Bye, bye Kummer Doku Kritik
Film / TV

Bye, bye Kummer

Am 10. Oktober 2019 veröffentlicht Felix Kummer sein Album Kiox. Knapp drei Jahre später steht er an zwei Abenden in Folge auf der Bühne der ausverkauften Parkbühne in Berlin und singt die Lieder dieser Platte, deren Wirkung “anders, länger, größer und intensiver” geworden ist als geplant, wie er hier sagt. Die TV-Doku Bye, bye Kummer begleitet diese Entwicklung und die Solo-Reise des Kraftklub-Frontmanns in drei Teilen und wird zum ultimativen Dokument einer erstaunlichen kreativen Idee.

Gleicht man das Zitat des Künstlers oben mit den Inhalten von Bye, bye Kummer ab, findet man nichts als Bestätigung. Zugleich passen diese ingesamt rund 43 Minuten, unterteilt in die Folgen Anfangen, Weitermachen und Aufhören (zusätzlich gibt es in der ARD-Mediathek noch einen anderthalbstündigen Mitschnitt vom letzten Kummer-Konzert), wunderbar zur Idee, die hinter Kiox stand.

So wie Kummer für die zwölf Songs seines Albums nach eigenen Angaben “Texte über mein Seelenleben” verfasst hat, die ihn verletzlich, unsicher und reflektiert zeigen, so gibt es hier viele sehr private Bilder, die ebenfalls nicht zum Standard-Image eines Rockstars passen. Wir sehen Felix Kummer in Unterhose im Hotelzimmer oder beim Bügeln der Bühnenklamotten, ebenso beim Fensterputzen und Bodenwischen während des Herrichtens des eigenen Plattenladens in Chemnitz, dazu gibt es Kindheitsfotos und Bilder vom Backstage-Treffen mit Oma. Zugleich macht die Dokumentation sehr deutlich, dass dieses Soloprojekt von Anfang an auf Gemeinschaft ausgelegt war, auf Begegnung und Miteinander mit den Fans. Es gibt viele Livebilder in der Doku, nicht nur von den legendären Abschluss-Shows in der Wuhlheide am 16./17. September 2022, und sehr gerne kommen auch Konzertbesucher*innen zu Wort, um den Impact von Kummer in Worte zu fassen.

Schauen wir uns die eingangs benannte Selbsteinschätzung von Kummer zum Verlauf dieser Geschichte doch noch einmal im Detail an.

Kummer war anders

Diese Aussage erstaunt am meisten. Denn Anderssein war natürlich von vornherein ein Grundmerkmal dieser Solo-Idee. Das fängt an beim Verkauf des Albums in einem eigens dafür eröffneten Plattenladen. Es setzt sich fort mit der künstlerisch recht klaren Abgrenzung zum Sound von Kraftklub. Und es reicht bis zum von Anfang an benannten (und tatsächlich durchgezogenen) Bekenntnis zur Einmaligkeit dieses Karriere-Kapitels, das der heute 33-Jährige stets als “Herzensprojekt” bezeichnet hat. Es würde ein Album und eine Tour geben, dann werde Kummer wieder beerdigt – so lautete der Deal, und schon allein damit hob sich Kummer natürlich enorm von quasi der gesamten Konkurrenz ab. Trotz dieser besonderen Ausgangsbedingungen hat Kiox dann allerdings in der Tat ein Eigenleben entwickelt, das für niemanden zu erwarten war. Mit anderen Worten: Es war als anders geplant, aber es kam dann noch einmal anders anders.

Kummer war länger

Die Idee der Einmaligkeit dieses Projekt wäre vielleicht noch wirkungsvoller gewesen, hätte es nicht eine so unerwartet lange Lebenszeit gehabt. Das lag natürlich in erster Linie an Covid-19, das genau dann das Konzertgeschehen in Deutschland zum Erliegen brachte, als Kummer mit seinen Liveshows durchstarten wollte. Wie sehr ihn das schmerzte, wird hier sehr deutlich. Das vielleicht größte Verdienst dieser Dokumentation ist der im Rückblick erstaunliche Hinweis darauf, wie nahe die gesamte Kummer-Idee durch die Corona-bedingte Unsicherheit damals am Kollaps war. Zugleich erweisen sich diese Pandemie-Monate als Lackmustest für die Sache mit der “Herzensangelegenheit”. Es wäre damals schade gewesen, die Solo-Tour komplett zu kippen, aber aus künstlerischer und kommerzieller Sicht nicht katastrophal. Dass Kummer dennoch gegen alle Widerstände an seinem Traum festgehalten hat, macht all die Erfolge umso wertvoller, die danach noch kamen.

