Danger Dan Livealbum

Danger Dan – “Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt (Live in Berlin)”

Künstler*in Danger Dan

Danger Dan Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt (Live in Berlin) Review Kritik
Ein Streichquartett bereichert das Livealbum von Danger Dan.
Album Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt (Live in Berlin)
Label Antilopen Geldwäsche
Erscheinungsjahr 2023
Bewertung Foto oben: (C) Check Your Head

Marc-Uwe Kling (der mit dem Känguru), Nico Semsrott (der mit der Kapuze), Olaf Schubert (der mit dem Pullunder). Sie alle haben irgendwann in ihrer Karriere den Deutschen Kleinkunstpreis gewonnen. Danger Dan hätte sich wohl noch bis weit ins Jahr 2020 hinein niemals vorstellen können, einmal in einer Reihe mit diesen Komikern zu stehen. Schließlich ist er erstens Musiker, zweitens mit der Spezialisierung “Gangster-Rapper” (so stellt er sich hier selbst vor) und drittens schlau genug, um die immanenten Probleme von Kleinkunst, Comedy und Kabarett zu durchschauen.

Diese Probleme sind nämlich beträchtlich: Da stehen Menschen auf der Bühne, die den Status Quo der gesellschaftlichen Zustände ins Visier nehmen, mal sehr albern, mal recht tiefgründig, aber immer mit dem Anspruch, kritisch, womöglich sogar mutig und in jedem Fall schlauer als der Rest zu sein. Da sitzen Menschen im Publikum, die keinesfalls einverstanden sind mit der Welt und dem System, die velleicht am liebsten eine Revolution anzetteln würden und sich in jedem Falle als rebellisch betrachten. Und sie alle treffen sich dann in staatlich subventionierten Kulturhäusern, lachen einen Abend lang miteinander, fühlen sich moralisch überlegen und glauben, sie hätten nun wieder einen Beitrag für die gute Sache geleistet – ohne dass sich an der Scheiße da draußen irgendetwas geändert hätte.

In diese Falle ist Danger Dan mit seinem Ende April 2021 veröffentlichten Soloalbum Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt zwangsläufig auch getappt. Die nun vorliegende Live-Entsprechung wurde im Berliner Admiralspalast aufgenommen, der sonst eher Musicals und Comedy zu seinem Profil zählt als HipHop-Jams. Vier Abende in Folge war der Saal ausverkauft, als Danger Dan dort mit diesem Programm auf der Bühne stand. Die Nähe des Settings beispielsweise zu einem Auftritt von Hagen Rether (seit 2008 ebenfalls Deutscher Kleinkunst-Preisträger) ist erstaunlich. Und den oben beschriebenen Effekt kann man bestens beobachten, wenn gegen Ende der Platte das Publikum im Chor “Militanz” schreit, als Antwort auf die Frage nach dem letzten Mittel des Protests. Wohlgemerkt: Diese Leute schreien dieses Wort nicht aus dem Schützengraben oder aus dem Untergrund, sondern von bequemen Sitzen aus, in einer gutbürgerlichen, denkmalgeschützten Location, nachdem sie Eintritt bezahlt haben, um sich so zu amüsieren wie der gut situierte Teil der Menschen aus dem 19. Jahrhundert.

“Wir haben so Leute an einen Tisch gebracht, die sich unter anderen Umständen niemals freiwillig an einen Tisch setzen würden”, sagt Danger Dan über die Effekte seines Überraschungserfolgs mit dieser Platte. Unter den insgesamt mehr als 100.000 Gästen bei den Shows der Kunstfreiheit-Tour waren in der Tat zweifelsohne etliche, die zuvor noch nie etwas von seinem Schaffen mit der Antilopen Gang gehört hatten, und mindestens genauso viele, die sich nie ein Konzert eines Mannes angehört hätten, der in Bomberjacke und Springerstiefeln alleine am Klavier singt. Zur großen, universellen Einigkeit gehört auf Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt (Live in Berlin) aber unüberhörbar auch, wie wohl sich hier alle in ihrer Position fühlen: Wir sind die Guten und Aufrechten – und wir bilden uns auch ein bisschen was darauf ein.

Es gibt noch ein paar weitere kritische Aspekte. So schön die Geschichte dieser Platte ist, so sichtbar ist doch der Sellout-Verdacht rund um dieses Livealbum. Zur Erinnerung: Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt ist mehr oder weniger aus Langeweile im Lockdown entstanden, als Liebhaber-Projekt mit minimaler Erwartung auf kommerziellen Erfolg. “500 Schallplatten, das war der optimistische Plan”, sagt Danger Dan zur ursprünglichen Kalkulation. Dann landete die Platte auf Platz 1 der deutschen Album-Charts und wurde mit Preisen überhäuft, die begleitende Tournee bekam immer neue Termine in immer größeren Hallen.

