Geboren als Opfer

Viel erreicht, doch noch viel zu tun. So sieht die Bilanz nach 50 Jahren Gleichberechtigung in der Bundesrepublik aus. Doch die Probleme anderswo sind viel gravierender. Frauen werden weltweit Opfer – von Zwangsheirat, Gewalt oder Diskriminierung.

Die frauenpolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, Ina Lenke, sieht Frauen in Deutschland «längst noch nicht gleichberechtigt». Ihre Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk von den Grünen spricht von «Lethargie in Sachen Frauenpolitik». Und laut Jan Hoem, Direktor des Max-Planck-Instituts für demografische Forschung in Rostock, ist die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau in der Bundesrepublik bisher lediglich «eine Illusion».

Die Fakten stützen diese Kritik, und im Vergleich etwa zu den skandinavischen Ländern gibt es hierzulande in der Tat großen Nachholbedarf. Doch im weltweiten Maßstab wird klar: Anderswo sieht es noch viel schlimmer aus. Frauen werden diskriminiert, eingesperrt und umgebracht.

Jede dritte Frau auf der Welt wird in ihrem Leben irgendwann einmal geschlagen, sexuell missbraucht oder vergewaltigt, schätzt Amnesty International. Besonders betroffen sind Frauen in Afrika und der arabischen Welt. Aber nicht nur dort: 671.000 US-Amerikanerinnen wurden laut einem UN-Bericht im Jahr 1999 Opfer von familiärer Gewalt. In Russland wurden im selben Jahr rund 14.00 Frauen von ihren Partnern oder Angehörigen getötet. Nach wie vor gibt es dort kein Gesetz, dass Gewalt in der Familie bestraft.

Auch unmittelbar in Deutschlands Nachbarschaft sind die Probleme noch groß: Laut einer EU-Umfrage finden 58 Prozent der Polinnen, dass Frauen in ihrem Land diskriminiert werden. Polen hat noch immer kein Gleichstellungsgesetz, obwohl bereits seit 1993 über ein solches diskutiert wird und obwohl das Land als EU-Mitglied verpflichtet ist, für die Gleichstellung von Mann und Frau zu sorgen. Stattdessen schaffte die Kaczynski-Regierung vor zwei Jahren die Stelle der Gleichstellungsbeauftragten ab, inzwischen wurde sie aber wieder besetzt.

Auch im Berufsleben werden Frauen vielerorts benachteiligt. Beispiel Japan: Dort gibt es zwar ein Gleichstellungsgesetz, doch in der Praxis haben Frauen kaum Chancen auf eine Karriere. Unter allen Industrieländern hat Japan die schlechteste Frauenquote im Arbeitsleben. Das traditionelle Rollenverständnis sieht die Japanerinnen noch immer ausschließlich mit Kindererziehung und Haushaltsführung beschäftigt.

Oft bleibt auch kaum eine andere Möglichkeit: Weil die Männer meist sehr lange arbeiten, können sie die Frauen kaum im Haushalt entlasten – selbst wenn sie es wollten. Wenn Frauen dennoch arbeiten, bleiben für sie trotz guter Ausbildung oft nur wenig anspruchsvolle Tätigkeiten. Viel mehr als Kaffeekochen oder Kopieren wird ihnen nicht erlaubt – obwohl auch die zweitgrößte Weltwirtschaft mittlerweile unter akutem Fachkräftemangel leidet. Und ein Baby bedeutet fast zwangsläufig das Karriere-Ende: 70 Prozent der Japanerinnen bleiben für immer zu Hause, nachdem sie ein Kind bekommen haben.

In vielen Ländern werden Frauen noch immer im Kindesalter oder gegen ihren Willen verheiratet. Bei Moslems und Hindus sind Zwangs-Ehen üblich, in Saudi-Arabien ist es sogar legal, eine Frau gegen ihren Willen zu verheiraten. Aber auch in der Türkei, dem Kosovo und dem Nahen Osten ist diese Praxis verbreitet. Die Hilfsorganisation Terre des Femmes schätzt, dass auch 1000 Mädchen aus Einwandererfamilien in Deutschland pro Jahr zwangsverheiratet werden. Wer dem Willen der Familie nicht folgt, muss mit Sanktionen rechnen – bis hin zu «Ehrenmorden».

Das Schicksal der Frauen in anderen Ländern ist noch schlimmer. In Simbabwe jagt man alte Frauen immer öfter als «Hexen», weil man sie für das grassierende HI-Virus verantwortlich macht. In Teilen Afghanistans und im Iran gibt es immer noch Steinigungen. Etwa gegen Ehebrecherinnen wird diese Art der Todesstrafe verhängt, zuletzt gab es laut Amnesty International acht neue Fälle im Iran.

Im ebenfalls streng muslimischen Saudi-Arabien lässt man Frauen lieber sterben, als gegen die Regeln der Religion zu verstoßen: 15 Mädchen kamen im März 2002 beim Brand einer Schule in Mekka ums Leben. Die Mädchen durften nicht aus dem brennenden Gebäude fliehen, weil sie keine Kopftücher trugen. Rettungskräfte wurden nicht in die Schule gelassen, weil sie Männer waren – und Mädchen der Kontakt mit diesen nicht gestattet ist. In Saudi-Arabien und Brunei dürfen Frauen zudem nicht wählen, im Libanon müssen sie (im Gegensatz zu Männern) erst ihre Qualifikation nachweisen, bevor sie ihre Stimme abgeben dürfen.

Rund drei Millionen Mädchen werden laut Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation WHO jedes Jahr Opfer von Genitalverstümmelungen. Neben gesundheitlichen Risiken wirkt sich die Beschneidung von Mädchen oft auf das Lustempfinden der Frauen aus. Deshalb wird darin eine Unterdrückung ihrer Sexualität gesehen.

In Ägypten wurde die Beschneidung von Mädchen zwar im Juni 2007 per Erlass «definitv» unter Strafe gestellt. Doch bereits wenige Wochen später starb wieder eine 13-Jährige bei einer solchen Operation, bei der unter anderem Klitoris oder Schamlippen entfernt werden können. Nach wie vor gelten praktisch alle ägyptischen Frauen als beschnitten, auch in vielen anderen Ländern in Afrika und der arabischen Welt wird dieser Eingriff flächendeckend vorgenommen. In Äthiopien beispielsweise ist die Genitalverstümmelung bereit seit 1997 verboten, aber dennoch nach wie vor weit verbreitet.

Auch im Bürgerkrieg in Darfur leiden Frauen besonders. Vergewaltigungen werden dort von den regierungsnahen Janjawid-Milizen als Kriegsstrategie eingesetzt, wie Amnesty International aus der Befragung von Opfern in Flüchtlingslagern ermittelt hat. Oft werden Frauen und Mädchen vor den Augen der Dorfbewohner vergewaltigt, um sie noch mehr zu demütigen und die Augenzeugen zu demoralisieren. Systematisch werden die Frauen entführt und dann oft tagelang missbraucht. Vielen werden die Beine gebrochen, damit sie nicht fliehen können. Die meisten Frauen überleben diese Tortur nicht.

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Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

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