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Ein Selbstversuch als Gorilla auf dem Highfield-Festival

Highfield 2015 Gorilla„Denkt an Sonnenschutz und Kopfbedeckung“, hatte mich die Festival-App während der Anreise noch ermahnt. Kein Problem. Ich habe an beides gedacht, wenn auch anders als die netten Leute vom Highfield das sicherlich gemeint hatten. Mein Sonnenschutz ist ein schwarzes Fell („100 % plush. Dyes might not be colourfast“, stand auf der Packung). Und die Kopfbedeckung ist eine Gorilla-Maske, ebenfalls mit Fell besetzt, innen gummiert, mit zwei Nasenlöchern und kleinen Schlitzen für die Augen. Das perfekte Sommeroutfit. NICHT. „Es wird sehr heiß, bis zu 37 Grad“, warnt die Festival-App. Willkommen in der Affenhitze, Gorilla.

Ich nehme das gerne hin. Irgendjemand muss sich ja mal opfern und maximalen journalistischen Einsatz zeigen, um endlich das rätselhafte Phänomen des Festivalganzkörperkostüms zu ergründen. Ich will erkunden, wie sich so ein Festival in Verkleidung anfühlt. Warum laufen da Leute als Krokodil, Schlumpf oder wandelnder Penis rum? Haben die wirklich mehr Spaß? Leben sie einen Fetisch aus? Und was tragen sie drunter? Auf zum Selbstversuch!

Die Unterkunft

Gorilla Highfield 2015 ZeltWie der Experte weiß, haben Gorillas als Schlafplatz in der Regel provisorische Nester, die nur für eine Nacht genutzt werden. Genau so sieht auch der Zeltplatz beim Highfield aus. Die wackligen Behausungen dürften kaum einer stärkeren Windböe standhalten, der Boden ist mit Essensresten verziert und ein paar dekorativ verstreute Faxe-Dosen markieren zusätzlich das Revier. Das Gorilla-Kostüm überhaupt anzuziehen, ist schon eine Überwindung, denn im Zelt ist es noch heißer als draußen. Als ich rauskomme, gibt es allerdings sofort motivierende Worte von den Umstehenden: „Du bist ja völlig bescheuert, bei der Hitze. Das hält doch kein Mensch aus!“ Wer da ruft, der weiß nicht: Ich bin kein Mensch. Ab jetzt bin ich Gorilla.

Die Orientierung

Gorilla Highfield 2015Auf geht’s zum Festivalgelände. Ich kann durch die kleinen Löcher in der Maske nur erkennen, was unmittelbar vor mir ist. Wer war das, der mir da gerade auf die Schulter geklopft hat? Keine Ahnung. Als ich mich umdrehe, verrutscht die Maske und damit das Blickfeld. Bin ich da gerade in Scheiße getreten? Will mir jemand ein Bein stellen? Läuft links von mir jemand in einem noch krasseren Kostüm? Das alles kann ich nur erkennen, wenn ich den Kopf genau in die passende Richtung drehe.

Schnell ist jeder Schritt eine Qual: Der Atem lässt die Maske von innen beschlagen, beim Sprechen klinge ich wie Darth Vader. Vor allem frage ich mich, ob ich wirklich so bescheuert aussehe, wie ich den Blicken der Leute entnehmen kann, die mir entgegenkommen. Die Antwort kriege ich schnell: „Ey, du Affe, du siehst scheiße aus“, sagt ein Typ (ausgerechnet) im Donots-T-Shirt. „Du solltest mich mal ohne Maske sehen“, kann ich gerade noch röcheln.

Nach gut 100 Metern, mit einer Limbo-Einlage samt Brusttrommeln als Zwischenstopp, ist zum Glück der Einlass erreicht. Ich kann mittlerweile gut nachvollziehen, warum echte Gorillas stinkfaul sind, sich zwischen 10 und 14 Uhr am liebsten gar nicht bewegen und pro Tag maximal einen Kilometer zurücklegen. Denn es ist heiß, heiß, heiß. Und mein Fell sieht schon nach dieser ersten Etappe ordnungsgemäß versifft aus, also noch authentischer.

Der Zugang zum Gehege

Gorilla NotausgangZwischen Handschuh und Kostüm kann ich mit etwas Mühe mein silbernes Presse-Bändchen aufblitzen lassen, deshalb darf ich die Abkürzung aufs Gelände benutzen. Ich freue mich, mir den Spitznamen „Der Affe von der Presse“ endlich mal redlich verdient zu haben. Und erfahre später im Gespräch mit einem Security-Mann, dass Leute in Ganzkörperkostümen am Einlass „einem ganz normalen Bodycheck“ unterzogen werden, wie alle anderen Festivalbesucher auch. Sie müssen die Maske absetzen, das Oberteil ausziehen und werden dann abgetastet. Und sie versuchen gerne, unter ihrem Fell reichlich Pyrotechnik, Messer oder Schnaps reinzuschmuggeln. Wie alle anderen Besucher auch.

