Dave Eggers – “Ein Hologramm für den König”

Autor Dave Eggers

"Ein Hologramm für den König" ist ein Aussteigerroman der anderen Art.
“Ein Hologramm für den König” ist ein Aussteigerroman der anderen Art.
Titel Ein Hologramm für den König
Verlag Kiepenheuer & Witsch
Erscheinungsjahr 2012
Bewertung

Als den „momentan wohl begabtesten Weltbeobachter“ hat Neon unlängst Dave Eggers gepriesen. Sein Verlag lobt ihn als „einen der interessantesten, engagiertesten und wagemutigsten Schriftsteller der Gegenwart“. Und auch die organisierte Kritik ist begeistert: Für Zeitoun (2009) wurden ihm in seiner Heimat der American Book Award und hierzulande der Albatros-Preis der Günter-Grass-Stiftung verliehen.

Man ist gewillt, so jemanden am liebsten beim Reißen der Messlatte zu beobachten, ihn vom Sockel zu stoßen und die Messer zu wetzen für den Zeitpunkt, an dem er all diesem Lob nicht mehr gerecht wird. Doch Ein Hologramm für den König, der fünfte Roman von Dave Eggers, ist nicht das Buch, das dazu Gelegenheit gibt. Im Gegenteil: Der 43-Jährige untermauert damit seinen Status als exzellenter Erzähler mit dem Finger am Puls der Zeit.

Ein Hologramm für den König erzählt die Geschichte von Alan Clay. Der 45-Jährige ist der einzige Mitarbeiter in seiner eigenen Consultingfirma. Und er ist fast pleite. Der letzte Strohhalm ist ein lukrativer Deal, der in Saudi-Arabien winkt. Dort will König Abdullah mitten in der Wüste eine hoch moderne Stadt aus dem Boden stampfen. Eine amerikanische Softwarefirma will die IT-Struktur dafür liefern, und Clay ist der Mittelsmann dabei. Wenn er den Auftrag an Land ziehen kann, ist er aus dem Schneider. Die Präsentation der Software ist bis ins letzte Detail vorbereitet und soll den König mit Leistungsfähigkeit, Innovationskraft und Perfektionismus beeindrucken. Doch Seine Majestät kommt nicht. Immer wieder vertröstet er die Delegation aus den Staaten, und so hat Alan Clay reichlich Zeit, nicht nur an seinem geschäftlichen Erfolg, sondern auch an seiner Zukunft zu zweifeln.

Der Roman wird so zu einer ebenso nüchtern erzählten wie beeindruckenden Bestandsaufnahme der Globalisierung und dessen, was sie mit den Menschen macht. Clay kommt noch aus einer Ära, in der echte Dinge produziert wurden, in der man Verantwortung für die Qualität seiner Produkte verspürte und direkten Kontakt zu seinen Kunden hatte. Jetzt ist er in einem Zeitalter angekommen, in dem Geld, Produkte und Märkte virtuell sind. Es gibt in diesem Business keine Produktion, es gibt keine Ehre, kein soziales Gewissen und keine Nachhaltigkeit, sondern nur noch Preis und Profit.

„Wie hätte er voraussagen können, dass die Welt das Interesse an Menschen wie ihm verlor?“, ist eine der Fragen, die er sich stellt. In diesen Satz packt Dave Eggers das ganze Dilemma seines Protagonisten, und zugleich seine Anklage gegen die Entmenschlichung der Wirtschaft, die längst absurde Ausmaße angenommen hat – und in diesem Buch auch immer wieder absurde, tragikomische Szenen entstehen lässt.

Würde man Ein Hologramm für den König verfilmen, käme für die Besetzung der Hauptrolle eigentlich nur Bill Murray infrage. Denn Alan Clay ergibt sich nicht nur mit sagenhafter Lakonie in sein Schicksal, sondern legt noch zwei andere Reaktionen an den Tag. Die erste ist eine immer stärker werdende Sehnsucht nach Ursprünglichem: Jagd und Krieg werden in diesem Roman schnell wichtige Metaphern, vor allem aber kreisen die Gedanken von Alan Clay um die Idee, selbst etwas zu schaffen, mit der eigenen Hände Arbeit, möglichst im eigenen Land und für die Menschen, die ebenfalls in diesem Land leben und diese Sehnsucht teilen. Patriotismus, Heimat und Wurzeln sind wichtige Motive, und immer wieder macht Eggers deutlich, dass unser Wirtschaftssystem all diesen Werten entgegen wirkt, sie missbraucht und zersetzt.

