Alex Cameron – “Forced Witness”

Künstler Alex Cameron

Forced Witness Alex Cameron Kritik Rezension
Sein zweites Album hat Alex Cameron in Berlin aufgenommen.
Album Forced Witness
Label Secretly Canadian
Erscheinungsjahr 2017
Bewertung

Darf man anno 2017 noch so etwas texten? „I’m a man on a mission / you’re a stripper out of luck”, beginnt Runnin’ Outta Luck, der dritte Song auf diesem Album. Alex Cameron kleidet ihn in einen lupenreinen Eighties-Sound mit großer romantischer Geste und lässt dann auch noch die Verse “And we’re good in the backseat / but we’re better upfront“ folgen. Mit jedem Wort scheint der Schriftzug “cheesy” ein bisschen heller zu leuchten.

Es gibt noch weitere Momente auf Forced Witness, dem zweiten Album des Australiers, die man für eine Persiflage halten könnte. The Hacienda könnte von Ween sein, mit Jesus aus The Big Lebowski als Sänger, so viel Latino-Verkleidung steckt darin. Das Keyboard und die Percussions von Country Figs hätten sicher auch Duran Duran glücklich gemacht, falls jemand heute tatsächlich noch Songs haben möchte, die dieses Ziel verfolgen. Für einen Track wie Politics Of Love würden die Killers, ähm, töten, auch weil der Text im genau richtigen Maße gaga ist. Wenn Weird Al Yankovic das Social-Media-Stalking für sich entdeckt hätte, würde er vielleicht Lieder wie The Chihuahua machen (Motto: “chasing pussy online”). Studmuffin96 könnte der kurzen Phase um 1980 entsprungen sein, in der die Rolling Stones versucht hatten, trendy zu sein.

Man läge allerdings komplett falsch, wenn man Forced Witness, das in Berlin mit Produzent Jonathan Rado (Foxygen) aufgenommenen wurde, für eine eitle, arrogante Angelegenheit eines Mannes, der vermeintlich über den Dingen steht, halten würde. Im Gegenteil: Es gibt in diesen Songs keine Ironie, sondern bloß das Streben nach Ernst, Überzeugung, Anstand und Aufrichtigkeit, das den weniger vom Glück Gesegneten auf dieser Welt als einziger Halt bleibt. Auch deshalb wirkt die Musik von Alex Cameron manchmal wie aus der Zeit gefallen: Hier scheinen die Menschen noch ihre Nachbarn zu kennen, mit ihrer eigenen Hände Arbeit ihr Geld zu verdienen und nichts so sehr zu ersehnen wie ein kleines bisschen Sympathie von ihren Mitmenschen.

Stranger’s Kiss, ein Duett mit Angel Olsen, ist das beste Beispiel dafür: Mit mehr E-Gitarre statt E-Piano wäre das eine tolle Vorlage etwa für Bruce Springsteen und Chrisse Hynde gewesen. Das Lied zeigt, dass die Stärke von Alex Cameron nicht das Nachahmen einer Ästhetik ist, sondern das gute, alte Songwriting und das Heraufbeschwören von, jawohl, echten Gefühlen.

Marlon Brando beweist das ebenfalls. Der Song ist einerseits ein Hit, nimmt andererseits ein sehr altmodisches Männlichkeitsideal ins Visier, das Marlon Brando symbolisiert, mit Schlägereien, Eifersucht, großer Klappe. Alex Cameron sieht das Lied als „eine Charakterstudie eines hoffnungslosen Schürzenjägers. (…) Der Text ist so etwas wie ein Augenzeugenbericht eines wütenden Mannes, eine Anklage von Homophobie und Frauenfeindlichkeit und ihren Ursprüngen in einer vergifteten Vorstellung von Männlichkeit“. Am Ende des Lieds entschuldigt sich der Erzähler für seinen Testosteron-Überschuss, auch damit wird klar, auf welcher Seite Alex Cameron steht.

Gleich sieben der zehn Lieder haben ein Saxofonsolo von Roy Molloy, dass man nicht mitten in den Achtzigern steckt, zeigen gleich zwei Songs aber zumindest mit ihrem Bezug zum Internet, insbesondere zum Online-Dating. „I live with a deep regret of what I do on the internet“, gesteht Alex Cameron in Candy May, zu einem Sound, in dem alles reduziert und klar auszumachen ist, der aber trotzdem geheimnisvoll wird, vor allem wegen des verschwörerischen Gesangs. Auch True Lies thematisiert digitale Flirts, diesmal erkennt der Sänger, dass sie ihm auch dann Bestätigung bringen, wenn sie kostenpflichtig sind und hinter der vermeintlichen Traumfrau am Ende vielleicht bloß „some Algerian guy“ steckt. Wer mit diesem Typen also jemals online zu tun hat, sollte auf der Hut sein. Im echten Leben ist die Begegnung mi Alex Cameron hingegen ein uneingeschränktes Vergnügen.

Die Autos im Video zu Candy May sind auch aus den Achtzigern, genau wie die Jeans von Alex Cameron.

Alex Cameron bei Facebook.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

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