Das Experiment

Film Zweiohrküken

Prof. Dr. Thon (Edgar Selge, rechts) gibt den Wärtern klare Regeln mit auf den Weg.
Prof. Dr. Thon (Edgar Selge, rechts) gibt den Wärtern klare Regeln mit auf den Weg.
Produktionsland Deutschland
Jahr 2009
Spielzeit 124 Minuten
Regie Til Schweiger
Hauptdarsteller Moritz Bleibtreu, Christian Berkel, Oliver Stokowski, Wotan Wilke Möhring, Justus von Dohnányi, Nicki von Tempelhoff, Timo Dierkes, Antoine Monot Jr., Edgar Selge, Andrea Sawatzki, Maren Eggert
Bewertung

Worum geht’s?

4000 Mark Belohnung winken allen, die an einem psychologischen Experiment teilnehmen. Untersucht wird das Rollenverhalten in Gefängnissituationen, 14 Tage lang. Per Zufall wird entschieden, welcher der Versuchsteilnehmer zu den Gefangenen und welcher zu den Wärtern gehören wird. Auch der Taxifahrer Tarek findet Gefallen an der Idee und meldet sich freiwillig. Doch er will nicht nur das Honorar kassieren, sondern auch eine Undercover-Reportage für eine Zeitschrift über seine Erlebnisse im Knast-Experiment schreiben. Schon bald hat er reichlich brisanten Stoff, denn das Experiment gerät völlig außer Kontrolle.

Das sagt shitesite:

Ärgerlich sind zwei Dinge an diesem insgesamt gelungenen und cleveren Thriller: Zum einen wird die Wissenschaft hier dargestellt wie zu Zeiten Frankensteins, mit Drähten am Kopf der Versuchspersonen, albernen Tests zur Bewertung ihrer Belastbarkeit, kryptischen Formeln auf einer Tafel im Hörsaal und natürlich (Sozial!-)Forschern in weißen Kitteln. Zum anderen geht Das Experiment schnell die ursprüngliche Message abhanden: Zu Beginn spielt ein Wärter mit den Gefangenen ganz kurz Basketball, doch danach ist kein Rollentausch mehr möglich. Der wichtige Hinweis (und die Erkenntnis des tatsächlichen Experiments aus dem Jahr 1971, das diesem Film zugrunde liegt), dass die Guten/die Opfer sich in anderer Rolle womöglich genauso verhalten würden wie die Bösen/die Täter, geht so im Verlauf des Films völlig verloren.

An seine Stelle tritt eine andere Botschaft: Das Experiment stellt letztlich infrage, ob wir überhaupt rationale Wesen sind. Alle fordern hier gegenseitig Respekt ein, innerhalb ihrer Gruppe und von der jeweils anderen Gruppe, doch keiner ist bereit, dem anderen mit dem geringsten Gefühl von Anstand, Wertschätzung oder Mitgefühl zu begegnen. Stattdessen wird deutlich, wie die Wärter ihr Selbstwertgefühl aus der Erniedrigung der Häftlinge ziehen, und wie die Gefangenen umgekehrt bloß auf Rebellion setzen, um sich zu behaupten.

Gruppenzwang und Corpsgeist wirken hier auf beiden Seiten, und beide Gruppen schaukeln sich derart hoch, dass am Ende von Das Experiment so etwas wie das Ende des Individuums erreicht ist. Die Wärter schikanieren erst aus Pflichtbewusstsein, dann aus falsch verstandener Prinzipientreue und schließlich aus Langeweile; die Gefangenen sehen schnell keine anderen Möglichkeiten mehr, auf ihren Wert und ihre Macht hinzuweisen, als Sabotage, Beleidigungen und Aufmüpfigkeit. Und die Wissenschaftler erweisen sich angesichts der Frage, ob sie die Gewalt (die Frage, was “Gewalt” eigentlich meint, wird hier zwischen den Zeilen zumindest angerissen) stoppen sollen, als ebenso skrupellos.

Dem Ganzen mit Bildern aus wackligen Handkameras und schlecht auflösenden Überwachungskameras einen pseudo-dokumentarischen Anstrich zu verpassen, den Film mit gelegentlicher Bild-Ton-Asynchronizität anzureichern und dazwischen Sexszenen als Traumsequenzen einzubauen, ist nicht allzu originell, aber sehr wirkungsvoll. Vor allem aber sorgen die enorm starken Schauspieler (vorneweg: Moritz Bleibtreu als unerbittlicher Agent Provocateur) dafür, dass Das Experiment sagenhaft spannend wird und letztlich auch ein bisschen mehr als bloß Entertainment bietet.

Bestes Zitat:

“Es ist nur ein Experiment. Die machen nur Spaß.”

Der Trailer zum Film:

httpv://www.youtube.com/watch?v=QdTafti2wdY

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

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