Die zweite Reaktion ist der Zweifel. Zur finanziellen Sorge des Romanhelden trägt vor allem der Studienkredit für seine Tochter bei. Immer wieder plagt er sich mit der Frage, wie er ihr bloß erklären soll, dass er den Kredit nicht mehr bedienen und damit die Ausbildung seines Kindes, die Chance auf eine erfolgreiche Zukunft nicht mehr gewährleisten kann. Der Studienkredit wird zum Symbol für alle falschen Entscheidungen, die er getroffen hat und zugleich für die entschieden falsche Richtung, die die Welt eingeschlagen hat. Wenn er allein im Hotelzimmer ist und wieder einmal versucht, einen Brief an seine Tochter zu schreiben (den er dann doch nicht abschickt), wirkt der besorgte Vater erschütternd traurig, einsam und verloren. Die Entwürfe, die im Papierkorb landen, schwanken zwischen Philosophie und Rechtfertigung, zwischen Selbstvorwürfen und Zweckoptimismus.

Clay weiß, dass er die Rolle des erfolgreichen, kompetenten Managers nur simuliert. Er ahnt, dass er die Methoden nicht beherrscht, die für den Erfolg und den Aufstieg in der Gegenwart gefragt sind. Aber er spricht sich Mut zu, auch wenn der in erster Linie aus der Vergangenheit gespeist wird. „An manchen Tagen konnte er die Welt umfassen. An manchen Tagen konnte er meilenweit sehen“, denkt er in so einem Moment. „An manchen Tagen kletterte er über die Ausläufer seiner Gleichgültigkeit und sah die Landschaft seines Lebens und seiner Zukunft als das, was sie wirklich war: kartografierbar, bezwingbar, erreichbar. Alles, was er machen wollte, war schon gemacht worden, also wieso sollte er das nicht können? Er konnte es.“

Geschickt versteht es Dave Eggers, in diese Zweifel noch zwei zusätzliche Dimensionen einzustreuen. Zum einen ist da eine sexuelle Komponente. Als Clay die Dänin Hanne kennen lernt, die ebenfalls versucht, sich inmitten des saudischen Kulturschocks zurechtzufinden, oder später die verführerische Ärztin Zahra trifft, ist ihm sein ruiniertes Ego mehr als bewusst: „Diese Augen, groß wie Planeten – er wünschte sie sich jetzt geschlossen, damit sie ihn nicht ansah und neu einschätzte“, denkt er während eines Annäherungsversuchs.

Zum anderen symbolisieren die Selbstzweifel auch die Schockstarre der USA. Alan Clay personifiziert ihre Werte wie Ehrgeiz, Zuversicht und Wachstumsglaube. Er lebte ein Leben wie die Geschichte der USA: Niedergang war daran nicht vorgesehen. Doch plötzlich ist er nicht mehr zu leugnen – und womöglich ist er auch noch selbst verschuldet.

All das wird noch beeindruckender, weil einige Inhalte von Ein Hologramm für den König auf echten Recherchen beruhen. KAEL, die geplante Hightech-Metropole in der Wüste, gibt es wirklich, ebenso wie die Fahrradfirma Schwinn, einen der früheren Arbeitgeber von Clay. Auch solche Randnotizen tragen zur Stärke des Buchs bei. Denn auch wenn die Verwandtschaft mit Arthur Miller oder Norman Mailer offensichtlich ist, begnügt sich Dave Eggers nicht damit, den Status Quo abzubilden, seine Kälte für sich sprechen und die Qualen seiner Protagonisten bloß im Raum stehen zu lassen.

Ein Hologramm für den König geht auf sehr subtile Weise viel weiter als das. Es ist ein Aussteigerroman der anderen Art, denn er erzählt von einem Aussteiger, der gar keiner sein will, sondern eigentlich mitspielen, dazugehören, teilhaben. Doch er ist in einem System gelandet, das ihm keine Möglichkeiten mehr dazu bietet. Wie er Tag für Tag auf den König wartet und wartet und wartet und jedes Mal ignoriert wird, ist ein wunderbares Bild für die Verachtung, die aus diesem System spricht, und für die Ohnmacht derer, die darin die kleinen Rädchen sind. Damit ist Ein Hologramm für den König durchaus auch ein Appell, all das nicht hinzunehmen, sondern etwas zu ändern. Und damit nicht mehr zu warten.

Bestes Zitat: „Es musste einen Grund geben, warum Alan hier war. Warum er hundert Meilen von Dschidda entfernt in einem Zelt war, ja, aber auch warum er hier auf Erden lebte. Sehr häufig lag der Sinn verschüttet. Sehr häufig musste ein wenig gegraben werden. Der Sinn seines Lebens war eine schwer erreichbare Wasserader zig Meter tief unter der Oberfläche, und er warf von Zeit zu Zeit einen Eimer hinunter in den Brunnen, füllte ihn, zog ihn hoch und trank daraus. Aber damit kam er nicht lange aus.“

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

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