Diese Paarung hatte man nicht unbedingt kommen sehen: Noel Gallagher stand als Boss von Oasis und danach mit seinen High Flying Birds immer für Hedonismus, für die Feier des Zusammenhalts, für Zuversicht, notfalls durch Selbstüberschätzung. Robert Smith verkörpert als Mastermind von The Cure hingegen Melancholie, Exzentrik und Verweigerung, notfalls bis hin zur Selbstauslöschung. Nun haben die beiden zusammengefunden: Smith hat einen Remix von Pretty Boy gemacht, der ersten Vorab-Single des neuen Albums von Noel Gallagher’s High Flying Birds. “Ich war überrascht und erfreut, als Noel mich bat, diesen großartigen Song zu remixen, und ich hatte viel Spaß dabei, ihn zu verlangsamen und auszubreiten”, sagt Robert Smith über den Track. “The-Cure-Schlagzeuger Jason Cooper entwickelte dafür eine großartige, vibrierende Schlagzeugspur, zu der ich spielen konnte – und der Rest fügte sich einfach unter dem Sternenhimmel meines fernen Mondes zusammen…” In der Tat wird der Remix (***1/2) sphärischer und geheimnisvoller als das Original, ohne dabei die Kraft oder die Eingängigkeit zu verlieren. Ein Highlight wird das wilde neue Gitarrensolo – und ganz so überraschend ist das Aufeinandertreffen zwischen Noel Gallagher und Robert Smith in diesem Fall vielleicht auch doch nicht, schließlich war an der Vorlage von Pretty Boy bereits Johnny Marr beteiligt, und den kann man als Mitglied von The Smiths vielleicht als Bindeglied zwischen der Musik der beiden britischen Großmeister betrachten. Auch bei zwei weiteren Songs des neuen Albums Council Skies (kommt am 2. Juni heraus) hatte Johnny Marr seine Finger im Spiel. Der Remix von Robert Smith wird derweil auf der Deluxe Limited Edition der Platte zu finden sein, die als Doppel-CD und Dreifach-Vinyl erscheinen wird. Diese Deluxe-Version enthält unter anderem auch einen Remix der Pet Shop Boys vom Album-Schlusspunkt Think Of A Number, eine Aufnahme des Oasis-Klassikers Live Forever aus einer Session für BBC Radio 2, Instrumentalversionen einiger Albumtracks und Songs, die nicht auf dem regulären Council Skies zu finden sind.
Auch für Alison Goldfrapp war eine Kollaboration der Anlass, in ihrer mehr als zwanzigjährigen Karriere erstmals ein Soloalbum zu machen. 2021 hat sie zwei Tracks mit Röyksopp für deren siebtes Album Profound Mysteries aufgenommen, und diese Erfahrung hat ihr gezeigt, wie reizvoll die kreative Arbeit jenseits des vertrauten Band-Kontexts mit ihrem Kollegen Will Gregory sein kann. Für den 12. Mai hat die Britin nun ihr erstes Soloalbum The Love Invention angekündigt, auf dem sie sowohl als (Co-)Autorin als auch als Produzentin aktiv war. Die Single So Hard, So Hot (***) gibt den ersten Vorgeschmack. “Ich wollte etwas machen, das sehr nach Club und Acid klingt. Aber ich wollte, dass viel Leichtigkeit im Refrain steckt – es gibt dort sowohl Spannung als auch euphorische Freiheit”, sagt sie über den Song. Ein straighter Housebeat, ein unternehmungslustiger Bass und klare Synthiesounds sorgen für dieses Gefühl – und natürlich verleiht ihre Stimme dem Track auch eine besondere Eleganz. Das ist keine komplette Neuerfindung im Vergleich zu dem Sound, den es bei Goldfrapp von ihr gibt, aber eine weitere sehr schöne Huldigung an die Disco als besten aller Lebensräume.
