Feine Sahne Fischfilet Alles glänzt

Feine Sahne Fischfilet – “Alles glänzt”

Künstler*in Feine Sahne Fischfilet

Feine Sahne Fischfilet Alles glänzt Kritik Review
Neue Gesichte und neue Wege gibt es auf dem sechsten FSF-Album.
Album Alles glänzt
Label Plattenweg
Erscheinungsjahr 2023
Bewertung Bandfoto oben: (C) Check Your Head

Vielleicht ist es mit dem heute erscheinenden Alles glänzt ein bisschen wie beim „Empty-Nest-Syndrom“. Damit gemeint sind die Probleme, die Eltern bekommen, wenn ihre erwachsenen Kinder das Haus verlassen. Eine der messbaren Folgen ist eine deutlich erhöhte Scheidungsrate. Das Phänomen ist wohl so zu erklären: So lange noch Trubel herrscht, weil immer auch der Alltag der Kinder zu organisieren ist, merken Paare mitunter gar nicht, dass sie sich auseinandergelebt haben. Wenn die Kinder ausgezogen sind, werden sie aber auf die Fragen zurückgeworfen: Was verbindet uns eigentlich noch? Mögen wir uns überhaupt noch? Welche Ziele und Träume haben wir noch miteinander, gemeinsam?

In einer ähnlichen Situation befanden sich Feine Sahne Fischfilet wohl während der Pandemie. Gegründet 2004 als Mittel gegen die eigene Langeweile und als Kampfansage gegen die Nazi-Präsenz in Mecklenburg-Vorpommern, war die Band quasi immer auf Achse, auch ganz ohne Mainstream- und Kommerz-Ambitionen drehte sich das Rad immer schneller – auch, weil die Band immer größer wurde. 2018 erreichte Sturm & Dreck Platz 3 der deutschen Charts, im selben Jahr konnte man im Kino eine Doku über Frontmann Monchi sehen.

Als das Sextett am 28. Dezember 2019 die Tour zum Album mit einem Konzert in Bamberg abschloss, wurde deshalb eine dringend benötigte Verschnaufpause beschlossen (dass die wegen Corona ohnehin kommen würde, ahnte damals noch niemand). “Wir hatten 14 Jahre durchgehend gepowert und alles in die Band gesteckt. Immer wenn wir Urlaub oder eine Pause machen wollten, kam irgendwas dazwischen”, erklärt Monchi. Als Feine Sahne Fischfilet die Maschinen dann wieder hochfahren wollten, war Sand im Getriebe. Man traf sich zwar zum Proben und schrieb auch ab und zu neue Stücke, aber ohne den Zwang, immer gleich die nächste Show, das nächste Interview oder die nächste Benefiz-Aktion im Blick zu haben, stellte sich plötzlich auch ziemlich laut die Frage: Passen wir eigentlich noch zueinander? Von künstlerischen und zwischenmenschlichen Differenzen ist die Rede, im Ergebnis verließen im Sommer 2021 Gitarrist Christoph Sell und Trompeter Jacobus North die Gruppe.

Dass die Band erstmals fünf Jahre zwischen zwei Alben verstreichen ließ, hat auch mit diesen schwierigen Personalien zu tun, die Feine Sahne Fischfilet jetzt als Prozess der Selbstreinigung betrachten. Die verbliebenen Bandmitglieder Jan “Monchi” Gorkow, Max Bobzin (Trompete), Kai Irrgang (Bass) und Olaf Ney (Schlagzeug) sind weiter gut befreundet und haben mit dem Rostocker Hauke Segert auch schnell einen neuen Gitarristen gefunden, der offensichtlich für reichlich kreativen Rückenwind gesorgt hat, seit er im September 2021 zur Band stieß. “Wir haben in einem halben Jahr mehr geschafft als in den vier, fünf Jahren davor”, sagt Monchi.

Schon nach ein paar Sekunden von Alles glänzt ist offensichtlicht, dass diese Frischzellenkur tatsächlich funktioniert hat. Kiddies im Block eröffnet das Album so kraftvoll und überzeugend, dass sofort klar wird: Hier erlebt man keine Band in der Sinnkrise und auch keine, die sich verzweifelt an den eigenen Markenkern klammert. Das Lied hat ein gutes Riff und einen mächtigen Bläser-Kick, einen abenteuerlustiger Bass und einen Text über den Alltag sehr junger Menschen mit wenig Geld, wenig Anerkennung und noch weniger Chancen, an dieser Situation etwas ändern zu können. Der Pluspunkt dabei ist, dass Feine Sahne Fischfilet eine Perspektive einnehmen, die zeigt, dass sie diese Kiddies nicht nur von TikTok oder aus der RTL2-Doku kennen, sondern aus dem echten Leben, aus dem eigenen Freundeskreis, aus der Nachbar- und Verwandtschaft.