Angeblich hätten die Fans sich auch einen Konzertmitschnitt gewünscht, doch dass der Kassenschlager nun tatsächlich auch noch ein Spin-Off bekommt, wäre dennoch nicht zwingend nötig gewesen und wirkt ein wenig, als wolle man die Kunstfreiheit-Kuh eben doch noch ein bisschen länger melken. Dass die Ansagen und Gags von Danger Dan in Berlin teilweise wortgleich mit denen bei seiner Show zuvor in Leipzig sind, verstärkt vielleicht nicht gleich den Cash-In-Verdacht, aber zumindest den Charakter von professioneller Routine. Erschwerend hinzu kommt dabei, dass zumindest das erste Drittel des Livealbums quasi identisch mit der Studiofassung ist. Ingloria Victoria wird etwas variiert, Das schreckliche Buch bekommt ein ausgiebiges Klaviersolo – ansonsten hätte Shazam bei den ersten sechs Tracks wohl erhebliche Probleme, Studio- und Liveversion zu unterscheiden.

“Schwerer als reinzukommen ist es, wieder rauszukommen”, singt Danger Dan zum Auftakt in Lauf davon. Damit sind im Song die vermeintlichen Verlockungen eines bürgerlichen Lebens gemeint, aber ein bisschen kann man vermuten, dies beziehe sich jetzt vielleicht auch auf seine neue Rolle als Liedermacher, Kleinkünstler und Posterboy des Tagesspiegel-Feuilletons. Zumindest zeigt er hier, und das ist das Schöne an dieser Platte, dass er sich all der oben erwähnten Einwände bestens bewusst ist. In fast allen Punkten hat er auch wunderbare Gegenargumente zu bieten.

Fangen wir mit den Arrangements an: Nach dem ersten Drittel des Auftritts, in dem er seine Lieder quasi tatsächlich 1:1 wie auf dem Studioalbum spielt, holt er ein Streichquartett auf die Bühne, das die folgenden zehn Songs bis zum Ende des Konzerts begleitet. Das verstärkt die Hochkultur-Atmosphäre, verleiht den Songs eine zusätzliche Facette und beglückt nicht zuletzt den Künstler selbst: “Das Zusammenspiel mit dem Streichquartett hat mich unglaublich beflügelt. Ich habe nicht nur ganz tolle Musiker gefunden, sondern vier neue Freunde”, sagt Danger Dan.

Dieser Community-Charakter ist auch das beste Argument gegen den Sellout-Vorwurf. Dass der fast 40-Jährige den Siegeszug dieser Musik so ausgereizt hat, hängt unzweifelhaft auch damit zusammen, dass ihm kurz zuvor nach eigenen Angaben noch die Insolvenz drohte, und dass viele Mitstreiter*innen aus dem Antilopen-Universum während der harten Pandemie-Monate ohne Job und Perspektive da standen. “Wir sind Freunde und wir arbeiten nur mit Freunden. Egal, wessen Name vorne auf einem Album draufsteht, dahinter steht immer der ganze Freundeskreis”, betont Danger Dan das Selbstverständnis innerhalb des Trios und der ganzen dazugehörigen Crew. “Auch Kunstfreiheit war ein Teamprojekt. Wenn ich die beiden anderen nicht gehabt hätte, wäre ich durchgedreht, ich hätte die letzten zwei Jahre gar nicht überlebt.”

Und die Sache mit dem pseudo-rebellischen Kabarett-Effekt? Auch die kann er zumindest relativieren. Denn erstens bietet Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt (Live in Berlin) neben Klamauk und politischen Themen auch ein bisschen psychedelische Poesie und vor allem sehr viel Romantik. Zweitens wird auch durch dieses Livealbum noch einmal klar, wie sehr die hier zu hörende Musik für Danger Dan eine Herzensangelegenheit ist. Als Sechsjähriger hat er mit Klavierstunden begonnen, seine Vorliebe für Künstler wie Hannes Wader, Franz Josef Degenhardt oder Reinhard Mey hatte er auch als Mitglied der Antilopen Gang und auf seinen vorherigen Soloplatten immer mal wieder angedeutet. Dass er nun mit solcher Musik derart reüssiert, ist für ihn nichts anderes als ein weiterer Mittelfinger-Moment, den er natürlich auskosten will.

Wenn seine Eltern ihm zu einer Akademiker-Laufbahn geraten haben, er nun aber ein Popstar ist, wenn er auf seiner alten Schule in Aachen nur Ärger hatte, sich das Gymnasium aber nun auf Wikipedia mit seinem Namen schmücken will – dann zeigt das, dass er mit seinem Beharren auf Autonomie den richtigen Weg eingeschlagen hat. Die überraschende Erfolgsstory von Kunstfreiheit ist ein weiterer Beweis dafür. Nicht zuletzt zeigen diese Lieder sein enormes Gespür für den Zeitgeist und sein großes Talent, diesen in warmherzige, kluge und wunderschöne Lieder zu gießen. Vielleicht ist deshalb das die treffendste Charakterisierung von Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt (Live in Berlin): Für die Fans ist es ein schönes Souvenir. Für Danger Dan ist es ein Dokument für all die Widerstände, die er überwunden hat, all die Zweifler, die er Lügen gestraft hat. Seine ganz persönliche Tapferkeitsmedaille.

Mittellfinger hoch: Danger Dan spielt Ingloria Victoria live im Admiralspalast.

Website

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

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