Kummer war größer

In der Tat war der Erfolg von Kiox nichts weniger als phänomenal. Das Album erreicht Platz 1 der deutschen Charts, seine beiden Final-Shows in Berlin spielte Kummer vor jeweils 17.000 Fans mit Stargästen wie Max Raabe, Nina Chuba und Henning May von AnnenMayKantereit. Alle jemals gepressten physischen Exemplare waren rasend schnell verkauft. Vinyl-Ausgaben des Albums werden heute für Preise zwischen 200 und 1500 Euro gehandelt. Felix Kummer zeigt sich hier sichtbar stolz, dankbar und vor allem glaubhaft überrascht von dieser Dimension der Wertschätzung, die er auch solo geerntet hat.

Kummer war intensiver

Wenn Felix Kummer zum Abschluss seiner Soloaktivitäten zu dieser Bewertung kommt, hat das sicher mit Corona zu tun. Mit noch nie dagewesenen Rahmenbedingungen zu tun zu haben, ist definitiv eine prägende Erfahrung, wie hier nachgezeichnet wird. Die ungeahnte Intensität bezieht sich aber auch auf die Reaktion des Publikums. Viele Fans, die in Bye, bye Kummer zu sehen sind, kennen die Songs besser als der Autor selbst. Die Texte wirken, “als hätte er mir aus dem Kopf geschrieben”, sagt ein Mädchen hier. Für die Kummer-Angänger*innen hinterlässt das Ende des Projekts offensichtlich auch eine viel schmerzhaftere Lücke als für den Künstler selbst, wie man an den Tränen in der ersten Reihe erkennen kann. Auch hier spielen Covid und die Folgen eindeutig eine Rolle: Die sensiblen, zweifelnden, düsteren Lyrics von Kiox passten perfekt in die Zeit der Pandemie, und die Lieder von Kummer haben offenkundig viele junge Menschen durch diese schweren Monate begleitet, wodurch natürlich eine ganz besondere Beziehung entstanden ist.

Fazit

Unterm Strich zeigt die Dokumentation, wie leicht dies eine klassische Social-Media-Angeber-Geschichte hätte werden können à la “Seht her, wie ich mein unglaubliches Projekt komplett alleine verwirkliche und in immer neue, noch unglaublichere Sphären führe!” Doch nur die Tatsache, dass hier erstaunlicherweise in jedem entscheidenden Moment des Kiox-Lebenszyklus’ eine Kamera dabei war, deutet dann tatsächlich in diese Richtung. Vielmehr unterstreicht Bye, bye Kummer die Besonderheit dieses Phänomens, auch die Unverrückbarkeit seines selbst gewählten Endes. Neben vielen tollen Liedern und ein paar einmaligen Marketing-Ideen hat Kummer mit dieser Platte nicht zuletzt auch ein Statement geschaffen. Dinge müssen nicht immer verfügbar sein, bloß weil es ein Interesse daran gibt. Kommerzielles Potenzial muss nicht bis zum Exzess gemolken werden. Persönlich ins Risiko zu gehen und sich maximal zu exponieren, kann sich künstlerisch ebenso auszahlen wie emotional. Dahinter steckt letztlich eine recht altmodische Botschaft, die viel mehr meint als das Gesetz von Angebot und Nachfrage: Dinge sind wertvoller, wenn sie rar sind.

Bestes Zitat: “Songs zu schreiben und aufzunehmen und so, das ist alles geil. Aber ein sehr, sehr großer Aspekt dieses Tracks entfaltet sich erst dann, wenn ich ihn vor Leuten spielen kann.”

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

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