Das muss man erst einmal schaffen: Bedenkt man, dass Pabst ihr Debüt Chlorine (2018) im Jahr vor der Pandemie veröffentlicht haben und auch mit den Nachfolgern Deuce Ex Machina (2020) und Crushed By The Weight Of The World (2022) noch mitten in den Nachwirkungen von Covid-19 auf den Konzertbetrieb gelandet sind, dann sind mehr als 200 Liveshows in der Geschichte des Berliner Trios eine sehr beachtliche Zahl. Sie bedeutet letztlich: Praktisch immer, wenn es irgendwie möglich war, standen Erik Heise, Tore Knipping und Tilman Kettner gemeinsam auf der Bühne. Bei so viel Leidenschaft (und so viel Anerkennung für ihre Live-Fähigkeiten, die Pabst zuletzt auch den Job als Support für Billy Talent und Auftritte bei großen internationalen Festivals eingebracht haben) ist es nur konsequent, dass es jetzt auch einen offiziellen Konzertmitschnitt gibt: Das im September 2022 im Berliner Lido aufgenommene 1, 2, 3, Go! wird am 12. Mai herauskommen, und zwar mit 10 Songs auf rosarotem Vinyl, einem weniger in der digitalen Version und außerdem als knapp einstündiges Live-Video. Wie gut es gelungen ist, die Bühnen-Energie des Trios einzufangen, zeigt Skinwalker (***1/2) mit seinem irre wirkungsvollen Bass-Riff, der wahnsinnigen Gitarre, vielen Ecken und Kanten und einem wunderbaren Video, das quasi mitten im Moshpit gefilmt wurde. Wer nächstes Mal mitmachen will: Pabst sind sehr aktiv im Festivalsommer und danach auf eigener Tour, die sie am 16. Dezember auch nach Leipzig ins UT Connewitz führt.
Moving Without Movement (****) heißt die neue Single von Wicca Phase Springs Eternal. Wer der Meinung ist, das sei physikalisch unmöglich, hat wohl noch nie etwas von der Musik des Projekts von Adam McIlwee aus Pennsylvania gehört, der auf bisher fünf Alben gezeigt hat, wie lust- und kraftvoll er die Möglichkeiten des Geisterhaften, Transzendenten und Überirdischen feiert. Der Song ist der erste Vorbote des selbstbetitelten Albums von Wicca Phase Springs Eternal, das am 2. Juni auf Run For Cover Records erscheint und in enger Zusammenarbeit mit dem Australier Darcy Baylis und Ben Greenberg, der schon etliche Acts des Sacred Bones-Labels als Produzent und Tontechniker unterstützt hat, entstanden ist. “Ich sage das Wort ‘Mysterium’ wahrscheinlich hundertmal auf dieser Platte. Das ist es, was ich versuche, in Worte zu fassen – diese Idee von etwas, das schwer zu wissen, aber verlockend ist”, sagt McIlwee über das neue Album. Moving Without Movement ist um ein Bass-Riff aufgebaut, das auch zum Black Rebel Motorcycle Club passen würde (was auch für die Lederjacke und Sonnenbrille im Video gilt), dazu kommen ein paar New-Wave-Elemente und eine Eingängigkeit, die man bei Wicca Phase Springs Eternal bisher nie so ausgeprägt gehört hat. Und tatsächlich bewegen (mit Bewegung) kann man sich dazu auch.
Gerne beschließt Shitesite das “Futter für die Ohren” ja mit ein paar lokalen Highlights, so soll es auch diesmal sein. Cary aus Leipzig hat gerade ihre neue EP Lauf für den 12. Mai angekündigt und die Single Immer weiter (***1/2) veröffentlicht, die sie mit Arpen Daks geschrieben und mit Luca Jaromir Hauptfleisch und Tinkah produziert hat. Nach eigener Auskunft geht es um die Angst vor dem Tod, den Wunsch nach Leichtigkeit und Heilung, die offensichtlich vor allem im Gemeinsam zu finden ist. Umgesetzt wird das mit einem recht kühlen Electrosound, Sirenengesang à la Austra im Hintergrund, einer Klavierpassage am Ende und einem assoziativen Text, der wunderbar die Stimmung genau zwischen Hoffnung und Sorge, zwischen unbedingtem Genießen des Moments und Wissen um die wahrscheinliche bedrohliche Zukunft auf den Punkt bringt (“Strähnen im Gesicht / der Wind nimmt sie mit / Milchstraßenträume verschwinden / wir wissen wohin”). Wer will, darf vielleicht “Haiyti in deep” dazu sagen.