Dropkick Murphys, Haus Auensee, Leipzig

Wenn Al Barr spricht, klingt das noch krachiger als sein Gesang.
Wenn Al Barr spricht, klingt das noch krachiger als sein Gesang.

Das letzte Mal, als mich der Klang eines live gespielten Dudelsacks euphorisiert hat, war bei der Hochzeit meiner Schwester (die Ehe nahm kein gutes Ende). Das letzte Mal, als ich deutlich zu viel Whiskey getrunken habe, war am letzten Freitag (der Abend nahm kein gutes Ende). Das letzte Mal, als ich wildfremden Männern freudetrunken um den Hals gefallen bin, war im Oktober, als Giorgios Samaras das 1:0 für Celtic Glasgow beim FC Barcelona köpfte (das Spiel nahm, naja: ihr ahnt es….).

Heute könnte ich all das wieder tun. Die Dropkick Murphys sind zu Gast im Haus Auensee in Leipzig, und es gibt an solchen Tagen keinen besseren Ort für Verbrüderungsszenen, Saufgelage und ein bisschen keltisch angehauchte Schwermut. Ich werde mich all dem aber nicht hingeben. Das liegt daran, dass ich viel zu vernünftig bin. Außerdem ein bekennender Popper. Und schließlich ist es Montagabend.

Nichtsdestotrotz ist es ein Mega-Konzert. Es gibt nicht viel, was mich dazu bringen könnte, eine Schiebermütze zu tragen, meinen Ellbogen zu tätowieren, alle meine Freunde mit „Oi“ zu begrüßen, Hosenträger als unverzichtbares Accessoire zu betrachten und mir Ohrlöcher machen zu lassen, die so groß sind, dass man einen Flaschenöffner darin unterbringen könnte. Aber dieser Abend im Haus Auensee kommt nahe ran.

Das fängt schon mit dem großartigen Vorprogramm von Frank Turner an. Er hat einen Drummer dabei, der offensichtlich irgendwann rund um das Jahr 1981 bei Madness geflohen ist, und einen weiteren Mitstreiter, der in seiner frühen Kindheit einmal ein schweres Trauma mit einer Bassgitarre erlebt haben muss – und sich jetzt rächt, indem er das Instrument nach allen Regeln der Kunst malträtiert. Und natürlich hat Frank Turner reichlich tolle Songs im Gepäck. Übers Pokerspielen mit seiner Oma, über seine Exfreundin, über die schockierende Tatsache, dass seine Kumpels plötzlich alle heiraten und über die (je nach Sichtweise) noch schockierendere Tatsache, dass es keinen Gott gibt.

Mit The Queen Is Dead und dem direkt darauf folgenden, göttlichen Four Simple Words erreicht sein Set in der Mitte den Höhepunkt, und bis zum Schluss muss man diesem Typ einfach wünschen, dass er Hallen wie das Haus Auensee demnächst auch alleine füllt.

Kaum hat er sein letztes Wort gesungen, beginnen in Leipzig die „Let’s go Murphys“-Rufe. Mit einem furiosen The Boys Are Back erfüllen die Dropkick Murphys dann diesen Wunsch, und es wird der Auftakt zu atemberaubenden 90 Minuten. Mit Burn und Johnny I Hardly Knew Ya legen sie nach, und ab da kann eigentlich nichts mehr schief gehen.

Sänger Al Barr, dessen Sprechstimme bedenklicherweise noch kaputter klingt als seine Singstimme, legt sich auch bei seinen Ansagen (in sehr flüssigem Deutsch, was daran liegt, dass seine Mama aus Deutschland kommt) voll ins Zeug, und die Band aus Boston wird belohnt mit einem ausverkauften Saal voller Liebe und Hingabe. Bei jeder Zeile geht irgendwo ein Arm hoch, an diesem Arm ist eine Hand, an dieser Hand ist ein Zeigefinger, und in diesem ausgestreckten Finger steckt die Botschaft: Du sprichst mit aus dem Herzen! Dieses Lied bedeutet alles für mich!!

Den Songs vom neuen Album Signed And Sealed In Blood merkt man an, dass sie in puncto Komposition in einer ganz anderen Liga spielen als das alte Material (vor allem das irre Rose Tattoo belegt das), aber natürlich werden die Klassiker in Leipzig ebenso gefeiert. Schnell sieht man in Publikum die nackten Oberkörper von Männern, und man muss bei dieser Musik davon ausgehen, dass sie womöglich nicht im Fitnessstudio gestählt wurden, sondern bei echter, körperlicher Arbeit. Neben der Theke wedelt jemand mit seiner Krücke, an der ein Dropkick-Murphys-Schal hängt. Und als Wild Rover erklingt, scheint das Haus Auensee tatsächlich Segel zu setzen in Richtung US-Ostküste – natürlich mit Zwischenstopps in Dublin und Glasgow.

Apropos: Für I’m Shipping Up To Boston, das letzte Lied des regulären Sets, kommt Frank Turner noch einmal zurück auf die Bühne. Dann gibt es eine Mini-Pause (natürlich wieder mit „Let’s Go Murphys“-Rufen) und danach gleich fünf Songs als Zugabe. Barroom Hero macht den Auftakt, dann gibt es zu End Of The Night eine Stage-Invasion mit reichlich Schunkeln auf der Bühne. Bei Skinhead On The MTBA wird daraus ein Pogo-Inferno. Bei Citizen CIA, dem letzten Song des Abends in Leipzig, gibt es dann vollends kein Halten mehr, und auf der Bühne tummeln sich mehr Leute als bei mancher Show in anderen Läden im Publikum.

Die Stage Invasion ist ein wunderbares Finale, denn sie unterstreicht den Geist von Brüderlichkeit, der dieses Konzert prägt. Der Schluss führt die zudem Tatsache vor Augen, dass es bei den Dropkick Murphys quasi nichts gibt, was man „Show“ nennen könnte. Sondern einfach bloß einen Haufen aufrechte Leute, die ihre Musik lieben – auf der Bühne und im Publikum. Das letzte Wort soll deshalb noch einmal Frank Turner haben, der das schon in Try This At Home festgestellt hatte: „There’s no such thing as rock stars / there’s just people who play music.“

Die Dropkick Murphys spielen gemeinsam mit Frank Turner I’m Shipping Up To Boston, in Leipzig:

httpv://www.youtube.com/watch?v=0XzmvR_H7N0

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

Alle Beiträge ansehen von Michael Kraft →

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.