James Yorkston, Nina Persson And The Second Hand Orchestra

James Yorkston, Nina Persson And The Second Hand Orchestra – „The Great White Sea Eagle“

Künstler*in James Yorkston, Nina Persson & The Second Hand Orchestra

James Yorkston, Nina Persson And The Second Hand Orchestra The Great White Sea Eagle Review Kritik
Spontaneität und Musikalität prägen „The Great White Sea Eagle“.
Album The Great White Sea Eagle
Label Domino
Erscheinungsjahr 2023
Bewertung

Als James Yorkston 2021 seine bisher letzte Platte mit dem Second Hand Orchestra veröffentlichte, begann seine Altersangabe noch mit der Ziffer 4. Mittlerweile ist daraus eine 5 geworden, und der runde Geburtstag und die damit einhergehende Selbstreflexion zur Mitte des Lebens klingt immer wieder an auf The Great White Sea Eagle. Jenseits der 50 macht man sich eher Sorgen um die Eltern als um die Kinder, der eigene körperliche Verfall lässt sich nicht mehr leugnen und so schwierig es vielleicht war, dieses Jubiläum überhaupt zu erreichen, so wenig rosig könnte in unserer Jugend-fixierten Gesellschaft die Aussicht auf das erscheinen, was jetzt vielleicht noch kommt.

„You’ve reached half way for better or worse / if the first half was rough, oh the second is a curse“, singt er nun in A Hollow Skeleton Lifts A Heavy Wing, dem Schlusspunkt dieses Albums. Es ist ein klassischer Folksong in der Nähe beispielsweise von Nick Drake, alles klingt sehr behutsam und wunderbar innig. Man könnte meinen, der umtriebige Schotte hätte hier das getan, was er immer tut, wie es auch so viele seiner Altersgenoss*innen bevorzugen. Aber davon ist The Great White Sea Eagle weit entfernt. Denn wieder einmal hat er sich mit dieser Platte selbst herausgefordert. Zum einen durch die Tatsache, dass er diesmal auf dem Klavier komponiert hat statt auf der Gitarre. Zum anderen durch das Konzept hinter dem Second Hand Orchestra, das schon beim Vorgänger The Wide, Wide River (2021) so gut funktioniert hat: Nur drei Menschen kannten die neuen Lieder, als sich die Musiker*innen im Studio trafen, alle Arrangements und die meisten Instrumentalparts entstanden dort spontan.

„Für mich ist die Frische entscheidend, bei jeder Aufnahme, bei jeder Musik. Natürlich kann ich mir etwas wie Bohemian Rhapsody anhören und erkennen, was für ein erstaunliches Kunstwerk das ist. Ich weiß das alles zu schätzen. Aber für mich sind die Demos immer das Beste, die Demos, und nicht das, was später zu einem berühmten Song oder was auch immer wird“, sagt Yorkston. „Dieser Funke der Originalität, dieser Funke einer Idee, bevor sie platt gemacht und in etwas Poppiges verwandelt wird. Das ist es, was ich liebe. Ich liebe es, wenn Leute auf der Suche nach Ideen sind und sie vielleicht ein bisschen was Ungewöhnliches machen, was dann aber letztlich toll klingt. Ich liebe die Wildheit. Ich liebe das Abenteuer, das darin steckt.“

Man merkt der Platte in der Tat an, wie viel Lust hier alle Beteiligten haben, sich aus ihrer Komfortzone herauszubewegen. „Ich liebe sie alle, sie sind großartige Musiker*innen und bringen mit jedem einzelnen Instrument etwas Einzigartiges ein“, sagt Yorkston über seine schwedischen Mitstreiter vom Second Hand Orchestra, das wieder von Karl-Jonas Winqvist geleitet wurde. Er war (neben Yorkston selbst) die zweite Person, die vorab mit dem Material vertraut war. Die dritte war Nina Persson (The Cardigans), die diesmal als Gastsängerin dabei ist und das Album entscheidend prägt.

So gehören ihr die ersten Worte der Platte beim Einzählen und der ersten Strophe im Auftaktsong Sam And Jeanie McGreagor, danach ist ihre Stimme in den zwölf Liedern mal mehr, mal weniger prominent zu hören, bildet aber immer einen strahlenden Gegenpol zu Yorkstons eigenem Gesang. Ein Lied wie Mary wäre durchaus auch von den Cardigans vorstellbar gewesen (vielleicht hätte es gut auf Long Gone Before Daylight gepasst), in der Single An Upturned Crab entstehen hingegen unnachahmliche Yorkston-Persson-Harmonien, umspielt von tollen Streichern. The Harmony schließlich klingt, als hätte Leonard Cohen dem Frauengesang in seinen Liedern eine gleichberechtigte Position zugestanden, nicht bloß den Hintergrund.

Keeping Up With The Grandchildren, Yeah kombiniert eine recht wilde E-Gitarre mit luftigem Schlagwerk und filigranen Streichern, alle sorgen indes für einen einzigen Effekt: Wehmut. In The Heavy Lyric Police klingen James Yorkston, Nina Persson and The Second Hand Orchestra zwischendurch fast wie eine Marschkapelle, allerdings eine, die nicht marschiert, sondern torkelt und stolpert. Auch Peter Paulo Van Der Heyden entwickelt beträchtlich viel Kraft und Groove, zudem zeigt das Lied, wie Yorkstons Melodien durch die Entstehung auf dem Klavier komplexer geworden sind. Das reduzierte A Sweetness In You, das er Scott Hutchison von Frightened Rabbit gewidmet hat, A Forestful Of Rogues mit einem in seiner Einfachheit fast hypnotischen Piano und The Great White Sea Eagle, in dem er von einer rührenden Begegnung mit eben diesem Raubvogel erzählt, erinnern derweil daran, wie reizvoll seine Stimme ist – auch ganz ohne die weibliche Begleitung.

„Es ist ein Album, das sich reich und tief anfühlt, weil es so viel über das Leben und die Trauer, die Familie und die Natur zu sagen und zu vermitteln vermag. Aber es ist auf wundersame Weise auch ein leichtes und entspanntes Album“, schreibt die Komikerin Josie Long (sie war unlängst mit James Yorkston auf Tour) sehr treffend im Pressetext zur Platte. Wer zunächst nur einen kurzen Eindruck davon haben möchte, der ist sicher bei der Single Hold Out For Love an der richtigen Adresse, die den Charakter von The Great White Sea Eagle wunderbar einfängt: Die Komposition ist bereits toll, aber sie gewinnt noch einmal durch die schiere Musikalität der Umsetzung. Für Yorkston ist die Arbeit mit The Second Hand Orchestra dabei offensichtlich nicht zuletzt ein beträchtlicher Adrenalin-Kick. „Ich sage zu den Musiker*innen: Macht, was ihr wollt! Das ist unsere gemeinsame Platte! Es ist so eine kreative Befreiung. Ich habe als Autor so viele Soloalben, so viele Bücher, so viele Solotouren gemacht. In einem Studio mit einer Gruppe von Leuten zu sein, die bereit sind, etwas zu wagen und zu sehen, was passiert, ist nichts weniger als fesselnd.“

Von The Harmony gibt es eine wundervolle Liveversion im Video.

Website von James Yorkston.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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