Der Auftakt der Platte bleibt stark: Komm mit aufs Boot besingt die Ostsee als Zufluchtsort und “beste Medizin” zum Frustabbau, betont aber auch Gemeinschaftsgefühl, durch die Einladung im Songtitel und das “Wir” als das verwendete Personalpronomen. Diese eine Liebe punktet mit einem Ska-Refrain und scheint mit seiner Botschaft von Dankbarkeit, Vermissen und selbstloser Treue eher an einen guten Freund gerichtet zu sein als eine Ex. Das wunderbare Wenn’s morgen vorbei ist (“Scheißegal, wir haben gelebt”, lautet die FSF-Antwort auf dieses Szenario) feiert mit viel Draufgängertum und der nötigen Glaubwürdigkeit die eigene Crew und die gemeinsamen Werte – das dürfte ein sehr geiler Festival-Moment werden, nicht nur beim in diesem Jahr wieder stattfindenden “Wasted In Jarmen”. In Gib mir mehr blickt Monchi auf Gier und Maßlosigkeit, auch im Hinblick aufs Essen, wie er es zuletzt auch schon in Buchform getan hat.

Das zweite Drittel von Alles glänzt hat ein paar Schwächen, zeigt aber auch den Willen der Band, auf dem mittlerweile sechsten Album neue Elemente zu integrieren und die gelegentliche interne Reibung für die eigene Weiterentwicklung zu nutzen. “Wir können streiten, sind nicht immer einer Meinung, aber wir befinden uns gerade in der produktivsten Phase seit sehr langer Zeit”, sagt Max Bobzin beispielsweise. Kai Irrgang stellt klar, dass die anhaltenden Diskussionen keineswegs dazu führen werden, dass bald noch mehr Gründungsmitglieder von Bord gehen: “Durch die Begeisterung für die neuen Songs haben wir es immer wieder geschafft, zurück in die Musik zu finden.”

Wenn wir uns sehen behandelt das Schicksal von Kapitän Dariush Beigui, der als Seenotretter unzählige Geflüchtete gerettet hat, nun aber damit kämpft, das Erlebte zu verarbeiten. Monchi reicht ihm die Hand in einer erstaunlichen neuen Stimmlage, die Sensibilität zeigt, ohne weinerlich zu sein, das Lied feiert den Mut, alles der Menschlichkeit unterzuordnen und fragt sich, ob man selbst diesem Anspruch eigentlich gerecht wird. Gerade dieser Mix aus “Ich bewundere dich und sorge mich um dich” und “Ich möchte für dich da sein, habe aber keine Ahnung, ob ich irgendetwas für dich tun kann” sorgt dafür, dass es kein Betroffenheits-Gedudel wird, auch wenn der Song manchmal kurz davor ist, in Tote-Hosen-Pathos abzurutschen.

Auch Angst zu erfrieren hat so eine Ambivalenz: Weil Monchi als linker Aktivist permanent von Rechtsextremen bedroht wird, scherzt er einerseits über seine vermeintliche Unantastbarkeit (“Im Suff wetten wir, wer auf mehr Todeslisten steht”), gesteht aber auch ein, wie sehr diese zermürbende Gefahr sein Leben beeinträchtigt (“Ist es das wert oder nicht?”). In Tut mir leid packt Hauke Segert die Geschichte seines Einstiegs in die Band in Liedform (er singt auch selbst) und entschuldigt sich zugleich bei allen, für die er jetzt weniger Zeit hat. Irgendwann bleibt etwas unausgegoren, zeigt aber immerhin: Die Idealvorstellung des Lebens nach dem Tod beinhaltet bei Feine Sahne Fischfilet unbedingt Bengalos.

Mit Pass auf mich auf kriegt das Album wieder die Kurve, der Song ist schnell, aggressiv und so hart, wie Monchi mit sich selbst ins Gericht geht. Tage zusammen würde auch zu Kraftklub passen (deren Produzent Philipp “Philsen” Hoppen ist auch für Alles glänzt verantwortlich) mit seiner Feier von Zusammenhalt und Loyalität, mit der Erinnerung an ganz alte Verbindungen und die Entschlossenheit, sich auch von noch so trostlosen Rahmenbedingungen nicht unterkriegen zu lassen, und nicht zuletzt mit dem Talent, aus der Begegnung mit Freunden jederzeit eine unvergessliche Eskalation machen zu können, notfalls in der eigenen Küche. Wenn sich Feine Sahne Fischfilet zum Ende der Platte den Freaks dieser Stadt widmen, dann kann man erkennen, dass sie natürlich weiterhin liebend gerne die Gastgeber für diese Außenseiter sind – und dass die Freaks hier auf eine Band treffen, die sich geschüttelt und gehäutet hat, aber immer noch eine Gemeinschaft ist.

Wasser marsch! Das Video zu Wenn’s morgen vorbei ist.

Website von Feine Sahne Fischfilet.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

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