Die Ernährung

Durst ist schnell ein großes Problem. Draußen herrschen weit über 30 Grad, im Kostüm (ich trage eine Badehose drunter, sonst nichts) dürften es um die 50 Grad sein. Ich war so schlau, das Kostüm extra noch zu verlängern (echte Gorillas sind erstaunlicherweise maximal 1,75 Meter groß, also ein gutes Stück kleiner als ich; wohl deshalb waren an dem Kostüm die Beine zu kurz und ich habe noch ein bisschen Extra-Fell angenäht, damit auch ja keine kühlende Brise zu mir durchdringt). Das bereue ich schon jetzt. Ich habe Durst. Viel Durst.

Highfield 2015 Gorilla StrohhalmArtgerechtes Verhalten (echte Gorillas nehmen Flüssigkeit mit dem Essen auf und trinken deshalb gar nichts) ist jedenfalls ausgeschlossen. Trinken ist allerdings ein noch größeres Problem. Das Kostüm hat keine Taschen, ich habe also kein Geld bei mir. Zum Glück begleitet mich aber ein sturzbetrunkener Fotograf, der mir 50 Euro für zwei Bier und eine Cola in die Tatze drückt. Die Dame am Beck’s-Stand guckt besorgt, als ich nach einem Strohhalm verlange, aber den brauche ich leider mindestens so dringend wie der ordentlich angeheiterte Fotograf sein nächstes Bier. Denn die bekackte Gorilla-Maske hat keine Öffnung für den Mund. Also muss das Nasenloch herhalten: Nach etlichen Versuchen schaffe ich es, den Strohhalm durch das Nasenloch der Maske und in meinen Mund zu bekommen und so ein paar Milliliter Cola zu schlürfen. Für solche Momente wurde wohl der Satz „You can’t beat the feeling“ erfunden, denke ich – bis ich später auf den Fotos sehe, wie abgrundtief ekelhaft das Trinken durchs Nasenloch aussieht.

Gorilla Highfield Festival 2015 BananeUnd Essen? Blätter und Früchte, die Hauptmahlzeiten auf dem Gorilla-Speiseplan, sind beim Highfield schwer aufzutreiben (es gibt nicht einmal Mario’s Pizza). Dafür schenkt mir eine Security-Dame eine Banane. Ohne Mundöffnung kann ich die zwar auch nicht essen, aber immerhin sieht das auf den Fotos lustig aus, die wir machen, als ich auf dem „Artist & Production“-Gelände auf ein paar Kisten und Paletten klettere, um mich endlich mal wie ein afrikanischer Waldbewohner aufführen zu können. Auf der Verpackung meines Kostüms stand schließlich auch: „Serious fun. For the wildest of parties!“

Das Sozialverhalten

Die Verpackung hat zu diesem Thema (außer „Keep away from fire“) wenig Ratschläge zu bieten, aber das ist nicht weiter schlimm. Denn ein sehr ausgeprägtes Sozialverhalten ergibt sich ganz von selbst, wenn man verkleidet über ein Festivalgelände läuft: Alle haben dich lieb.

Highfield Festival 2015 Gorilla BeachvolleyballFestivals sind der natürliche Lebensraum für Freaks. Sie werden hier nicht nur akzeptiert, sondern bejubelt – auf der Bühne und im Publikum. Wer bei diesem Wetter mit dickem Fell herumläuft, muss ein Freak sein und wird entsprechend verehrt. Die Security meckert nie, sondern grinst. Die Polizisten, die mir entgegenkommen, weisen nicht darauf hin, dass auch bei einem Rockfestival das Vermummungsverbot gilt, sondern grinsen. Die Menschen auf dem Beachvolleyballplatz protestieren in keiner Weise, als ich mit dem schlagkräftigen Argument „Ich kann gut springen“ in ihr Spiel hereinplatze, sondern grinsen.

Highfield 2015 Gorilla SchildkröteSchnell lerne ich die Vorzüge des Ganzkörperkostüms: Wer da drin steckt, gilt automatisch als harmlos, kontaktfreudig und schmerzbefreit. Sonnenverbrannte Männer im „Helene Fischer Ultras“-Shirt wollen mit mir Abklatschen. Alle wollen Fotos mit mir machen. Ein Typ, der als Schildkröte verkleidet ist, will mir Tipps zum Pinkeln geben (ist nicht so schwierig, mein Fell hat vorne einen Klettverschluss). Überall höre ich überraschtes „Ey, guck mal!“ oder „Krass, Alter“ und ganz oft „Du musst doch total schwitzen!“

So viel spontane Aufmerksamkeit und Sympathie von den Mitmenschen kriegt man selten ohne Gegenleistung. Es muss genau diese Erfahrung sein, die das Kostüm-Ding so reizvoll macht. Besonders faszinierend dabei ist, dass du im Kostüm genau siehst, wer dich anquatscht, aber die Leute keine Ahnung haben, wer du bist. Mann oder Frau? Alt oder jung? Schwarz oder weiß? Ein Typ aus dem Nachbardorf oder Joachim Gauck? Keiner weiß es. Du bist dein Kostüm. Und du kannst machen, was du willst.

