasiert es so beiläufig und intoniert es so schluffig, dass man am Wahrheitsgehalt dieser sechs Worte zweifeln muss. Ähnlich sieht es im herrlich schwebenden Before You Gotta Go aus. Es geht darin um einen eskalierten Streit, der wohl in einer Trennung endet, vielleicht auch in einer versöhnlichen Geste. “Before you gotta go / I wanted you to know / you’re always on my mind”, heißt es. Auch eine so tragische Zeile singt sie denkbar lakonisch. Darin stecken Schmerz, Bestürzung, sogar Verzweiflung – aber eben auch ein Schulterzucken.
In Write A List Of Things To Look Forward To ist der Sound bewusst pseudo-happy und persifliert einen naiven Jangle, der Text hingegen zeigt: Für Optimismus gibt es in dieser Welt und in diesen Zeiten nun wirklich keinen Grund. Wüsste man nicht, dass Splendour auf Deutsch “Pracht” oder “Prunk” bedeutet, würde man es angesichts des gleichnamigen Songs hier mit “Lethargie” oder “Schwermut” übersetzen. Here’s The Thing spielt mit Shoegaze-Einflüssen und gönnt sich auch ein bisschen instrumentale Exzentrik, If I Don’t Hear From You Tonight (mit Cate Le Bon als Gast am Bass) klingt wie The Velvet Underground, wenn die noch ein bisschen cooler gewesen wären (falls man sich das überhaupt vorstellen kann).
Take It Day By Day könnte ein verlorener Sixies-Klassiker sein, der schändlicherweise ewig übersehen wurde, auch Turning Green (Angeber würden wohl davon schwadronieren, wie groß die Krautrock-Einflüsse für den zugrunde liegenden Rhythmus sind) wird ein Highlight, ebenso Sunfair Sundown mit seinem sehr originellen Bass und der wichtigen Erkenntnis “Getting lost is a fine art”. Der Auftakt Rae Street ist quasi schon prototypisch für alles, was dann folgt: Die Atmosphäre ist träge bis resigniert (“I send my best wishes with the wind”, heißt es, im durch eine schöne zweite Stimme angereicherten Refrain wird dann rund um die Verse “Time is money / and money is no man’s friend” die Frage gestellt, ob all die Hektik unserer Welt wirklich sein muss), der Track gewinnt allerdings nach und nach nicht nur immer mehr Details, sondern sogar neue Dimensionen.
Things Take Time, Take Time ist oft zu krytisch und zurückhaltend, um der Australierin Heerscharen an begeisterten neuen Fans einzubringen, aber es ist gut und anders genug, um die Faszination und Zuneigung bei ihrem schon vorhandenen Publikum weiter zu steigern. Für sie selbst ist es nicht der Beginn des nächsten Levels in ihrer Karriere, wie der Marketing-Text zur Platte ankündigt, sondern vielleicht eher so etwas wie eine Vorbereitung dazu. Was die zehn Lieder vermeintlich unscheinbarer macht als ihren bisherigen Output, ist keineswegs Selbst-Genügsamkeit, sondern wohl eher Selbst-Reflexion. Und letztlich zeigt das Ergebnis, was auch auf den ersten beiden Alben die ultimative Stärke von Courtney Barnett war: Sie erreicht eine unvergleichliche Souveränität ausgerechnet durch das Eingeständnis von Verletzlichkeit.