Biffy Clyro, Bi Nuu, Berlin

Keine T-Shirts, kein Gekasper, trotzdem Spektakel: Biffy Clyro live in Berlin.
Keine T-Shirts, kein Gekasper, trotzdem Spektakel: Biffy Clyro live in Berlin.

Ein Geständnis: Der Kalender von 2012 vermerkt den 305. Tag, es ist ungefähr mein 30. Konzert in diesem Jahr und das erste, zu dem ich mit einem schlechten Gewissen komme. Denn die Show von Biffy Clyro im Bi Nuu ist offensichtlich eine recht exklusive Angelegenheit. Die Band hat schon im Wembleystadion gespielt (okay, als Vorband von Muse; aber dass Biffy Clyro zumindest die Wembley Arena mit einer Kapazität von 12.500 Plätzen auch aus eigener Kraft füllen können, ist auf ihrem Livealbum Revolutions unstrittig dokumentiert), aber heute ist sie in einem Mini-Club vor vielleicht 300 Leuten zu erleben. Innerhalb von 20 Minuten waren die Tickets weg.

Man sieht allen im Bi Nuu an (auch der beträchtlichen Anzahl von Leuten, die ihre wirklich wilde Zeit sicher schon hinter sich haben), wie froh sie sind, dabei sein zu können. Für Fans der Schotten muss dieser Abend ein wahr gewordener Traum sein. Sie kommen ganz nah ran an ihre Helden. Es gibt die einmalige Chance, schon ein paar Stücke vom für Frühjahr 2013 angekündigten Album zu hören. Überall sieht man schon vor Beginn des Konzerts leuchtende Augen, Enthusiasmus, Vorfreude. Und mich. Ich bin auch da. Und ich habe noch nie ein Lied von Biffy Clyro gehört.

Die Band war durchaus präsent für mich. Ich habe den dämlichen wasserstoffblondgefärbten Bart von Sänger Simon Neill vor Augen, der mir einst aus einer Musikzeitschrift entgegenschockte. Ich habe Assoziationen von Tattoos, Festivals, vielleicht Wolfmother. Aus berufenem Munde bekomme ich kurz vor Beginn der Show den Hinweis, Biffy Clyro seien „ein bisschen Emo“. Aber obwohl mir die Band ein Begriff war, bin ich mit ihrer Musik nie zusammengekommen. Daher das schlechte Gewissen an diesem Abend in Berlin: Ich habe das Gefühl, dass ich irgendjemandem den Platz wegnehme, der es viel, viel mehr verdient hätte, hier zu sein.

Ich bin überhaupt nur da, weil ein Freund mir seine Karte vermacht hat. Er ist ein so großer Fan, dass Biffy Clyro beinahe auf seiner Hochzeit gespielt hätten, er hatte natürlich Tickets, dann sogar einen Gästelistenplatz. Und so bin ich nun drin. Unverdient im Biffy-Himmel. Und es gefällt mir.

Dass alle drei Bandmitglieder (ergänzt um einen Gitarristen und einen Mann, der ganz links im Schatten ab und zu die Tasteninstrumente bedient) bereits oben ohne auf die Bühne kommen, finde ich zwar fragwürdig. Aber schon mit The Captain als zweitem Song werde ich ein Freund dieser Band. Je länger das Konzert dauert, desto klarer wird, dass die Schotten extrem gute Rockmusik machen, mit mindestens hundertprozentigem Einsatz, feinen Melodien, wenig Angst vor Romantik und genau der richtigen Dosis an Überraschungsmomenten. Nach einer halben Stunde ist God & Satan der perfekte Moment fürs Herausholen der Fotohandys, direkt danach bringt Who’s Got A Match, naja, ein bisschen mehr Feuer ins Moshpit vor der Bühne, bei Bubbles gibt es im Bi Nuu den ersten Crowdsurfer des Abends und Many Of Horror ist so intensiv, dass kein einziger Fan während dieses Lied daran denkt, ein Bier zu bestellen (ich habe aufgepasst, ich stand neben der Theke).

Das Bi Nuu ist ungefähr so groß wie der Fotograben in Wembley.
Das Bi Nuu ist ungefähr so groß wie der Fotograben in Wembley.

Das ist ein großer Spaß, und wenn die Songs manchmal bloß solide sind (wie Living Is A Problem Because Everything Dies, das in Berlin nach Hope For An Angel als zweites Lied des Zugabenblocks erklingt), dann sorgt die Begeisterung der Fans dafür, sie trotzdem zu besonderen Momenten zu machen. Der Abend ist eine der seltenen Gelegenheiten, bei der man zugleich aufpassen muss, nicht die schwitzigen Haare von Headbangern ins Gesicht zu bekommen UND nicht versehentlich auf sensible Emo-Mädchen zu treten – und das ist in der Realität ein viel angenehmeres Umfeld, als es sich hier vielleicht liest. Auch als Biffy-Clyro-Novize versteht man sofort, wie es diese Band schafft, Wembley bei Laune zu halten. Zugleich wirken sie in einem kleinen Club wie diesem, ohne die geringsten Anzeichen von Bühnenshow, trotzdem zuhause, authentisch, kein bisschen blasiert. Meine Erkenntnis lautet, vereinfacht gesagt: Biffy Clyro sind die besseren Foo Fighters.

Zum Schluss gibt es Mountains, alle sind entzückt, und spätestens jetzt machen auch die freien Oberkörper Sinn: Sie sind ein Symbol für die Kraft und Freiheit der ewigen Jugend, und genau diesen Geist bringt auch die Musik von Biffy Clyro zum Ausdruck. Es ist ziemlich wahrscheinlich, dass ich zu ihrem nächsten Konzert wiederkomme. Und mitsinge.

Biffy Clyro spielen Bubbles im Bi Nuu in Berlin:

httpv://www.youtube.com/watch?v=KOtmnCeBJ0E

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

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