Der Lebensraum

Highfield 2015 Gorilla FelsRockfestivals und Primaten – das sollte eigentlich wunderbar passen. Gorillas haben in freier Wildbahn eine Lebenserwartung von maximal 35-40 Jahren, auch das dürfte ungefähr mit den üblichen Werten von Festivalbesuchern übereinstimmen. Tatsächlich wäre ein Festival für einen Gorilla allerdings der Horror: Nach allem, was man weiß, mögen sie keinen Kontakt mit Menschen. Deborah Wells von der Universität Belfast fand 2005 in einer Studie heraus, dass im Zoo lebende Primaten gestresst werden, wenn zu viel Besucherandrang herrscht. Vor allem gilt das, wenn die Besucher „in großen Mengen auftreten, sich seltsam verhalten, laute Geräusche machen oder im Hinblick auf ihr Aussehen und ihre Kleidung stark von der Norm abweichen“, stellte die Psychologin fest – klingt genau wie die Umschreibung eines typischen Festivalpublikums.

Gorilla See Highfield 2015Abgesehen von der Hitze (angeblich gilt so ein Fell bei Gorillas der Regulierung der Körpertemperatur, aber bei mir scheint der Regler bloß die Einstellung „Sauna“ zu kennen) fühle ich mich als Highfield-Affe aber sehr wohl: Man kann ein bisschen klettern, es gibt viel Auslauf, reichlich Streicheleinheiten, keine konkurrierenden Silberrücken und sogar einen Badesee. Ich setze mich kurz ins Wasser (Gorillas können nicht schwimmen) und genieße die Abkühlung. Danach ist mein Kostüm allerdings so schwer, dass ich kaum noch laufen kann.

Also ist Trocknen vor der Bühne angesagt. Es spielen leider nicht die Gorillaz, aber immerhin ist das Programm mit Congoroo, Alligatoah und der Antilopen Gang an diesem Festival-Tag halbwegs tierisch. Meinen Artgenossen wäre das einerlei: Sie hören am liebsten Regenwald-Geräusche. Das fanden Forscher vom Canisius College in Buffalo, New York, im Jahr 2014 heraus, als sie Gorillas im Zoo nacheinander ein paar Stücke von Chopin, ein paar Songs von Muse und eine CD namens Sounds Of The Rainforest vorspielten. Gegen den Urwald-Sound hatten weder Klassik noch Rock eine Chance.

Die Fortpflanzung

Gorilla Highfield 2015„Die Paarung ist saisonal nicht eingeschränkt, kann also das ganze Jahr über erfolgen“, lehrt Wikipedia über den gemeinen Menschenaffen. Das sind ja schon mal gute Voraussetzungen. Auch wenn Gorilla-Weibchen auf dem Highfield nicht zu finden sind, haben die anderen weiblichen Primaten doch eine erkennbare, pardon, Affinität zu pelzig verkleideten Besuchern. Berührungsängste gibt es nicht.

„Der ist ja süß“, höre ich mehrmals pro Stunde (also, zugegeben, öfter als ohne Kostüm). Zwei Blondinen streicheln mir ungefragt den Bauch, zwei Mädels in Bikinis bieten an, mir mit ihren Wasserpistolen eine Abkühlung zu verschaffen, unzählige wollen Selfies machen und grapschen dabei gerne auch mal ins Fell. Natürlich habe ich Men & Chicken gesehen und werde den Teufel tun, die Gattungsgrenzen zu überschreiten. Aber wer auf einem Festival dringend Anschluss sucht und Spaß dran hat, wahl- und gefahrlos rumzubaggern (oder einfach sehr hässlich ist), der ist mit einem Plüschkostüm eindeutig gut beraten. Vor allem, wenn es vorne einen praktischen Klettverschluss hat.

Das Fazit

Gorilla Siesta Highfield 2015Als ich das Fell endlich ausziehen kann, habe ich locker fünf Liter Flüssigkeit verloren. Überall kleben künstliche Haare. Ich will sehr dringend duschen, kaltes Bier trinken und etwas anderes als Bananen essen.

Die ersten Minuten ohne Kostüm sind eine Erleichterung: frische Luft, freie Sicht, nur noch 35 Grad Umgebungstemperatur. Der Rest des Tages ist allerdings seltsam: Ich merke erst jetzt, wie spaßig die Zeit als Gorilla war. Einfach so über das Gelände zu laufen, ohne besonders zu sein, angequatscht zu werden und alle Blicke auf sich zu ziehen, fühlt sich plötzlich erschütternd langweilig an. Wahrscheinlich ist das des Rätsels Lösung: Wer auf ein Festival geht, will Spaß, Geselligkeit und Abwechslung vom Alltag. Jemand anders sein. Sich alles erlauben können. Im Kostüm geht das perfekt.

Ich habe auf dem Highfield 2015 auch ein paar andere verkleidete Besucher befragt. Die erstaunlichen Ergebnisse gibt es hier.

Eine Kurzversion meines Selbstversuchs gibt es auch bei Noisey.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

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Ein Gedanke zu “Ein Selbstversuch als Gorilla auf dem Highfield-Festival

  1. Mein lieber Mann, ganz schön stark das Outfit. Schade, das es nicht mehr da ist. Ich hätte eine Kandidatin zum Probetragen gehabt

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