Fjodor M. Dostojewski – “Die Dämonen”

Autor Fjodor M. Dostojewski

Fjodor Dostojewski Die Dämonen Kritik Rezension
Den Wettstreit der Ideologien thematisiert Dostojewski in “Die Dämonen”.
Titel Die Dämonen
Verlag Insel
Erscheinungsjahr 1873
Bewertung

Klatsch und Tratsch, Lästern und Gerüchte, Schwätzer und Maulhelden – von all dem gibt es reichlich in Die Dämonen. Den Roman deshalb für leichtgewichtig zu halten, wäre dennoch ein Trugschluss. Fjodor Dostojewski betrachtet in diesem Buch, mehr noch als in seinen vorangegangenen Werken wie Schuld und Sühne oder Der Idiot, die Situation im zaristischen Russland in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Er schildert den Kampf um Moral und Religion, Gut und Böse, Nation und Klasse, auf individueller Ebene wie auf gesellschaftlicher.

Im Mittelpunkt der Handlung steht Stepan Trofimowitsch, ein Möchtegern-Gelehrter. Er predigt die Ideale des Humanismus und den Geist der Antike, ist bei Lichte betrachtet aber ein Schmarotzer und Prahlhans, der seit Jahren auf Kosten der wohlhabenden Witwe Warwara Petrowna lebt, bei der er als Hauslehrer angestellt ist. Nun soll er verheiratet werden mit der 30 Jahre jüngeren Ziehtochter der Petrowna – das ist der Ausgangspunkt für eine Geschichte mit reichlich Intrigen, einem politischen Komplott, betrogenen Geliebten und Selbstmord.

Der Ich-Erzähler ist ein Freund von Stepan namens Anton Lawrentjewitsch. Er schafft es, alle Figuren des Romans mit ihrer vermeintlichen Erhabenheit lächerlich zu machen. Ironie ist dabei ein ebenso wichtiges Stilmittel wie die Reflexion über das eigene Erzählen. Oft deutet er das spätere Geschehen an, verzögert und baut Spannung auf. So kündigt er „einen der bedeutendsten Tage meiner Chronik“ an, um im selben Absatz (ebenso bedeutungsschwanger wie nichtssagend) vorwegzunehmen: “Und doch endete alles so, wie es niemand vermutet hätte. Kurz, es war ein Tag merkwürdigen Zusammentreffens von Zufällen.“

Diese Methode führt dazu, dass Die Dämonen von allen Werken Dostojewskis das vielleicht am wenigsten zugängliche ist. Das Buch hat oft eine große Nähe zum Drama, fast der gesamte Plot wird aus Dialogen entsponnen, manche Passagen des Autortextes wirken wie Regieanweisungen. Vor allem aber ist die Handlung hier ganz offensichtlich nur ein Feigenblatt, um Dostojewskis Ansichten zu den wichtigen politischen Strömungen seiner Zeit zum Ausdruck zu bringen. Sozialismus und Liberalismus gehören eindeutig dazu, ebenso Nihilismus, Panslawismus und das Festhalten an alten, bäuerlichen, feudalen, vermeintlich typisch russischen Werten. Für jede dieser Positionen erfindet Dostojewski eine Figur, um sie dann in eine inkompetente Verschwörung zu verwickeln und sie in Diskussionen aufeinander treffen zu lassen, in denen sie sich die grausamsten Beleidigungen an den Kopf werfen, verkleidet in vollendete Etikette.

Viele Szenen sind offensichtlich ein Vorwand, um Fragen der Nation (und untrennbar damit verbunden: der Religion) diskutieren zu können. Dem Vergnügen bei der heutigen Lektüre ist das wenig zuträglich, für das damalige Publikum ist es freilich ein äußerst intelligenter Schachzug. Auch Die Dämonen ist, wie praktisch alle Werke dieses Autors, wieder eine Meditation über Russland. So legt er an einer Stelle des Romans Karmasinow folgendes Zitat in den Mund: „Unser heiliges Russland ist hölzern, bettelarm und gefährlich. In den höchsten Schichten eitle Tagediebe, während die große Masse wie Hühner in engen Hütten haust. Die freut sich über jeden Ausweg aus diesem Elend, man muss es ihr nur ordentlich klarmachen. Nur die Regierung allein leistet noch Widerstand, aber sie schlägt nur im Dunkeln mit einem Knüppel um sich und schlägt dabei höchstens ihre eigenen Leute. Hier ist alles sich selbst überlassen und verurteilt. Russland, wie es ist, hat keine Zukunft.“

