Draufgeschaut: The Insider

Film The Insider

The Insider Russell Crowe Al Pacino Kritik Rezension
Lowell Bergman (Al Pacino, links) will Jeffrey Wigand (Russell Crowe) zu einem Interview bewegen.
Produktionsland USA
Jahr 1999
Spielzeit 157 Minuten
Regie Michael Mann
Hauptdarsteller Russell Crowe, Al Pacino, Christopher Plummer, Diane Venora
Bewertung

Worum geht’s?

Wenn er eine gute Story wittert, kennt Lowell Bergman kein Zurückstecken. Er arbeitet als Produzent für das erfolgreiche TV-Politmagazin 60 Minutes. Der Star der Show ist Moderator Mike Wallace, aber Bergman ist derjenige, der die aufwändige Arbeit hinter den Kulissen erledigt: Fakten überprüfen, Akten sichten, Informanten aufspüren. Durch einen Tipp ist er einer besonders spektakulären Gelegenheit auf der Spur: Jeffrey Wigand, der in der Forschungs- und Entwicklungsabteilung mehrerer Tabakproduzenten gearbeitet hat, will über geheime Praktiken der Branche auspacken, nachdem man ihm gekündigt hat. Allerdings hat er eine Verschwiegenheitsklausel unterschrieben und fürchtet große Repressalien seines mächtigen Ex-Arbeitgebers, wenn er auch nur in losen Kontakt mit einem Journalisten treten sollte. Bergman will ihn von einem Interview vor der Kamera überzeugen und setzt alle Hebel dazu in Bewegung. Denn die Tabakindustrie könnte durch die brisanten Informationen einen schweren Schlag erhalten – ihre Bosse hatten erst kürzlich geschworen, dass sie ihre Kunden nicht absichtlich von Nikotin abhängig machen. Könnte man ihnen das Gegenteil nachweisen, würde das den Weg für enorme Schadenersatzforderungen bahnen können.

Das sagt shitesite:

Die Kategorisierung als Thriller verdient sich The Insider ohne Zweifel. Zwar gibt es hier keine Verfolgungsjagden, Schießereien oder sonstige Action. Dafür aber viel Spannung, die gerade dadurch entsteht, dass die Gegner unsichtbar bleiben und die von ihnen aufgebaute Drohkulisse (fast) ausschließlich auf ganz legale Mittel setzt. Die Gewalt, die hier wirkt, ist nicht körperlich, sondern fein integriert in die Strukturen von Wirtschaft, Justiz, Politik und Medien. Eindrucksvoll ist das nicht nur, weil der mit sieben Oscar-Nominierungen bedachte Film auf einer wahren Begebenheit beruht, sondern vor allem auch wegen der beeindruckenden Kameraarbeit von Dante Spinotti, die perfekt zu diesem Sujet passt: Es gibt viel Dämmerung und Unschärfe in The Insider, häufig ist das Objektiv extrem nah dran an den Akteuren. Beinahe glaubt man: Wenn es technisch möglich wäre, dass sie die Kamera inhalieren wie den Rauch von Zigaretten, dann hätte Spinotti liebend gerne auch von dieser Methode Gebrauch gemacht.

Ungemein profitiert der Film auch von seiner außergewöhnlichen Ausgangssituation, die gut fünf Jahre vor den ersten Wikileaks-Schlagzeilen und mehr als zehn Jahre, bevor Edward Snowden zu einer Berühmtheit wurde, die prekäre Situation von Whistleblowern aufzeigt: Wigand steht ganz alleine da gegen eine riesige Maschinerie aus Manipulation, Desinformation und Korruption, gegen eine Armee aus Anwälten, Lobbyisten und Leuten, die im Notfall auch bereit sind, blutige Drecksarbeit zu leisten. Spannend wird das in The Insider aus zwei Gründen: Zum einen ist dieser Informant sehenden Auges bereit, sein Leben zu zerstören. Dabei ist dieser Jeffrey Wigand gerade kein Eiferer und Moralist, sondern eine erstaunlich kalte und rationale Figur. Zum anderen ist selbst sein vermeintlicher Mitstreiter – und das ist allen Beteiligten von Beginn an klar – kein wirklicher Komplize. Bergman geht es zwar auch darum, die Tabakindustrie dranzukriegen und ihre Lügen aufzudecken. In erster Linie geht es ihm allerdings um einen Scoop. Wenn das Interview abgedreht ist, wird er Wigand im Regen stehen lassen und sich der nächsten Story widmen – auch aus diesem Spannungsverhältnis bezieht der Film seinen Reiz: Der Versuch der beiden Männer, auf zuerst konspirative Weise, dann als Reaktion auf immer mehr Druck von außen, Vertrauen zueinander aufzubauen, bleibt stets sehr fragil.

Was stört, ist die Tatsache, wie sehr sich dieser Thriller seiner eigenen Bedeutsamkeit bewusst ist. Das gilt auch für die Hauptdarsteller Al Pacino und (noch etwas mehr) Russell Crowe. Die journalistische Entschlossenheit, die als Bergmans wichtigste Eigenschaft vorgestellt wird, grenzt an ein Klischee, wenn er sich selbst von einem gefürchteten Hisbollah-Führer und umzingelt von düsteren Gestalten mit Maschinengewehren, nicht einschüchtern lässt. Der innere Kampf, den Wigand mit sich ausficht, wird von Regisseur Michael Mann besonders gerne mit pseudo-bedeutungsvollem Schweigen ins Bild gesetzt. Das ist mehr als ein Wermutstropfen für diese packende und originelle Story: The Insider ist gut, aber selbstverliebt.

Bestes Zitat:

“Scheiß drauf. Gehen wir ins Gericht.”

Der Trailer zum Film.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

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