Gisbert zu Knyphausen, Leipzig, Nato

 

Your Name In Lights: Das hätte sich Gisbert zu Knyphausen wohl kaum träumen lassen.

„Das ist das letzte Konzert der Tour“, sagt Gisbert zu Knyphausen nach ein paar Liedern. „Heute spielen wir, was ihr wollt.“ Es klingt nur halb feierlich, halb erleichtert, halb nach letztem Kuss, Sonnenuntergang und Abspann. Dafür gibt es gleich mehrere Gründe. Zum einen ist der Wahl-Hamburger, der in den vergangenen Jahren dafür gesorgt hat, dass das Wort „Liedermacher“ wieder sexy klingt, quasi permanent unterwegs. Nach dem Ende dieser Konzertreise hat er knapp zwei Wochen Pause, dann geht in Münster schon wieder die nächste Tour los.

Zum anderen scheint hier die eigene Angst vor dem Alltag mitzuschwingen – und die Frage, ob das Dasein on the road für Gisbert zu Knyphausen nicht vielleicht die bessere Alternative ist im Vergleich zum üblichen Leben und Leiden. Der 31-Jährige sieht, ebenso wie seine vierköpfige Band, an diesem Abend in Leipzig zwar aus wie jemand, der gerade das erste Mal in seinem Leben im Fitness-Studio war: Er ist unglaublich geschafft. Er grübelt permanent über die Frage, warum sich die Menschen überhaupt für derlei Aktivität hergeben. Und er ist doch erstaunt darüber und heimlich stolz darauf, was der eigene Körper alles zu leisten im Stande ist. Gleichzeitig merkt man aber in jedem Moment seines zweistündigen Auftritts: Auf der Bühne, mit der Gitarre in der Hand, ist Gisbert zu Knyphausen ganz bei sich selbst.

Das ist durchaus beruhigend zu sehen, denn sein aktuelles Album Hurra! Hurra! So nicht. ist erschreckend düster. Da wird ganz offensichtlich ein Verlust verarbeitet, und das Ergebnis sind Zeilen wie die vom „Kettenkarussell meiner Ängste, das sich seit 30 Jahren dreht und mich nicht aussteigen lässt“. Oder der Schlachtruf: „Melancholie / Fick Dich ins Knie.“

Mit solchen Zeilen, mit rauer Stimme und wilder Romantik hat Gisbert zu Knyphausen eine der erstaunlichsten Erfolgsgeschichten der jüngeren deutschen Musikgeschichte hingelegt. Schon das 2008 erschienene Debüt wurde für die aufrichtige, lebensweise und humorvolle Poesie seiner Texte  und die bedingungslose Hingabe seiner Musik gefeiert. Ohne großes Marketing hat es die zweite Platte nun bis auf Platz 12 der Charts geschafft. Und das ist kein Wunder: Seine Lieder sind so tief gefühlt, bedingungslos durchlebt und schlau formuliert wie das niemand sonst in Deutschland hinbekommt.

Wie dankbar das Publikum dafür ist, merkt man auch an diesem Abend in der Nato. Schon als Moritz Krämer das Vorprogramm bestreitet (in dem er mit süßen Liedern über verletzte Vögel, einem Lied mit einem Text von Tucholsky und der Begleitband von Gisbert zu Knyphausen glatt als Doppelgänger des Haupt-Acts durchgehen kann, entsprechend wohlwollend aufgenommen und entsprechend schnell vergessen wird, sobald Gisbert die Bühne betritt), muss der ausverkaufte Saal spontan ein wenig vergrößert werden, damit das Gedränge nicht so groß ist. Die Fans klatschen stets schon nach den ersten Gitarrentönen, wenn sie das nun folgende Stück wie einen lange vermissten Kompagnon erkannt haben. Und wenn sie die Texte mitsingen, dann tun sie das nicht, weil sie im Radio ein paar Zeilen aufgeschnappt haben, sondern weil jeder Satz für sie wie ein Glaubensbekenntnis klingt.

Es gibt sogar die noch immer etwas bizarr klingenden „Gisbert“-Rufe. „Ja, ich bin hier“, antwortet der Mann auf der Bühne linkisch. Trotz der reichlichen Live-Erfahrung ist Gisbert zu Knyphausen kein Entertainer – und er wird auch keiner mehr. Zwischen den Songs stimmt er lieber seine Gitarre, als das Publikum zu unterhalten. Aber wenn er dann ausnahmsweise mal so etwas wie Interaktion versucht, indem er ankündigt: „Ein paar melancholische Lieder haben wir noch“ – dann ist das ist keine Warnung, sondern ein Versprechen.

httpv://www.youtube.com/watch?v=_MLug9nZq3Q

Die Musik ist für ihn mindestens ebenso sehr Trost wie für sein Publikum. Und das bringt vor allem dann besondere Momente mit sich, wenn Gisbert zu Knyphausen die ganze Szenerie mit Humor nimmt wie in Cowboy, wo plötzlich handgemachte Soundeffekte von Galopp und wiehernden Pferden erklingen (und diese Hymne, die zu meinen absoluten Lieblingsliedern von ihm zählt, damit leider ein bisschen zu sehr verspaßen). Oder wenn er in Der Blick in Deinen Augen aus „eine steile Karriere bei der Bank oder so“ schmunzelnd „eine steile Karriere im Musikbusiness“ macht.

Noch besser wird es, wenn die Band sich richtig ins Zeug wirft wie im an diesem Abend infernalischen Herzlichen Glückwunsch oder in Neues Jahr, das am Ende  klingt wie eine Doors-Session ohne Schmonzes.

Als eine der Zugaben spielt Gisbert zu Knyphausen ein Stück von Element Of Crime, das sich nahtlos in sein Oeuvre einfügt. Es ist so etwas wie der letzte Beweis, den es gar nicht mehr gebraucht hätte: Gisbert zu Knyphausen steckt längst alles in die Tasche, was sonst in Deutschland mit Gitarren produziert wird.

Eine kürzere Version dieses Artikels gibt es auch auf news.de.

Gisbert zu Knyphausen bei MySpace.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und mittlerweile in der Wissenschaftskommunikation tätig. Auf Shitesite.de beschäftigt er sich als Hobby mit Musik, Literatur, Film, Popkultur und allem, was er der Welt mitteilen möchte. Er lebt (und zwar liebend gern) in Leipzig.

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