Dass Dostojewski sich dieser Meinung zumindest in groben Zügen anschließt, ist unverkennbar. Denn im Widerstreit der Positionen macht er in Die Dämonen, und das ist die größte Stärke des Buches, auch Konstanten erkennbar. Dazu gehört erstens die Sprunghaftigkeit der Protagonisten und ein Idealismus, der allzu schnell Feuer und Flamme für eine neue Idee ist, ohne auch nur von einem Hauch von Reflexion getrübt zu werden. „Er war einer jener idealen russischen Naturen, die sich von irgendeiner starken Idee plötzlich überwältigen und auch sofort gleichsam zu Boden drücken lassen, und das manchmal für immer. Solche Menschen haben nicht die Kraft, sich mit dieser Idee auseinanderzusetzen, glauben aber leidenschaftlich an sie, und so verrinnt denn ihr ganzes Leben wie ein steter Totenkampf unter einem Felsblock, der auf ihnen lastet und sie schon halb zermalmt hat“, heißt es etwa über Schwatow. Zweitens bemängelt er offensichtlich die fehlende Fähigkeit, sich von außen zu betrachten und die eigene, eingeschränkte Sichtweise zu hinterfragen. Ein Kapitel wie „Bei den Unsrigen“ zeigt das sehr deutlich und strotzt vor Sarkasmus.

Drittens seziert Dostojewski auch in Die Dämonen die fatale Mischung aus Müßiggang und Sprunghaftigkeit, die seiner Ansicht nach die oberen Kreise der Gesellschaft seiner Zeit charakterisiert. „Alles, alles kommt bei uns von unserem vornehmen, lieben, gebildeten, launischen Nichtstun!“, erkennt Stepan Trofimowitsch an einer Stelle des Romans, zugleich sind praktisch alle Figuren melancholisch, kapriziös und wie im Fieber agierend. Sie widersprechen sich manchmal innerhalb eines einzigen Satzes, mindestens aber dreimal innerhalb eines Absatzes. Was sie eint, ist lediglich die Überzeugung, auf dieses Russland und seine Eigenheiten stolz zu sein – ohne dass jemand benennen könnte, worauf genau sich dieser Stolz denn gründen ließe.

Bestes Zitat: „Verse sind immerhin Unsinn und entschuldigen das, was in Prosa als Dreistigkeit gilt.“

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

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Ein Gedanke zu “Fjodor M. Dostojewski – “Die Dämonen”

  1. Ein sehr ansprechender Text zu dem Roman. Dostojewskis vermeintliche Zerfahrenheit so kompakt ins Auge zu fassen – eine nicht einfache Leistung. Respekt.
    Dass Die Dämonen eine agitatorisch / missionarisches Werk im Besonderen ,sein sollte (denn alle Bücher D.s waren dies) gibt er selber in einem Brief zum Besten:
    „Ich setze auch auf die Arbeit, die ich jetzt für den Russischen Boten schreibe, große Hoffnungen; ich meine nicht künstlerische, sondern die tendenziöse Seite, ich will gewisse Gedanken äußern, wenn dabei auch alles Künstlerische zugrunde geht. Aber die Gedanken die sich in meinem Kopf und meinem Herzen angesammelt haben, drängen mich dazu, wenn es auch nur ein Pamphlet wird, jedenfalls werde ich darin alles, was ich auf dem Herzen habe, aussprechen. Ich hoffe auf Erfolg.“

    Am Rande etwas zu der Rezeptionsgeschichte des Romans:
    Die Dämonen” durften zwischen 1917 und 1989 nur einmal als Einzelausgabe erscheinen – die jedoch 1935 noch vor der Auslieferung zurückgehalten wurde und spurlos verschwand.

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