Keine Lieder über Liebe Kritik Rezension

Keine Lieder über Liebe

Film Keine Lieder über Liebe

Keine Lieder über Liebe Kritik Rezension
Tobias (Florian Lukas) und seine Freundin Ellen (Heike Makatsch) begleiten Markus (Jürgen Vogel, rechts) auf Tour.
Produktionsland Deutschland
Jahr 2005
Spielzeit 101 Minuten
Regie Lars Kraume
Hauptdarsteller*innen Jürgen Vogel, Heike Makatsch, Florian Lukas
Bewertung

Worum geht’s?

Tobias Hansen träumt von einer Karriere als Filmemacher, hat sich aber an noch kein größeres Projekt gewagt, weil ihm die zündende Idee dafür fehlt. Dann findet er sie in der eigenen Familie: Sein Bruder Markus bringt mit seiner Hansen Band eine neue Platte heraus und will auf Tour gehen. Tobias beschließt, ihn mit der Kamera zu begleiten und daraus eine Dokumentation zu machen. Auch seine Freundin Ellen kommt mit, was schnell für Spannungen sorgt. Denn Tobias vermutet, dass sie vor einem Jahr mit Markus angebandelt hat, seitdem ist es verdächtig ruhig zwischen den beiden Brüdern. Als Ellen und Markus wieder aufeinander treffen, scheint sich der Verdacht zu bestätigen. Dass Tobias die fragile Dreiecksgeschichte auch noch permanent filmen will, macht das Miteinander nicht einfacher.

Das sagt shitesite:

Im Hinblick auf die maximale Ausnutzung von Cross-Promotion ist Keine Lieder über Liebe ein Paradebeispiel: Für die Produktion ging eine echte Band auf Tour (die Hansen Band mit Jürgen Vogel als Sänger besteht ansonsten aus Mitgliedern diverser Grand-Hotel-van-Cleef-Acts) und machte ein echtes Album, dazu gibt es ein Tagebuch zur Konzertreise, verfasst von Heike Makatsch. Somit hat jeder der Protagonisten sein eigenes Medium für seine Sicht auf die Geschichte:  Markus die Musik, Ellen das Buch, Tobias den Film.

Wer das Werk von Regisseur Lars Kraume (der sich vorher und nachher vor allem mit zahlreichen Tatort-Folgen einen Namen gemacht hat) jetzt für ein durchkalkuliertes Marketing-Vehikel hält, liegt gänzlich falsch. Der Film wurde chronologisch gedreht, ohne festes Drehbuch. Wie sich das Geschehen entwickelt, wurde weitgehend der Empfindung der Schauspieler in der jeweiligen Situation überlassen, die deshalb während der Konzertreise permanent gefilmt wurden und nicht miteinander sprechen durften, wenn die Kamera aus (sie also außerhalb ihrer Rolle) waren. Das ist nicht nur mutig und bringt einen quasi-dokumentorischen Charakter mit sich. Es sorgt auch für eine enorm intensive Atmosphäre.

Die Grundposition von Markus ist eine gebremste Aggressivität, Tobias stellt eine gewollte Ahnungslosigkeit zur Schau, Ellen bemüht sich verkrampft um Harmonie. Dass sie der Bunker-Mentalität von Tourbus und kleinen Hotelzimmern ausgeliefert sind, verstärkt die Reibungskräfte. Vordergründig geht es in dieser Dreiecksbeziehung um die wenig originelle (aber hier durchaus klug diskutierte Frage), ob emotionale Treue mit sexueller Treue einher gehen muss. Dass Keine Lieder über Liebe eine so starke, aufwühlende Wirkung erzielt, liegt an den Themen, die dahinter liegen: Darf Ellen es wagen, für ihr eigenes Glück den familiären Zusammenhalt zwischen den beiden Brüdern aufs Spiel zu setzen? Darf Tobias die offensichlichtliche Zerrissenheit aller Beteiligten ausnutzen, um einen möglichst interessanten Film zu machen? Darf Markus wirklich so tun, als sei nichts gewesen, als ließe sich die Nacht mit der Freundin seines Bruders als unbedeutenden Ausrutscher abtun, wenn doch so offensichtlich ist, wie dauerhaft die Probleme sind, die dadurch entstanden sind?

Mit diesen Fragen geht der Film den verschiedenen Dimensionen von Zusammenhalt auf den Grund, zwischen Brüdern, in einer Band, in einer Beziehung. Keine Lieder über Liebe fragt, wie Loyalität und Treue in all diesen Kontexten entstehen, und ob sie durch Sex gefestigt oder gefährdet werden. Die größte Stärke dabei ist tatsächlich die permanente Präsenz der Kamera: Es gibt reichlich Andeutungen und Doppeldeutigkeiten in den Dialogen, jedes Wort, jede Geste, auch jedes Schweigen wird (fehl-/über-)interpretiert – jeder Verliebte wird das wiedererkennen. Das gilt auch für die Wirkung der Musik, die in den Texten dezent das emotionale Tauziehen aufgreift: Sie ist in manchen Momenten ein Ventil, in anderen wird sie zum Salz in der Wunde.

Bestes Zitat:

“Weißt du, was dazugehört, damit jemand die Wahrheit sagt? Dass auf der anderen Seite jemand ist, der die Wahrheit auch verträgt.”

Der Trailer zum Film.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

Alle Beiträge ansehen von Michael Kraft →

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.